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Retaxwelle

»Pharmazeutisch verheerende Aktion«

03.01.2012  17:01 Uhr

PZ / Novitas BKK und einige andere Krankenkassen retaxieren Rezepte über Betäubungsmittel (BtM) seit Kurzem systematisch auf null. Grund dafür sind meist kleine Formfehler. Professor Dr. Theo Dingermann von der Universität Frankfurt am Main hält dieses Vorgehen für unver­hältnismäßig und pharmazeutisch sehr bedenklich.

PZ: Wie bewerten Sie aus pharmazeutisch-fachlicher Sicht die rigorose Praxis einiger Kassen, Betäubungsmittel-Rezepte auf null zu retaxieren, wenn Formfehler enthalten sind?

 

Dingermann: Ich beobachte diese Praxis mit Staunen. Dass BtM-Rezepte sorgfältig ausgestellt werden müssen, steht außer Frage. Und dass BtM-Rezepte nicht zu erstatten sind, wenn diese, an Formfehlern erkennbar, offensichtlich unautorisiert ausgestellt wurden, ist auch klar. Ansonsten denke ich, dass sich Formfehler generell korrigieren lassen. Die Rezepte jedoch auf der Basis von Formfehlern auf null zu retaxieren, erschließt sich mir nicht, und erst recht dann nicht, wenn es sich um geradezu lächerliche Fehler handelt. Wo ist denn für den Fachmann der Unterschied zwischen »3 x tgl.« und »3 x 1 Tablette täglich«? Oder kann es tatsächlich sein, dass ein Rezept mit dem Vermerk »gem. schriftl. Anweisung« ungültig sein soll, weil da nicht »gemäß schriftlicher Anweisung« – also der gleiche Vermerk nur in ausgeschriebener Form – aufgedruckt steht?

PZ: Nun gehen die Krankenkassen in die Offensive, indem sie nach einem Frage-und-Antwort-Schema den Patienten deutlich zu machen versuchen, dass es in deren Interesse ist, wenn hier mit rigorosen Strafaktionen vorgegangen wird. Was halten Sie davon?

 

Dingermann: Ich habe mir den Flyer der Novitas BKK angesehen und gestaunt. Auch hier finde ich Abkürzungen wie »u.a.« oder »bez.«. Dies wäre sicherlich nicht der Rede wert, denn ich gehe davon aus, dass der Dauerschmerz-Patient, an den sich dieser Flyer richtet, die Abkürzungen versteht – ebenso wie die beanstandeten Abkürzungen auf dem BtM-Rezept.

 

Kaum erträglich jedoch ist die Begründung, warum die Krankenkasse die Rezepte plötzlich so genau prüft. Natürlich nicht »aus finanziellen Gründen« wie die Krankenkasse unter Punkt fünf des Flyers klarstellt. Man prüfe die BtM-Rezepte vorrangig, um die Sicherheit der Versicherten nicht zu gefährden, erklärt die Novitas BKK. Und sie erläutert diese gute Absicht damit, dass ihrer Meinung zufolge die Sicherheit des Patienten nicht gewährleistet ist, wenn etwa widersprüchliche oder unklare Angaben zur Anwendung des Betäubungsmittels auf dem Rezept stehen. Wäre das so, dann hätten die Damen und Herren von der Krankenkasse sogar recht. Aber erfüllen die oben genannten Beispiele diese Kriterien? Mit Sicherheit nicht. Der Rest des Paragrafen ist unerträgliche Heuchelei.

 

PZ: Was stört Sie besonders an diesem Vorgehen?

 

Dingermann: Mich macht diese Aktion so betroffen, weil sie vertragsrechtlich unverhältnismäßig und pharmazeutisch verheerend ist. In diesem Frage-und-Antwort-Bogen sowie mit der ganzen Aktion werden Medikamente skandalisiert, die die betroffenen Patienten meist ganz genau kennen und die sie dringend brauchen. Immer wieder wird zu Recht beklagt, dass stark wirkende Schmerzmittel in Deutschland zu wenig verschrieben werden. Während Experten dies in langwierigen und beratungsintensiven Prozessen zu korrigieren versuchen, melden sich Verwaltungsexperten mit einem drakonischen Strafszenario zu Wort. Die Arzneimittelsicherheit sei gefährdet, und das müsse bestraft werden, heißt es da. ­

 

Derweil fragen sich Arzt und Patient, was sie denn da eigentlich verordnen beziehungsweise was sie einnehmen. Suchterzeugende Wirkstoffe, deren Abgabe so restriktiv gehandhabt werden muss, dass bei kleinsten Formfehlern die Kasse die Kosten für das Arzneimittel und für die pharmazeutische Dienstleistung einbehalten muss, wie es das Gesetz vorschreibt? Natürlich handelt es sich hier um problematische Arzneimittel, die suchterzeugend sind bei Menschen, die diese Arzneimittel aus therapeutischer Sicht nicht brauchen. Viele Studien hingegen belegen, dass diese Suchtgefahr bei Patienten, bei denen derart stark wirksame Medikamente indiziert sind, vernachlässigbar ist. Immer wieder wird sogar angemahnt, Patienten mit schweren Schmerzen diese Medikamente auf keinen Fall vorzuenthalten.

 

PZ: Was ist aus Ihrer Sicht nun zu tun?

 

Dingermann: Es sollte wieder professionelle Verhältnismäßigkeit gepflegt werden. Missbrauch sollte dahingehend verhindert werden, dass offensichtlich unberechtigt vorgelegte BtM-Rezepte als solche erkannt und aus dem Verkehr gezogen werden. Rezepte mit Formfehlern im Kontext der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung sollten korrigiert werden, soweit das erforderlich erscheint. Und den Patienten sollte ein unnötiger Aufschub bei der Aushändigung ihrer dringend benötigten Arzneimittel erspart bleiben. Vor allem sollten den Patienten die Angst und das schlechte Gewissen genommen werden, dass sie vermeintlich so »gefährliche« Medikamente einnehmen. Dies sollten ihnen nicht nur der Arzt und der Apotheker sagen, sondern auch ihre Krankenkasse. /

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