ASS statt Heparin zur Thromboseprophylaxe? |
Annette Rößler |
20.01.2023 07:00 Uhr |
Mit einem gebrochenen Fuß oder Arm ist man erst einmal nur wenig mobil. Dadurch steigt das Risiko für eine Thrombose. / Foto: Getty Images/domin_domin
ASS hemmt in niedrigen Dosen die Thrombozytenaggregation und wird deshalb unter anderem zur Sekundärprophylaxe nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall eingesetzt. Nach einem operativen Eingriff hat der Patient ebenfalls ein erhöhtes Thromboserisiko, doch werden in dieser Situation als Prophylaxe standardmäßig niedermolekulares Heparin oder direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) und nicht ASS gegeben. Hintergrund ist, dass es sich in beiden Fällen um unterschiedliche Mechanismen der Thrombenbildung handelt.
ASS – und P2Y12-Hemmer wie Clopidogrel – wirken vor allem der Bildung von arteriellen Thromben entgegen. Diese entstehen, wenn Thrombozyten an einem Gefäßwanddefekt einer Arterie aggregieren. Nach einer Operation bilden sich Blutgerinnsel dagegen vor allem in den Venen, weil besonders dort die Fließgeschwindigkeit des Bluts bei immobilen Patienten verlangsamt ist. Hinzu kommt, dass auch die Operation selbst, insbesondere wenn sie lange gedauert hat, das Blut in einen Zustand versetzt, in dem es leichter verklumpt (»JAMA Surgery« 2015, DOI: 10.1001/jamasurg.2014.1841).
Die Bildung von venösen Thromben läuft anders ab als die von arteriellen: Thrombozyten spielen als auslösender Faktor keine Rolle, dafür umso mehr das Fibrin – dessen Bildung letztlich sowohl die DOAK als auch das Heparin unterbinden. Ungeachtet dieser pathophysiologischen Unterschiede hatten Studien zuletzt darauf hingedeutet, dass auch mit ASS eine effektive postoperative Thromboseprophylaxe möglich ist und dass dieser sehr günstige und oral verfügbare Wirkstoff die teureren und von den Patienten ungeliebten Heparinspritzen womöglich sogar ersetzen könnte.
Eine Gruppe von Ärzten, die sich unter dem Namen Major Extremity Trauma Research Consortium (METRC) zusammengetan hat, verglich daraufhin ASS mit Enoxaparin in einer Head-to-Head-Studie in 21 Traumakliniken in den USA und in Kanada. Die Ergebnisse sind jetzt im »New England Journal of Medicine« erschienen.
Teilnehmer waren 12.211 Patienten mit Knochenbrüchen, die in einem der Studienzentren akutversorgt worden waren und anschließend die Thromboseprophylaxe zu Hause weitergeführt hatten. Patienten mit einem Knochenbruch einer Extremität waren in der Klinik operiert worden, diejenigen mit einem Becken- oder Hüftpfannenbruch nicht. Im Median wurden die Probanden 8,8 Tage lang stationär versorgt (inklusive Thromboseprophylaxe) und erhielten bei Entlassung ausreichend Medikamente für eine dann noch 21-tägige Thromboseprophylaxe. Letztere bestand über den gesamten Behandlungszeitraum bei 6110 Patienten aus 30 mg Enoxaparin zweimal täglich subkutan und bei 6101 Patienten aus 81 mg ASS zweimal täglich oral.
Der primäre Endpunkt der Studie – Tod jeglicher Ursache innerhalb von 90 Tagen – trat in der Enoxaparin-Gruppe bei 45 Patienten ein (0,73 Prozent) und in der ASS-Gruppe bei 47 Patienten (0,78 Prozent). Die Häufigkeiten der sekundären Endpunkte tiefe Venenthrombose (TVT), nicht tödliche Lungenembolie und Blutungskomplikationen verteilten sich wie folgt auf die beiden Gruppen:
Bei vergleichbarer Sicherheit sei ASS somit Enoxaparin mit Blick auf die Sterblichkeit innerhalb von 90 Tagen nicht unterlegen gewesen, schlussfolgern die Autoren. Insgesamt seien die Raten an TVT und Lungenembolien niedrig gewesen.
Hat die gute alte »Thrombosespritze« also womöglich bald ausgedient und wird durch ASS-Tabletten ersetzt? Mitnichten, sagt Privatdozent Dr. Robert Klamroth, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Angiologie und Hämostaseologie am Zentrum für Gefäßmedizin des Vivantes-Klinikums im Friedrichshain, Berlin. Er verweist zwar darauf, dass ASS in den europäischen Leitlinien schon länger als eine Option zur Thromboseprophylaxe nach Operationen erwähnt werde. Selbst sei er jedoch skeptisch: »Ich glaube nicht, dass ASS in dieser Indikation den Antikoagulanzien wie niedermolekularem Heparin ebenbürtig ist.«
So habe etwa im vergangenen Jahr eine Studie mit 9711 Patienten nach Hüft- und Kniegelenksersatz eine Überlegenheit der Thromboseprophylaxe mit Enoxaparin gegenüber ASS gezeigt (»JAMA«, DOI: 10.1001/jama.2022.13416). Eingriffe zum Hüft- und Kniegelenksersatz seien Operationen mit einem hohen Thromboserisiko. In der aktuellen Studie sei das Studienkollektiv dagegen mit Blick auf das Thromboserisiko durchaus heterogen gewesen.
ASS habe nach seiner Einschätzung wahrscheinlich einen geringeren Effekt zur Verhinderung venöser Thrombosen als niedermolekulare Heparine. »Damit ist meine Schlussfolgerung auch mit Blick auf die Publikation der aktuellen Daten, dass ASS abhängig von dem individuellen Thromboserisiko des Patienten im Einzelfall nicht ausreichend sein kann«, sagt Klamroth.