Weg mit den Mythen |
27.01.2016 09:23 Uhr |
Die verfügbare Evidenz hat in den vergangenen Jahren die traditionelle Ansicht zu Verstopfung grundlegend verändert. Den aktuellen Stand der Beratung und Therapie stellte Dr. Hiltrud von der Gathen, Apothekerin aus Recklinghausen, vor.
»Bis vor Kurzem galt die Ansicht, dass eine chronische Obstipation eine Befindlichkeitsstörung ohne Krankheitswert ist, die durch Selbstverschulden verursacht und somit durch Änderung des Lebensstils leicht zu beheben ist«, sagte von der Gathen.
Eine ballaststoffreiche Ernährung ist neben mehr Trinken und verstärkter Bewegung eine oft kolportierte Empfehlung bei Verstopfung. Evidenz gibt es für keine der drei.
Foto: Boehringer Ingelheim
Das Gegenteil sei jedoch der Fall, wie die AWMF-Leitlinie »Chronische Obstipation« aus dem Jahr 2013 deutlich hervorhebe.
Für eine zeitgemäße Beratung von Patienten in der Apotheke gelte es, mit einigen Mythen aufzuräumen. Dass eine Verstopfung durch Flüssigkeitsmangel hervorgerufen werde, stimme nur, wenn der Patient dehydratisiert sei. Bei ausreichender Flüssigkeitsversorgung von 1,5 bis 2 Litern pro Tag habe eine zusätzliche Flüssigkeitsaufnahme keinen Effekt. Bevor man die Empfehlung gebe, mehr zu trinken, müsse zudem ausgeschlossen werden, dass keine Herz- oder Nierenerkrankung vorliegt, riet die Apothekerin. Auch die häufig genannte Empfehlung, ausreichend Ballaststoffe zu sich zu nehmen, sei kritisch zu hinterfragen. So sei eine Aufnahme von 30 g Ballaststoffen pro Tag aus der Nahrung eher unrealistisch. Für bestimmte Patienten sei auch der Rat zu mehr Bewegung nicht umzusetzen, etwa in der Palliativ- oder Pflegesituation. »Zudem hat in einer Studie zusätzliche körperliche Aktivität bei obstipierten Patienten und Gesunden keinen Einfluss auf die Verdauung gezeigt.«
Laxanzien zeitlich unbegrenzt
Da diese Basismaßnahmen häufig wenig Effekte zeigen, sei bei der Mehrheit der Patienten mit chronischer Obstipation eine medikamentöse Therapie notwendig. Die hierzu verwendeten Substanzen wirken über zwei Mechanismen: Hochsetzen des Stuhlvolumens und Steigerung der Peristaltik. Auch beim Einsatz von Laxanzien gelte es, Vorbehalte abzubauen. So sei nicht nachweisbar, dass es bei einer leitliniengerechten Therapie zu Elektrolytverschiebungen komme. Auch eine Gewöhnung sei nicht zu befürchten: »Wenn nach Absetzen eines Laxans die Verstopfung wieder auftritt, bedeutet das nur, dass die Krankheit noch fortbesteht und nicht, dass eine Abhängigkeit besteht.« Mittel der Wahl sind laut Leitlinie Macrogol, Natrium-Picosulfat und Bisacodyl. Deren Einsatz muss den aktuellen Empfehlungen zufolge nicht mehr zeitlich begrenzt werden, betonte von der Gathen. »Hier muss ein Umdenken in der Apothekerschaft stattfinden.«
Als Mittel der zweiten Wahl gelten Lactulose und Anthrachinone. Gerade Lactulose sollte vorsichtig dosiert werden, da sonst Flatulenz auftreten kann. Anthrachinone erhöhen die Darmbewegung und können als Nebenwirkung Bauchkrämpfe verursachen. Osmotische Salze sind bei chronischer Obstipation wirksam, sollten aber nicht auf Dauer eingesetzt werden, da sie zu Elektrolytverschiebungen führen können.
Lactulose bei Schwangeren Mittel der Wahl
Eine Obstipation kann in allen Lebensspannen auftreten. Häufig ist sie aufgrund von Hormonveränderungen bei Schwangeren und Stillenden zu finden. »40 Prozent der Schwangeren klagen im Verlauf der Schwangerschaft über Verstopfung«, sagte die Apothekerin. Bei dieser Patientengruppe stehen nicht medikamentöse Behandlungsansätze, wie Bewegung, Zufuhr von Ballaststoffen und ausreichend Flüssigkeit, im Vordergrund.
Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, sollte als Mittel der Wahl Lactulose eingesetzt werden. Dies empfiehlt das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie »Embryotox«. Alternativ könne auch Macrogol gegeben werden. Wenn diese versagen, können Bisacodyl oder Glycerol kurzfristig angewendet werden. Problematisch seien bei Schwangeren dagegen Anthrachinon-Derivate wie Senna oder Aloe sowie Rizinusöl.