In hohem Alter gut bei Kräften |
16.01.2006 12:10 Uhr |
In hohem Alter gut bei Kräften
von Annette Immel-Sehr, Bonn
Statt Übergewicht und Adipositas steht bei älteren und alten Menschen oft ein anderes Problem im Vordergrund. Sie verlieren an Körpergewicht und scheinbar plötzlich ist derselbe Mensch, der sich ein Leben lang um überschüssige Pfunde sorgte, mangelernährt. Die Folgen für seine Gesundheit und Lebensqualität sind immens.
Immer mehr Menschen werden immer älter. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung gewinnt die Prävention im Alter an Bedeutung. Diese zielt aber nicht nur auf die Verhinderung von Erkrankungen, sondern vor allem auf die Bewahrung funktioneller Kapazitäten ab. Lebensqualität im Alter bedeutet für die meisten Menschen vor allem eine unabhängige Lebensführung und den Erhalt der Alltagskompetenz. Ein guter Ernährungszustand und körperliche Aktivität sind dabei von herausragender Bedeutung. Beides beeinflusst sich wechselseitig und lässt sich bis ins höchste Lebensalter durch einfache Maßnahmen verbessern. Voraussetzung ist, dass Ernährungszustand und Mobilität regelmäßig beurteilt werden. So können Risikopersonen frühzeitig erkannt und präventive Maßnahmen eingeleitet werden (1).
Der Body Mass Index (BMI) gilt heute als Standard zur Bewertung des Körpergewichts (Körpergewicht [kg]/Quadrat der Körperlänge [m2]). Für die Gesundheit gilt im jüngeren Erwachsenenalter ein BMI von 20 bis 25 als optimal. Im Alter scheint ein etwas höheres Körpergewicht die gesundheitliche Prognose zu verbessern: Ab 65 Jahren liegt der wünschenswerte BMI in der Spanne von 25 bis 29 (2). Auch die Grenze für Untergewicht wird bei älteren Menschen anders gezogen als bei jüngeren Erwachsenen. Hier gilt nicht ein BMI unter 18,5, sondern bereits niedriger als 20 als klinisch relevant (3). Manche Experten setzen die Untergewichtsgrenze im Alter sogar bei einem BMI von 22 an.
Der Ernährungsbericht 2000 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung beinhaltet eine repräsentative Analyse der Ernährungssituation von 4020 Senioren ab 65 Jahren (nationaler Studienteil), die mit überwiegend gutem körperlichen Gesundheitszustand in Privathaushalten leben (4). Einschlusskriterium für die Studie war die »Selbstständigkeit bei alltäglichen Verrichtungen«.
Es zeigt sich, dass der Anteil übergewichtiger Menschen mit zunehmendem Alter sinkt und gleichzeitig der Anteil der untergewichtigen zunimmt (Grafik). Von den zu Hause lebenden Frauen ab 85 Jahren hatten knapp 40 Prozent einen BMI unter 24, bei den Männern waren es gut 20 Prozent. In der Gesamtheit der Studienteilnehmer wiesen 18 Prozent der Männer und 32 Prozent der Frauen einen BMI unter 24 auf. Ein BMI zwischen 20 und 24 bedeutet kein klinisch relevantes Untergewicht, doch kann von diesem niedrigen Ausgangsgewicht aus schnell eine kritische Grenze erreicht werden, wenn beispielsweise eine aktuelle Erkrankung oder ein Ereignis im sozialen Umfeld das Essen und Trinken beeinträchtigen. In dieser Studie hatte immerhin etwa jede zehnte Frau und jeder 30. Mann ab 85 Jahren einen BMI unter 20, also klinisch bedeutsames Untergewicht.
Eine Fülle von Studien aus Deutschland und anderen wohlhabenden Industrieländern hat gezeigt, dass Mangelernährung vor allem auch in Heimen und Pflegeeinrichtungen ein weit verbreitetes Problem darstellt. Je nach Definition und ausgewähltem Patientenkollektiv wird die Prävalenz der Mangelernährung bei geriatrischen Patienten zwischen 20 und 80 Prozent angegeben (3).
Die Auswertung der Verzehrprotokolle der zu Hause lebenden Senioren (4) ergab für die Mehrzahl der untersuchten Mikronährstoffe eine ausreichende Zufuhr. Für Vitamin D, Calcium und Folsäure lag die durchschnittliche Zufuhr jedoch unterhalb der empfohlenen Menge.
Fatale Folgen der Fehlernährung
Mangel- und Fehlernährung haben immense Folgen für die Lebensqualität und Prognose eines alten Menschen. Eiweiß- und Kalorienmangel führen zu Muskelabbau, zunehmender Schwäche, Einschränkung körperlicher Aktivität und Verlust von Mobilität. Damit kommt ein Teufelskreis in Gang: Der alte Mensch geht nicht mehr gerne vor die Tür, erledigt seine Einkäufe nicht mehr selbst, empfindet die Zubereitung des Essens als Last, ihm fehlt der Appetit anregende Aufenthalt an der frischen Luft und so weiter. Der weitere Verlust von Muskelmasse ist programmiert.
Auch der Mangel an einzelnen Nährstoffen kann gesundheitliche Folgen haben. Calcium- und Vitamin-D-Mangel begünstigen Osteoporose und Frakturen. Flüssigkeitsmangel verursacht eine zunehmende Exsikkose, die Orthostaseprobleme, erhöhte Sturzneigung, Elektrolytentgleisung und Verwirrtheit nach sich zieht. Der Mangel an Ballaststoffen begünstigt Obstipation und Divertikulitis. Eisenmangel führt zur Anämie; Zinkmangel erschwert die Wundheilung und beschleunigt einen Dekubitus.
Viele Studien haben den Einfluss eines schlechten Ernährungszustands auf den Erhalt der Gesundheit sowie den Verlauf der Genesung, insbesondere bei oder nach einem Krankenhausaufenthalt, beschrieben. Mangelernährung erhöht die Komplikationsrate nach Operationen und das Infektionsrisiko während eines Klinkaufenthalts. Insgesamt ist die Mortalitätsrate sowohl in der Klinik als auch einen Monat bis sechs Jahre nach der Entlassung bei unterernährten geriatrischen Patienten erhöht (3, 5, 6).
Bemerkenswert ist eine Arbeit, bei der der Kühlschrankinhalt alter Menschen und die Zahl der Krankenhauseinweisungen untersucht wurden. Menschen mit einem relativ leeren Kühlschrank mussten häufiger ins Krankenhaus eingewiesen werden als Personen, die ihren Kühlschrank gut gefüllt hatten und vermutlich rege nutzten (7).
Malnutrition kann auch die Pharmakotherapie erheblich beeinflussen, nämlich dann, wenn es sich um Arzneistoffe mit hoher Plasmaeiweiß-Bindung handelt. Da unter Mangelernährung der Albuminspiegel sinkt, steigt der Anteil des freien Arzneistoffs und damit die Gefahr von Intoxikationen.
Teufelskreis der Altersanorexie
Die Ursachen für die Entstehung einer Mangelernährung sind vielfältig. Natürliche Veränderungen des Organismus im Lauf des Alterns haben Einfluss auf die Nahrungsaufnahme und den Bedarf an Nährstoffen. Aber auch Erkrankungen und die aktuelle Lebenssituation beeinträchtigen das Ernährungsverhalten alter Menschen (8, 9).
Im Alter nimmt das Verlangen nach Nahrung ab (Altersanorexie). Zum einen ist die Regulation von Hunger und Sättigung verändert. Das Hungergefühl ist schwächer als früher und bereits nach kleinen Mengen fühlt man sich satt. Zudem schwindet der Appetit, weil Geschmacks- und Geruchssinn physiologischerweise nachlassen. Allerdings bleibt die Wahrnehmung »süß« bis ins hohe Alter am besten erhalten, während sauer, salzig und bitter schwächer werden.
Das Sekretionsvermögen der Speicheldrüsen sinkt, was zu Mundtrockenheit und Schluckbeschwerden führen kann. Zahnverschleiß und Rückbildungen am Zahnapparat erschweren das Kauen. Nicht selten verursachen schlecht sitzende Prothesen und daraus resultierende Druckstellen und Entzündungen Probleme beim Essen. All dies kann letztlich zu einer unzureichenden Nahrungsaufnahme führen.
Mit zunehmendem Alter nimmt die Konzentrationsfähigkeit der Nieren ab. Gleichzeitig lässt das Durstempfinden nach, was das Risiko einer Dehydratation erheblich erhöht. Auf Grund reduzierter Magensäuresekretion kann die Bioverfügbarkeit von Calcium, Eisen und Vitamin B12 reduziert sein, was eine Mangelversorgung mit diesen Nährstoffen zur Folge haben kann.
Funktionseinschränkungen von Armen, Händen und Fingern, etwa infolge einer Polyarthritis, können erhebliche Probleme beim Zubereiten des Essens und beim Hantieren mit Besteck und Trinkgefäßen bereiten.
Schließlich sind psychische Erkrankungen und Nöte sehr häufig Ursache einer ungenügenden Nahrungsaufnahme. Depression oder Demenz gehen früher oder später stets mit Appetitverlust und Essproblemen einher. Chronische Schmerzen, Trauer nach Verlust des Lebenspartners, Zukunftsängste und nicht zuletzt Einsamkeit rauben den Appetit. Auch die finanzielle Situation alter Menschen wirkt sich unter Umständen auf die Ernährung aus. Bei knapper Kasse wird schnell am Essen gespart, vor allem dann, wenn es sowieso nicht mehr richtig schmeckt oder Probleme bereitet.
Neben Funktionsstörungen und Erkrankungen können auch die im Alter zahlreich verordneten Medikamente die Nahrungsaufnahme stören. Arzneistoffe wie Chinolone, Metronidazol oder L-Dopa beeinträchtigen das Geschmacksempfinden; andere Arzneistoffe wie nicht steroidale Antirheumatika reizen die Magenschleimhaut oder verursachen Diarrhö (zum Beispiel Antibiotika). Arzneistoffe können auch die Wirksamkeit von Nährstoffen beeinträchtigen, so beispielsweise Triamteren und Furosemid die Wirkung von Folsäure. Antibiotika, Diuretika, Glucocorticoide und Urikosurika verursachen nicht selten einen Zinkmangel (19). All diese Faktoren spielen zusammen und können einen Teufelskreis der Mangelernährung auslösen (Grafik).
Noch etwas ist im Alter anders als bei Jüngeren: Die Kompensationsmöglichkeiten des Organismus sind eingeschränkt. Verliert ein 40-Jähriger auf Grund einer fieberhaften Erkältungskrankheit oder eines heftigen Magen-Darm-Infekts einige Pfunde, so sind sie nach kurzer Zeit wieder »drauf«, ohne dass er sich darum bemühen muss. Beim alten Menschen funktioniert die Wiederherstellung des alten Gleichgewichts nicht mehr oder nur mit Mühe. Häufig erreicht er sein vorheriges Gewicht nicht mehr und nimmt im Lauf der Zeit immer mehr ab.
Früh intervenieren
Aus diesem Grund ist es so wichtig, sinkendes Körpergewicht frühzeitig zu bemerken und schon zu intervenieren, lange bevor ein Mensch untergewichtig ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin sowie die Geriatrischen Fachgesellschaften fordern ein routinemäßiges Ernährungsassessment bei Senioren (3).
Die European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) hat Leitlinien für Ernährungsscreenings entwickelt, um ein Risiko für eine Mangelernährung frühzeitig zu erfassen. Für die Betreuung alter Menschen wird das Mini Nutritional Assessment (MNA) empfohlen (10, 11, 12). Die Kurzform dieses Tests umfasst lediglich sechs Fragen, die in wenigen Minuten zu beantworten sind (Kasten). Resultiert daraus ein Risiko für Mangelernährung, ist der vollständige MNA mit 18 Fragen angebracht. Daraus ergeben sich weitere Ansatzpunkte für eine Intervention.
1. Hat der Patient einen verminderten Appetit?
Hat er während der letzten drei Monate wegen Appetitverlust, Verdauungsproblemen, Schwierigkeiten beim Kauen oder Schlucken weniger gegessen (Anorexie)?
0 = schwere Anorexie
1 = leichte Anorexie
2 = keine Anorexie
2. Gewichtsverlust in den letzten drei Monaten
0 = Gewichtsverlust > 3 kg
1 = weiß es nicht
2 = Gewichtsverlust von 1 bis 3 kg
3 = kein Gewichtsverlust
3. Mobilität/Beweglichkeit
0 = vom Bett zum Stuhl
1 = in der Wohnung mobil
2 = verlässt die Wohnung
4. Akute Krankheiten oder psychischer Stress während der letzten drei Monate?
0 = ja
2 = nein
5. Psychische Situation
0 = schwere Demenz oder Depression
1 = leichte Demenz oder Depression
2 = keine Probleme
6. Body Mass Index (BMI)
0 = BMI < 19
1 = BMI 19 bis < 21
2 = BMI 21 bis < 23
3 = BMI > 23
Punktwert
12 bis 14: normaler Ernährungszustand
unter 12: Gefahr der Mangelernährung, vollständiger MNA erforderlich
Quelle: www.mna-elderly.com
Man benötigt jedoch nicht unbedingt ein standardisiertes Screening, um Gewichtsverluste bei alten Menschen zu bemerken. Was zuallererst gefordert ist, ist die Aufmerksamkeit der Menschen im nächsten Umfeld. Auch dem Apothekenteam sollte es auffallen, wenn die Kleidung eines alten Kunden in letzter Zeit viel zu weit wird oder sein Gesicht immer so eingefallen wirkt. Man sollte nachfragen, den Ursachen auf den Grund gehen und konkreten Rat zur Problemlösung geben. Alte Menschen sehen das Thema Essen und Trinken oft nicht als relevant für ihre Gesundheit an oder schämen sich, Probleme anzusprechen. Häufig wird die eigene Nahrungsaufnahme auch überschätzt.
Gesund und bekömmlich essen
Mit zunehmendem Alter nimmt - im Wesentlichen durch eine Atrophie der Skelettmuskulatur (Sarkopenie) - der Anteil der fettfreien Körpermasse ab. Verbunden damit sind ein sinkender Grundumsatz und Energiebedarf.
Die Variabilität des Energiebedarfs ist jedoch im Alter sehr groß. Dies liegt vor allem an der individuell sehr unterschiedlichen körperlichen Aktivität. Richtwerte für die tägliche Energiezufuhr gesunder Personen über 65 Jahren mit mittlerer körperlicher Aktivität liegen bei 2300 kcal für Männer und 1800 kcal für Frauen gegenüber 2900 kcal sowie 2300 kcal für Männer und Frauen im Alter von 25 bis 50 Jahren (13). Erkrankungen wie COPD, Krebs, Dekubitus oder Demenz können den Energiebedarf durch Steigerung des Grundumsatzes erhöhen.
Im Großen und Ganzen differiert der Nährstoffbedarf alter Menschen nicht von dem jüngerer (13). Für gesunde Senioren scheint zwar eine leicht erhöhte Proteinzufuhr günstig zu sein, doch sind die Fachgesellschaften noch immer zurückhaltend, die Empfehlungen entsprechend anzupassen (3, 14). Die empfohlenen Zufuhrmengen an Vitaminen, Mineralstoffen und essenziellen Fettsäuren sind weitgehend unverändert. Lediglich für Vitamin D wird wegen der nachlassenden Eigensynthese eine doppelt so hohe Zufuhr empfohlen als für jüngere Erwachsene. Häufig lässt sich die erforderliche Menge bei Hochbetagten nur durch Supplemente sicherstellen.
Da der Nährstoffbedarf weitgehend unverändert ist, die erforderliche Energiemenge jedoch sinkt, muss bei der Zusammenstellung des Essens eine hohe Nährstoffdichte angestrebt werden. Dies erreicht man durch die Auswahl von Lebensmitteln, die nährstoffreich und gleichzeitig kalorienarm sind, beispielsweise Obst, Gemüse, Kartoffeln, Vollkornprodukte, fettarme Milchprodukte, mageres Fleisch und fettarmer Fisch. Eine sachgerechte Lagerung, kurze Kochzeiten, wenig Kochwasser sowie das Vermeiden von wiederholtem Aufwärmen oder langem Warmhalten sind wichtige Maßnahmen, um die Nährstoffe zu erhalten.
Da bei alten Menschen das Sättigungsgefühl früher eintritt, verlieren große voluminöse Hauptmahlzeiten an Bedeutung. Stattdessen sollten Zwischenmahlzeiten fest in den Tagesablauf eingeplant werden. Eine warme Mahlzeit am Tag hilft jedoch, einer einseitigen Ernährung vorzubeugen.
Im Lauf des Alters entwickelt sich nicht selten eine Lactoseintoleranz. Deswegen vollständig auf Milch und Milchprodukte zu verzichten, ist allerdings nicht nötig. Zum einen werden geringe Mengen meist noch vertragen, zum anderen sind gesäuerte Milchprodukte wie Joghurt oder Dickmilch sowie Hartkäse lactosearm beziehungsweise -frei.
Eine gesunde altersgerechte Ernährung lässt sich leicht umsetzen (Kasten, nach 18). Die klaren Kernbotschaften kann man dem alten Menschen etwa in Form eines Handzettels als Gedankenstütze nach einem Beratungsgespräch mit nach Hause geben.
Täglich eine warme Mahlzeit.
Täglich mindestens ein Stück Obst.
Täglich mindestens eine Portion Gemüse oder Salat.
Täglich mehrere Portionen Milch, Joghurt, Quark oder Käse.
Täglich mindestens eine Scheibe Vollkornbrot.
Täglich mindestens 1,5 bis 2 Liter Flüssigkeit.
Mehrmals pro Woche ein Stück Fleisch, Fisch oder ein Ei.
Außerdem nicht vergessen: Bewegung im Freien!
Schonkost ist obsolet
Diäten sollten im Alter nach Möglichkeit keine Rolle mehr spielen. Die früher sehr verbreiteten speziellen Ernährungsregeln wie die Magen- oder die Galle-Schonkost gelten heute als obsolet. Zum einen haben sie keine Wirkung gezeigt, zum anderen können einseitige Diäten immer auch einen Nährstoffmangel verursachen. Von der beeinträchtigten Lebensfreude ganz zu schweigen.
Heute wird bei Unverträglichkeiten oder Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts eine so genannte leichte Vollkost empfohlen (15). Dabei gibt es keine strengen diätetischen Regeln, sondern erlaubt ist, was vertragen wird. Was individuell Beschwerden hervorruft, etwa frittierte Speisen, Kohlgemüse oder Hülsenfrüchte, wird aus dem Speiseplan gestrichen.
Bei erhöhtem Energiebedarf, zum Beispiel bei bestehender Malnutrition, bei konsumierenden Erkrankungen oder in der Rekonvaleszenz geht es darum, viele Kalorien in kleine, gut verdauliche Portionen zu packen. Jetzt ist eine nährstoff- und energiedichte Ernährung erforderlich. Beispielsweise kann man Speisen mit Sahne oder Butter energetisch aufwerten. Da Fett ein Geschmacksträger ist, werden die Gerichte dadurch zugleich schmackhafter. Auch kalorienreiche Getränke wie Kakao, Fruchtsaft oder Malzbier sind eine gute und wohlschmeckende Möglichkeit, die Energiezufuhr zu erhöhen. Sichtbar bereitgestellte Snacks können zwischendurch zum Essen anregen.
Das Trinken nicht vergessen
Da der Körper im Alter Flüssigkeitsdefizite nicht mehr zuverlässig mit einem Durstgefühl meldet, sollten alte Menschen regelmäßig auch ohne Durst trinken (16). Als Flüssigkeitsmenge, die über Getränke und Suppen aufgenommen wird, werden für Menschen über 65 Jahre täglich mindestens etwa 20 ml pro Kilogramm Körpergewicht empfohlen (13). Demnach sollte eine Person mit 70 kg wenigstens 1,4 Liter täglich trinken. Bei hohen Temperaturen im Sommer, bei Durchfall, Erbrechen oder Fieber muss man deutlich mehr trinken. Umgekehrt muss die Flüssigkeitsmenge bei schwerer Herz- oder Niereninsuffizienz erniedrigt werden.
Um die empfohlene Flüssigkeitsmenge tatsächlich zu erreichen, hat sich die Aufstellung eines konkreten Tagestrinkplans bewährt (Tabelle 1). Bei Angst vor dem nächtlichen Toilettengang kann man einige Stunden vor dem Zubettgehen mit dem Trinken aufhören. Damit das Trinken keine leidige Pflicht wird, sondern auch Genuss bietet, sollte man für Abwechslung bei den Getränken sorgen. Empfehlenswert ist weiterhin, eine Flasche Wasser oder Saftschorle zur Erinnerung gut sichtbar auf den Nachttisch oder neben den Fernsehsessel zu stellen.
Tageszeit | Getränkebeispiel | Flüssigkeitsmenge (ml) |
---|---|---|
nach dem Aufstehen | 1 Glas Wasser | 200 |
Frühstück | 2 Tassen Milchkaffee oder Tee | 300 |
Zwischenmahlzeit | 1 Glas Fruchtsaft oder Buttermilch | 200 |
Mittagessen | 1 Tasse Suppe und 1 Glas Apfelschorle | 150 + 200 |
nachmittags | 2 Tassen Milchkaffee oder Kakao | 300 |
abends | 1 Tasse Kräutertee, 1 Glas Wein | 150 + 150 |
Gesamtmenge | 1650 |
Entgegen früherer Meinung dürfen Kaffee und schwarzer Tee übrigens voll auf die Flüssigkeitsbilanz angerechnet werden. Bei Menschen, die diese Getränke regelmäßig trinken, zeigen sie keine diuretischen Effekte. Ebenso ist Alkohol in moderaten Mengen erlaubt, ein Glas Wein oder ein Aperitif können zudem den Appetit anregen.
Harninkontinenz darf kein Grund sein, auf das Trinken zu verzichten. Hier sind Pharmakotherapie, Vorlagen und gegebenenfalls Beckenbodentraining geeignet, das Problem zu lösen. Ein stark konzentrierter Harn wegen zu geringer Flüssigkeitszufuhr erhöht hingegen die Drangsymptomatik und das Risiko der Harnsteinbildung.
Schluckstörungen
Verschiedene Erkrankungen, insbesondere neurologische und entzündliche können zu Schluckstörungen (Dysphagie) führen. Die häufigste Dysphagie-Ursache überhaupt ist der Schlaganfall. Hinweise auf Probleme mit dem Schlucken können vielfältig sein (17) und werden nicht immer als solche erkannt:
häufiges Husten, Räuspern oder Würgen beim Essen,
Veränderung der Stimme (gurgelnd, rau, heiser, nass),
vermehrte Schleimproduktion,
Meiden von bestimmten Speisen und Getränken (Konsistenz),
Herausfließen von Speisen und Getränken aus dem Mund (sabbern),
Meiden von Essen in der Öffentlichkeit,
kontinuierliche Gewichtsabnahme,
erhöhte Temperatur oder wiederholt auftretende Fieberschübe,
rezidivierende Pneumonien.
Achtung: Bei neurologischen Erkrankungen oder Karzinompatienten fehlen die Zeichen von Kau- und Schluckstörungen häufig (silent aspirators).
Patienten mit Kau- und Schluckstörungen ernähren sich nicht selten nur von Suppen und Brei. Hierdurch lässt sich zwar die Energieversorgung decken, die ausreichende Zufuhr von Nährstoffen ist jedoch in der Regel nicht gewährleistet.
Die Ursachen von Schluckstörungen sollten zunächst abgeklärt werden, um möglichst eine kausale Therapie einzuleiten. Mit einem Schlucktraining unter Anleitung einer spezialisierten Ernährungsberaterin können verloren gegangene Abläufe wieder erlernt werden. Für Dysphagiepatienten sind Flüssigkeiten und flüssige Speisen weit schwieriger zu schlucken als feste Speisen. Daher ist es oft hilfreich, die Konsistenz von Flüssigkeiten mit Hilfe von modifizierter Maisstärke zu erhöhen. Ruhe, die richtige Körperhaltung und verschiedene Hilfsmittel wie bestimmte Löffel oder Trinkbecher erleichtern das Schlucken weiter.
Probleme überwinden
Für viele Probleme, die das Essen und Trinken im Alter erschweren, lässt sich eine Lösung finden (Tabelle 2). Die Maßnahmen scheinen mitunter banal, doch angesichts der hohen Zahl schlecht und mangelernährter alter Menschen sind sie wohl doch nicht so selbstverständlich.
Problem | Maßnahmen |
---|---|
Appetitlosigkeit | Anregung des Appetits: Frische Luft (Spaziergang, Lüften der Räume); Gesellschaft/Betreuung beim Essen; Ansprechendes Aussehen der Kost; Kräftiger würzen, häufiger süße Speisen anbieten; Amara oder Aperitif vor dem Essen; Diäten möglichst vermeiden. Hohe Mahlzeitenfrequenz und kleine Portionen. Bei Bedarf: energetisch aufwerten, zum Beispiel durch Butter, Sahne, Milch. |
Schluckbeschwerden | Aufrechtes Sitzen, Hochlagern bei Bettlägerigen. Betreuung durch spezialisierte Ernährungsfachkraft. Lebensmittel anpassen. Esshilfen wie spezielle Löffel und Trinkbecher. |
Kaubeschwerden | Wenn nötig, zahnärztliche Behandlung. Getränke zu den Mahlzeiten, reichlich Soße, häufiger Suppen, Puddingspeisen oder ähnliches. Angepasstes Darreichen von Lebensmitteln: harte Brotrinden, Obstschalen entfernen; Kost pürieren; »Gläschenkost« als Zwischenmahlzeit; schwer kaubare Lebensmittel ersetzen, zum Beispiel Hackfleisch statt Bratfleisch, Kartoffelbrei statt Bratkartoffeln, gekochtes Gemüse statt Rohkost, Frischkäse statt Hartkäse, frisches Brot statt Körner- oder Knäckebrot, Apfelkompott statt frischer Apfel. |
Einschränkungen der Beweglichkeit der Hände | Esshilfen wie Bestecke mit verdickten oder verlängerten Griffen. |
als Zusatz bei Malnutrition | Bei Bedarf zusätzliche Trinknahrung. |
Appetit anregen: Frische Luft und Bewegung im Freien regen den Appetit an. Ein kleiner Spaziergang vor dem Mittagessen oder am Nachmittag, der fester Bestandteil des Tages ist, ist zu empfehlen. Wichtig ist auch, Esszimmer und Wohnung täglich gut zu lüften. Denn es stellt sich keine Lust auf ein Stück Kuchen ein, wenn es überall noch nach dem Mittagessen riecht. Amara aus der Apotheke mit bitterstoffhaltigen Drogen wie Pomeranzenschale, Enzianwurzel oder Wermutkraut können ebenso helfen wie ein Glas Kräuterlikör als Aperitif vor dem Essen.
Die Freude am Essen lässt sich mitunter wieder herstellen, indem man kräftiger würzt, um dem nachlassenden Geschmackssinn entgegenzuwirken. Da die Geschmacksrezeptoren für »süß« bis ins hohe Alter am empfindlichsten bleiben, sind süße Mittagessen wie Grießbrei mit Kompott, Apfelpfannkuchen oder Quarkauflauf etwas, worauf betagte Menschen vielleicht häufiger Appetit haben. Vertraute Gerichte aus der eigenen Kindheit sind meist beliebter als »neumodische« Rezepte und Zutaten. Warum auch nicht schließlich können die Essgewohnheiten nicht so falsch gewesen sein, wenn man damit 80 oder 90 Jahre alt geworden ist. Und wenn mit dem Geschmack oder dem Duft eines Essens angenehme Erinnerungen an frühere gute Lebensjahre geweckt werden, fördert auch dies Appetit und Wohlbefinden.
Nährstoffzufuhr verbessern: Wenn Vollkornbrot empfohlen wird, ist nicht unbedingt hartes grobkörniges Schwarzbrot gemeint, das in der Tat ein gesundes kräftiges Gebiss erfordert. Was viele nicht wissen: Es gibt auch ausgemahlenes Vollkornmehl und daraus gebackene Brote, die man in jeder guten Bäckerei erhält.
Wenn jemand frisches Obst nicht mehr verträgt, ist Obstkompott eine gute Alternative. Die »Gläschenkost« für Kleinkinder schmeckt auch vielen alten Menschen. Das Pürieren von Speisen ist eine einfache Maßnahme bei Kauproblemen und dem Weichkochen wegen der Thermolabilität vieler Nährstoffe vorzuziehen. Da das Auge bekanntlich mit isst, sollte aber kein unappetitlicher Einheitsbrei gereicht werden. Man kann Gemüse, Kartoffeln und Fleisch einzeln pürieren und anrichten.
Freundliche Atmosphäre: Nicht nur die Auswahl der Nahrungsmittel, auch das Umfeld und die Atmosphäre beim Essen beeinflussen die Nahrungsaufnahme. Auch hier kann sinnvolle Prävention ansetzen. In Gesellschaft schmeckt es am besten. Es gibt viele Möglichkeiten, in Gemeinschaft zu kochen, zu essen oder zu trinken. Beispiele sind der »offene Mittagstisch« einer karitativen Einrichtung, die Wiederbelebung alter Kaffeekränzchen oder ein paar Kekse und ein Glas Saft gemeinsam mit dem Enkel.
Lässt sich mit der adaptierten »normalen« Ernährung kein befriedigender Ernährungsstatus erreichen, sollten zusätzlich - nicht ersatzweise(!) - ein bis zwei Portionen Trinknahrung als Zwischen- oder Nachtmahlzeit getrunken werden.
Aufmerksamkeit ist gefordert
Der gute Ernährungsstatus im Alter hat großen Einfluss auf das Wohlbefinden, den Erhalt der Alltagskompetenz und die gesundheitliche Prognose. Jedoch kennen viele die Gefahren, die aus einer Mangelernährung resultieren, gar nicht. So können chronische, aber auch vermeintlich banale Erkrankungen einen schnellen Verlust von Körpergewicht verursachen. Häufig verläuft die Gewichtsabnahme unspektakulär und schleichend und wird erst bemerkt, wenn die Kleidung schlottert. Dann aber ist bereits wertvolle Zeit verloren gegangen. Je eher man einschreitet, desto besser lassen sich Folgeschäden verhindern. Aufmerksamkeit und Wachsamkeit sind daher erforderlich, um Lebensqualität und Alltagskompetenz der betagten Menschen möglichst lange zu erhalten.
Gerade in der Apotheke bieten sich gute Gelegenheiten, alte Menschen auf das Thema anzusprechen. Hier fällt es vielen bekanntlich leichter als beim Arzt, über ihre Probleme zu sprechen. Das gilt allemal für vermeintlich unwichtige Alltagsthemen wie Essen und Trinken. Auch die Angehörigen können im Beratungsgespräch sensibilisiert werden. Der gute Wille ist sicher meist vorhanden, doch fehlen oft die Ideen, die Probleme zu lösen.
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Annette Immel-Sehr studierte Pharmazie in Bonn und Frankfurt am Main. Nach der Approbation 1988 wurde sie mit einer Arbeit über ein pharmakologisches Thema am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der Universität Frankfurt promoviert. Von 1992 bis 1999 war Dr. Immel-Sehr als Referentin für Aus- und Fortbildung bei der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände tätig. Seither arbeitet sie freiberuflich als Beraterin für Wissenschafts-PR und als Fachjournalistin.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Annette Immel-Sehr
Behringstraße 44
53177 Bonn-Bad Godesberg
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