Am besten vermeiden, möglichst lindern |
Bei wahrscheinlich anticholinerg bedingten UAW kann das Apothekenteam in der Regel vier Handlungsmöglichkeiten mit dem verschreibenden Hausarzt besprechen:
Das Absetzen oder Ersetzen von Anticholinergika erfordert selbstverständlich eine kritische Überprüfung der Indikation. Ein abruptes Absetzen ist zudem in vielen Fällen nicht zu empfehlen, da Entzugssymptome und Rebound-Effekte auftreten können, zum Beispiel Unruhe und Schlafstörungen nach Absetzen von Trizyklika wie Amitriptylin. Die geplante schrittweise Dosisreduktion bis zum Absetzen des Wirkstoffs wird auch als »Deprescribing« bezeichnet: ein geplantes Ausschleichen eines nicht (mehr) indizierten oder riskanten Arzneimittels unter professioneller Überwachung. Deprescribing von anticholinergen Wirkstoffen ist komplex, da Ausschleichschemata patientenindividuell erstellt und der Absetzversuch engmaschig pharmazeutisch-medizinisch gesichert werden sollte. Dieser Schritt liegt natürlich in der Therapiehoheit des Arztes; allerdings kann eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit im Alltag vorteilhaft sein.
Auch bei der Medikationsanalyse sollten Apotheker auf potenzielle anticholinerge Nebenwirkungen achten. / Foto: ABDA
Muss die Therapie bestehen bleiben, sollten möglichst risikoärmere Wirkstoffe bevorzugt werden. Idealerweise gibt es Wirkstoffe ohne anticholinerges Potenzial, aber auch schwächere Anticholinergika kommen in Betracht.
Alternativ oder zusätzlich kann der Arzt eine Dosisreduktion erwägen. Werden weiterhin Wirkstoffe mit einer hohen anticholinergen Last eingenommen, sollten die Patienten gegebenenfalls auf potenzielle Nebenwirkungen aufmerksam gemacht und dafür sensibilisiert werden. Eventuell ist es sinnvoll, Angehörige oder Pflegende einzubeziehen und auf ein Monitoring von möglichen Nebenwirkungen hinzuweisen (4).
Natürlich gibt es auch apothekenpflichtige Wirkstoffe mit anticholinergen Eigenschaften, sodass sich auch hier anticholinerge Effekte summieren können (Fallbeispiel).
Grundsätzlich sollte das Apothekenteam, insbesondere bei älteren Patienten, immer Arzneimittel mit einem geringen anticholinergen Potenzial empfehlen. Bei einer Allergie sind dies Antihistaminika der zweiten Generation. Bei gastrointestinalen Beschwerden und leichten Schlafstörungen sollten pflanzliche Präparate bevorzugt werden (16). Auch wenn der spasmolytische Wirkstoff Butylscopolamin aufgrund seiner chemischen Eigenschaften die Blut-Hirn-Schranke vermutlich nicht passieren kann und daher eher keine zentrale anticholinerge Wirkung auslöst, können periphere anticholinerge UAW auftreten (17).
Foto: Adobe Stock/9nong
Herr Meyer nimmt aufgrund seiner benignen Prostatahyperplasie schon seit Jahren Tamsulosin ein und hat in der Regel keine Beschwerden. Aufgrund anhaltender und belastender Schlafstörungen nimmt er seit einigen Monaten auch Mirtazapin, mit 7,5 mg niedrig dosiert, täglich vor dem Schlafengehen. Seit Kurzem klagt er über Völlegefühl mit starker Übelkeit. Seine Frau fragt in der Apotheke nach einem Medikament gegen Übelkeit.
Zur Erklärung: Herr Meyer nimmt aktuell Tamsulosin (ohne anticholinerge Aktivität) und Mirtazapin (ACB-Score 1) ein. Da er aufgrund seiner Grunderkrankung zu Harnverhalt neigt, ist hier Vorsicht geboten und die Frage nach einer möglichen Verschlechterung des Harnlassens angebracht. Dimenhydrinat (ACB-Score 3) gegen Übelkeit wäre mit einer erheblichen zusätzlichen anticholinergen Belastung und dem Risiko für das Auftreten von anticholinergen UAW verbunden. Zu bevorzugen sind pflanzliche Präparate mit verdauungsfördernden Bitterstoffen oder das eher antiemetisch wirkende Ingwerwurzelpulver.
Der Enkephalinase-Hemmer Racecadotril ist eine mögliche Alternative bei akuter Diarrhö für Patienten, die bezüglich anticholinerger Effekte gefährdet sind. Loperamid gilt aufgrund seiner Wirkweise als Agonist an peripheren Opioid-Rezeptoren und kann darüber anticholinerge Nebenwirkungen anderer Arzneimittel verstärken, zum Beispiel Harnretention. Tabelle 4 gibt einen Überblick über Wirkstoffe aus dem OTC-Bereich mit anticholinergen Eigenschaften und stellt Alternativen dar.
Indikation | Anticholinergika stark | Anticholinergika schwach | Mögliche Alternativen |
---|---|---|---|
Allergie | Clemastin, Dimetinden, Triprolidin | Azelastin, Cetirizin, Ketotifen, Loratadin | |
Schnupfen | Chlorphenamin, Doxylamin (Kombinationsarzneimittel) | Oxymetazolin, Xylometazolin | |
gastrointestinale Beschwerden | Dimenhydrinat, Diphenhydramin | pflanzliche Präparate | |
leichte Schlafstörungen | Diphenhydramin, Doxylamin | pflanzliche Präparate | |
leichte Krämpfe im Magen-Darm-Trakt, Reizdarmsyndrom | Butylscopolamin | pflanzliche Präparate | |
akute Diarrhö | Loperamid | Racecadotril |