Apotheken-Programm kommt nicht ohne Verschreibung aus |
Cornelia Dölger |
06.04.2022 12:30 Uhr |
Aus dem Weißen Haus kommen allerhand Vorschläge, die Coronavirus-Pandemie weiter einzudämmen. Die Initiative »Test to Treat«, die US-Präsident Joe Biden (hier ein Archivbild) kürzlich vorstellte, bezieht Apothekerinnen und Apotheker in die Behandlung mit ein, ist aber auf wenige Apotheken begrenzt. / Foto: Imago Images/MediaPunch
Bereits vor gut einem Monat hielt US-Präsident Joe Biden seine erste Rede zur Lage der Nation und kündigte darin vor allem schwere Konsequenzen für die russische Invasion in die Ukraine an. Auch innenpolitische Themen brachte der Demokrat aufs Tableau, etwa die auch in den USA grassierende Inflation sowie Pläne für den weiteren Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie. Zu den Letzteren gehört das bundesweit aufgelegte Programm »Test to Treat«, eine Initiative, die darauf abzielt, Patienten mit neuen antiviralen Medikamenten zu versorgen, sobald sie erfahren, dass sie infiziert sind. Testung und Versorgung sollen demnach in Apotheken erfolgen.
Ohne medizinische Verschreibung gibt es die Medikamente allerdings nicht, wie jetzt die populärwissenschaftliche US-Zeitschrift »Scientific American« schreibt. Insgesamt sei das »Test-and-Treat«-Programm vielversprechend, weil es schnelle Testungen mit sofort anschließender Behandlung ermögliche. Die Patienten könnten in bestimmten Apotheken sowie Gesundheitseinrichtungen Covid-19-Tests durchführen und nach einem positiven Testergebnis unmittelbar mit der antiviralen Behandlung beginnen, ohne eine Arztpraxis aufsuchen zu müssen. Die Verschreibung erfolgt allerdings durch einen Arzt oder medizinisches Personal.
Bereits Anfang März begannen laut »Scientific American« teilnehmende Apotheken, die antiviralen Medikamente Paxlovid® und Lagevrio® im Rahmen des Programms unmittelbar an Patienten abzugeben, deren dort durchgeführter Coronatest positiv war. Beide Therapeutika sind demnach am wirksamsten, wenn sie kurz nach einer Infektion mit dem Sars-Cov-2-Virus verabreicht werden. Diese schnelle Option könnte daher »von entscheidender Bedeutung für viele Patienten sein«, wie etwa Julie Ann Justo, klinische Pharmazeutin an der University of South Carolina, in der Zeitschrift erklärt.
Rückenwind bekommt Justo von Jacinda Abdul-Mutakabbir, Pharmazeutin von der kalifornischen Loma-Linda-University, die sich mit Chancengleichheit im Gesundheitswesen befasst. Insbesondere schwarze oder hispanische Menschen in den USA könnten profitieren, wenn sie ein Rezept für ein Covid-Medikament direkt in einer Apotheke bekämen. Sie würden bei der Verteilung gerade von neuen Medikamenten oftmals benachteiligt und hätten ein größeres Risiko als weiße Personen, wegen Covid-19 in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden oder sogar daran zu sterben, zitiert die Zeitschrift die Pharmazeutin.
Was Abdul-Mutakabbir und andere Kritiker enttäuscht, ist der begrenzte Umfang des Projekts und die mangelnde Aussicht auf eine Ausweitung. Knackpunkt ist eben, dass die Apothekerinnen und Apotheker keine Rezepte für die Covid-19-Medikamente ausstellen dürfen. Das ist demnach nur in Verbindung mit angeschlossenen Kliniken erlaubt – und es sind laut »Scientific American« amerikaweit nur ein paar Hundert derart angeschlossene Apotheken, die an der Initiative teilnehmen. Die Notfallzulassungen der Food and Drug Administration FDA für die Covid-19-Therapeutika erlaubten eben nur medizinischem Personal die Verschreibung. »Eine verpasste Chance«, meinen Kritiker. In ihren Augen könnte im Rahmen des Programms ein in der Apotheke durchgeführter, positiver Coronatest die ärztliche Diagnose ersetzen – und damit wertvolle Zeit sparen. Das US-Gesundheitsministerium macht demnach aber derzeit keine Anstalten, die Situation anzupassen.
Auch ein Vorstoß von Apothekerverbänden in den USA brachte keinen neuen Ansatz. Insgesamt 14 Berufsorganisationen hatten demnach Anfang März einen gemeinsamen Brief an Präsident Biden verfasst und sich dafür eingesetzt, dass zumindest im Rahmen von »Test-and-Treat« Apotheker die Erlaubnis zur Verschreibung für antivirale Covid-19-Arzneimittel bekommen sollten. Gegenwind kam umgehend von der Ärzteseite: So wandte die American Medical Association (AMA) ein, wenn Apothekerinnen und Apotheker die Mittel verschreiben dürften, berge dies Gefahren für die Patientensicherheit, etwa wegen der zahlreichen möglichen Wechselwirkungen. Immerhin hätten Apotheker keinen Einblick in die Krankengeschichte der Patienten.
Diese Kritik wies wiederum Matthew Cortland von der Gesundheits-Denkfabrik »Data for Progress« zurück. Es sei »lächerlich und absurd« zu glauben, dass gerade Apotheker sich nicht mit Wechselwirkungen auskennen würden. »Dies ist ein Land, das Menschen auf den Mond gebracht hat«, so Cortland. »Sie können mich nicht davon überzeugen, dass wir nicht in der Lage sein sollten, landesweit ein Test-to-Treat-Programm sicher durchzuführen.« Seine Mitstreiterin Justo pflichtete ihm bei und ergänzte: »Es geht nicht darum, ob Ärzte oder Apotheker diejenigen sind, die verschreiben.« Vielmehr brauche man so viele Optionen wie möglich, um Patienten bestmöglich versorgen zu können. Justo betonte, sie halte an ihrer Hoffnung fest, dass das Gesundheitsministerium seine Meinung noch ändere und Apothekern die Verschreibung erlaube.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.