Pharmazeutische Zeitung online
Schlaf

Auch zu viel ist schädlich

Bei Schlafmangel leiden die Gehirnfunktionen. Allzu langes Ausschlafen macht einen aber nicht fixer im Kopf. Eine groß angelegte Studie von kanadischen Forschern zeigt, dass zu viel Schlaf ebenso schädlich ist wie zu wenig. Optimal sind sieben bis acht Stunden.
Christina Hohmann-Jeddi
16.10.2018  15:38 Uhr

Unkonzentriert, übellaunig, langsam im Denken: Wer zu wenig schläft, spürt schon bald Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten. Doch gibt es auch ein Zuviel an Schlaf und wenn Ja: Wie wirkt sich das aus? Den Zusammenhang zwischen Schlafmustern und Gehirnfunktion untersuchten Forscher um Dr. Conor Wild von der Western University in einer Studie mit 10.000 erwachsenen Probanden aus verschiedenen Ländern nun genauer. Alle Teilnehmer füllten hierfür ein umfassendes Online-Formular aus, nicht nur zur normalen Schlafdauer, sondern auch zu Medikation, Krankengeschichte und Bildungsgrad. Anschließend wurde in einem Set aus zwölf standardisierten Spielen und Puzzeln eine Reihe von kognitiven Fähigkeiten wie logisches Denken, Argumentieren, Kurzzeitgedächtnis, räumliches Gedächtnis und selektive Aufmerksamkeit getestet.

Die Untersuchung bestätigt bisher bekanntes Wissen zur optimalen Schlafdauer: Sieben bis acht Stunden pro Nacht sind am besten. Es zeigte sich, dass Menschen mit durchschnittlich weniger als sieben Stunden Schlaf pro Nacht schlechter abschnitten als ausgeruhte Teilnehmer. Dasselbe galt aber auch für Probanden, die regelmäßig länger schlafen, berichten die Forscher im Fachjournal »Sleep«. Am stärksten durch zu viel oder zu wenig Schlaf eingeschränkt waren die verbalen Fähigkeiten und das logische Denken.

»Es scheint nicht alle Gehirnfunktionen gleichermaßen zu beeinträchtigen«, sagt Wild in einer Pressemitteilung der Universität. Das Gedächtnis etwa leide nicht erkennbar. Es sei die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu verstehen und zu durchdenken, die durch zu wenig oder zu viel Schlaf gestört wird. Die Ergebnisse waren für alle Altersgruppen ähnlich, sodass angenommen werden muss, dass das Schlafoptimum für alle Erwachsenen bei sieben bis Stunden täglich liegt, schreiben die Autoren.

Warum Überschlafen und Schlafmangel ähnliche Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen haben, ist noch unverstanden. Das wollen die Forscher gern genauer untersuchen. »Es könnte eine Art Schlafträgheit sein«, vermutet Wild. Wer einmal die Erfahrung eines tiefen, langen Schlafs gemacht habe, wisse, dass es eine Weile dauert, bis man vollständig erwacht ist.

Die Fehlerquote steigt

Welche erheblichen Konsequenzen Schlafmangel haben kann, berichten Forscher um Professor Dr. Kimberly Fenn von der Michigan State University im »Journal of Experimental Psychology«. Demnach steigt durch Schlafmangel die Fehlerquote bei Tätigkeiten mit mehreren Arbeitsschritten. »Wenn man Fehler oder Unfälle in der Chirurgie, beim öffentlichen Verkehr oder sogar beim Betreiben von Kernkraftwerken betrachtet, ist Schlafmangel eine der häufigsten Ursachen«, berichtet Fenn in einer Mitteilung der Universität. Katastrophen, bei denen Übermüdung eine Rolle gespielt hatte, seien Tschernobyl, das Exxon-Valdez-Ölunglück und die Challenger-Explosion.

In einer Untersuchung mit 234 Probanden testeten die Forscher, wie sich Schlafentzug auf die Fähigkeit, Handlungsabläufe korrekt auszuführen, auswirkt. Hierfür machten sie mit allen Teilnehmern abends einen spezifischen Test. Dann teilten sie die Probanden in zwei Gruppen auf, von denen eine nach Hause zum Schlafen gehen konnte. Die andere blieb die Nacht über auf. Am nächsten Morgen sollten alle Teilnehmer denselben Test erneut machen. Dabei waren 15 Prozent der Probanden aus der Schlafentzugsgruppe nicht mehr in der Lage oder willens, den komplexen Handlungsablauf bis zum Ende zu befolgen, was am Vorabend noch keine Schwierigkeit dargestellt hatte. Die unausgeschlafenen Probanden, die den Test noch zu Ende bringen konnten, machten deutlich mehr Fehler als die ausgeschlafene Kontrollgruppe, berichten die Forscher. Die Fehler nahmen dabei im Verlauf der Prozedur zu – den müden Probanden fiel es zunehmend schwer, sich zu erinnern, wo im Handlungsablauf sie sich gerade befanden. Gerade bei Personen mit verantwortungsvollen Berufen sei Schlafmangel daher ein gravierendes Problem, so Fenn.

Angegriffene Herzgesundheit

Durch Schlafmangel leidet aber nicht nur die Gehirnfunktion, sondern auch die Herzgesundheit und der Stoffwechsel insgesamt. Studien zeigen, dass durch zu wenig Schlaf das Risiko für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität deutlich ansteigen. Sowohl Übergewicht als auch Diabetes, Hypertriglyceridämie und Bluthochdruck kommen bei Personen mit Schlafmangel häufiger vor als bei Personen, die sich an das Optimum von sieben bis acht Stunden pro Nacht halten. Dies ist aber – zumindest US-Daten zufolge – nur knapp die Hälfte der Bevölkerung. Die andere Hälfte schläft entweder zu viel oder zu wenig.

Ebenso wie bei der Gehirnfunktion gilt auch für die Herzgesundheit, dass beide Extreme schädliche Effekte haben. Das zeigt eine epidemiologische Untersuchung, die koreanische Forscher um Claire E. Kim von der Universität Seoul im Juni im Fachjournal »BMC Public Health« veröffentlichten. Für diese werteten die Forscher Daten von etwa 133.000 Personen aus, die sie anhand ihrer regulären Schlafdauer in vier Gruppen einteilten. Verglichen mit Personen, die durchschnittlich zwischen sechs und acht Stunden schliefen, hatten Personen mit unter sechs Stunden Schlaf ein leicht erhöhtes Risiko für ein metabolisches Syndrom (plus 12 Prozent) und für einen erhöhten Taillenumfang (plus 15 Prozent) – bei Männern. Bei Frauen war nur der Taillenumfang leicht erhöht.

Mehr als zehn Stunden Schlaf pro Nacht stand bei Männern und Frauen mit dem metabolischen Syndrom und erhöhten Triglcyeridwerten in Zusammenhang, bei Frauen zudem mit einem größeren Taillenumfang, erhöhten Blutzuckerwerten sowie niedrigeren Werten für HDL-Cholesterol. Welche biologischen Mechanismen der Verbindung zwischen Schlafdauer und metabolischem Syndrom zugrunde liegen könnten, sei noch nicht erforscht, schreiben die Forscher. Frühere Studien hätten jedoch gezeigt, dass Schlafmangel den Pegel von Hormonen beeinflusst, die den Appetit und die Kalorienaufnahme beziehungsweise den Energieverbrauch regulieren. Um gesund zu bleiben, sollte man beim Schlaf also wie bei vielen anderen Dingen auch die goldene Mitte bevorzugen.

Fotos: Shutterstock/wavebreakmedia (oben), iStock/nd3000 (unten)

Mehr von Avoxa