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Anticholinerge Nebenwirkungen

Am besten vermeiden, möglichst lindern

Sehstörungen, trockener Mund, Probleme beim Wasserlassen: Das können unerwünschte Effekte einer anticholinergen Medikation sein. Wie können Apotheker solche Nebenwirkungen erkennen und welche Optionen gibt es dann?
David Czock
Laura K. Lepenies
Hanna M. Seidling
06.08.2023  08:00 Uhr

Empfehlungen für Deutschland

Welche Listen und Skalen für Deutschland am besten geeignet sind, ist (noch) nicht abschließend entschieden – auch weil noch kein Instrument explizit für den Gebrauch in öffentlichen Apotheken validiert wurde und es keine Vergleichsstudien gibt, in denen mehrere Listen gegeneinander getestet wurden. Grundsätzlich erscheint es sinnvoll, eine Liste anzuwenden, die für den deutschen Arzneimittelmarkt entwickelt oder angepasst wurde.

Vor diesem Hintergrund gibt es speziell für anticholinerge Wirkstoffe die »Münchner Liste«, die »Heidelberger Liste« und die Zusammenstellung des Cofrail-Konsortiums (Tabelle 1). Die Münchner Liste teilt den Wirkstoffen ACB-Scores von 1,2 und 3 (schwache, mittelstarke und starke Anticholinergika) zu. Die Heidelberger Liste unterscheidet dagegen nur zwischen »schwachen« und »starken« Anticholinergika.

Instrument, Autor Setting Inhalt und Bewertung
Münchner Liste (18)
Kiesel et al.
für den klinischen Alltag entwickelt
Zielgruppe: geriatrische Patienten
basiert auf 8 internationalen Skalen
listet 104 schwache, 18 moderate und 29 starke Anticholinergika
Liste des Cofrail-Konsortiums
Thürmann et al., Cofrail-Studiengruppe
entwickelt in der Cofrail-Studie
Zielgruppe: geriatrische Patienten mit Polymedikation und Risiko für PIM
Klassifizierung nach anticholinergen und/oder sedativen Effekten
Darstellung der minimalen Tagesdosis für jede Applikationsform umfasst 197 Wirkstoffe
Heidelberger Liste (4)
Mayer et al.
Zielgruppe: geriatrische Patienten basiert auf der Liste von Durán et al. (19)
Neubewertung listet 39 starke und 46 schwache Anticholinergika
Tabelle 1: Empfehlungen zu Anticholinergika, speziell angepasst an den deutschen Arzneimittelmarkt, PIM: potenziell inadäquate Medikation

Zudem schlägt die Münchner Liste konkrete Handlungsanweisungen vor. Dabei sollen die ACB-Werte der Medikation des Patienten summiert werden. Bei Wirkstoffen mit einem Punktwert von 3 oder der Einnahme mehrerer Substanzen und einem Gesamtscore über 2 sollte grundsätzlich ein Score unter 3 angestrebt werden. Dies bedeutet: den Arzneistoff entweder gegen einen anderen Wirkstoff mit geringerem oder ohne anticholinerges Potenzial austauschen oder (bei fehlender oder nicht mehr bestehender Indikation) vollständig absetzen. Ist beides nicht möglich, könnte eventuell die Dosis reduziert und/oder der Patient zumindest hinsichtlich anticholinerger Nebenwirkungen überwacht werden.

Da die Münchner Liste keine konkreten Alternativen benennt, könnte das Apothekenteam beispielsweise die Priscus-Liste 2.0 heranziehen, die neben den PIM (potenziell inadäquate Medikation) auch mögliche Alternativen vorschlägt. Weitere Hilfsmittel, die ebenfalls eher allgemein auf PIM abzielen, sind die FORTA-Kriterien oder die Liste mit START-/STOPP-Kriterien (Tabelle 2).

Instrument Inhalt und Anmerkungen
Priscus-Liste (veraltet)
(20)
enthält PIM und nennt Therapiealternativen
18 Wirkstoffklassen, 83 Wirkstoffe
Priscus-Liste 2.0
(21)
aktualisierte Version, nennt Therapiealternativen
177 Wirkstoffe
FORTA-Kriterien
(Fit-fOR-The-Aged)
(22)
Einteilung von Wirkstoffen in 4 Kategorien (nach Risiko), Sortierung nach Indikationen, nennt Therapieempfehlungen
296 Wirkstoffe
START-/STOPP-Kriterien
(23)
81 STOPP-Kriterien für die Identifizierung von Übertherapie
34 START-Kriterien für die Identifizierung einer unbehandelten Indikation
Tabelle 2: Weitere spezielle Empfehlungen/Listen für Deutschland (nicht spezifisch für Anticholinergika); PIM: potenziell inadäquate Medikation

Die Münchner und die Heidelberger Liste wurden anhand unterschiedlicher Grundlagen und für unterschiedliche Settings und Zielgruppen entwickelt. Während die Münchner Liste vorwiegend für den Einsatz in einer Klinik erstellt wurde, betrifft die Heidelberger Liste vorrangig geriatrische Reha-Patienten. Es kann daher vorkommen, dass manche Wirkstoffe in einer Liste aufgezählt werden, aber in der anderen fehlen oder die Bewertungen der anticholinergen Aktivität nicht deckungsgleich sind.

Opioid-Analgetika stellen solch einen Fall dar. Dies liegt unter anderem daran, dass die anticholinerge Aktivität oftmals nicht genau definiert werden kann und Opioid-Analgetika weitere Effekte wie sedierende oder serotonerge Eigenschaften haben können. Diese Effekte können zentrale anticholinerge Wirkungen verschleiern oder sogar verstärken. Tramadol wird beispielsweise in der Münchner Bewertung als mittelstarkes, in Heidelberg als schwaches Anticholinergikum eingeschätzt. Für Morphin und Fentanyl geben die Münchner Autoren einen ACB-Score von jeweils 1 an, die Heidelberger Liste schätzt deren anticholinerge Aktivität als unklar ein.

Gemeinsam haben diese beiden Instrumente, dass sie hinsichtlich verfügbarer Wirkstoffe und Darreichungsformen speziell an den deutschen Arzneimittelmarkt angepasst wurden und somit praxisnah einsetzbar sind. Beispielsweise ist Trospiumchlorid zur Behandlung der Drang- sowie Reflexinkontinenz in beiden deutschen Listen enthalten, nicht aber in internationalen Listen.

Die Cofrail-Liste klassifiziert die Wirkstoffe nach anticholinergen und/oder sedativen Effekten. Gleichzeitig listet sie die minimale Tagesdosis der jeweiligen Wirkstoffe, angepasst an verschiedene Applikationsformen, auf. Die Zusammenstellung umfasst 197 Wirkstoffe und ist ebenfalls an den deutschen Arzneimittelmarkt angepasst.

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