Pharmazeutische Zeitung online Avoxa
whatsApp instagram facebook bluesky linkedin xign

Neues zum Wirkmechanismus
-
ADHS-Medikamente erhöhen Wachheit und Belohnung

Glaubte man bisher, dass der Einsatz verschreibungspflichtiger Wirkstoffe zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wie Methylphenidat oder Dexamphetamin in erster Linie Aufmerksamkeitsschaltkreise im Gehirn adressieren, zeigte nun eine Studie, dass diese Annahme falsch ist. Vielmehr aktivieren die Stimulanzien bei ADHS-Patienten die Belohnungs- und Wachheitszentren des Gehirns.
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 29.12.2025  16:20 Uhr

Auch der Schlaf spielt eine Rolle

Die Studie ergab außerdem, dass Stimulanzien Gehirnaktivitätsmuster hervorrufen, die die Auswirkungen von gutem Schlaf nachahmen und die neuronalen Signaturen von Schlafentzug effektiv negieren. Kinder mit ADHS, die Stimulanzien einnahmen, zeigten bessere Noten und kognitive Testleistungen im Vergleich zu jenen, die dies nicht taten.

Allerdings waren die kognitiven Vorteile selektiv: Eine bessere Leistung nach der Einnahme von Stimulanzien zeigte sich nur bei Teilnehmern mit ADHS oder solchen, die zu wenig schliefen (weniger als die empfohlenen neun Stunden pro Nacht). Neurotypische Kinder, die ausreichend schliefen, zeigten dagegen keine verbesserte Leistung durch Stimulanzien – was Fragen aufwirft, warum diesen Kindern die Medikamente überhaupt verschrieben wurden.

»Wir sahen, dass wenn ein Teilnehmer nicht genug schlief, aber ein Stimulans einnahm, die Hirnsignatur von unzureichendem Schlaf gelöscht wurde, ebenso wie die damit verbundenen verhaltensbezogenen und kognitiven Beeinträchtigungen«, sagte Seniorautor Professor Dr. Nico Dosenbach in der Pressemitteilung.

Die Forschenden warnen vor langfristigen Konsequenzen, wenn der Leistungsanstieg trotz unzureichenden Schlafs pharmakologisch »erkauft« wird: Kay forderte Kliniker auf, Schlafentzug als Faktor bei ADHS-Diagnosen zu berücksichtigen, und merkte an, dass übermüdete Kinder klassische ADHS-Symptome wie Aufmerksamkeitsschwierigkeiten zeigen könnten, wenn das eigentliche Problem ein Schlafmangel ist.

Die Verhaltensdaten der ABCD-Kohorte stützen diese Interpretation. Stimulanzien verbesserten schulische Leistungen und Reaktionszeiten vor allem bei Kindern mit ADHS oder Schlafdefizit. Bei gut ausgeruhten, nicht an ADHS erkrankten Kindern ergaben sich hingegen keine relevanten Leistungsgewinne.

In der Gesamtschau argumentieren die Forschenden, dass Stimulanzien nicht primär die Aufmerksamkeit im Sinne einer verbesserten Top-down-Kontrolle erhöhen. Vielmehr verschieben sie den funktionellen Organisationszustand des Gehirns in Richtung erhöhter Wachheit und gesteigerter motivationaler Salienz. Damit ist gemeint, dass Reize als besonders bedeutsam oder auffällig wahrgenommen werden, wenn sie mit Motivation oder Belohnung verknüpft sind.

Die in der Studie berichteten Leistungsverbesserungen resultieren demnach aus erhöhter Vigilanz, schnellerer Reaktionsbereitschaft sowie aus einer Aufwertung ansonsten wenig intrinsisch motivierender Aufgaben – und nicht aus einer Steigerung kognitiver Kapazitäten per se. Dies erklärt, warum Stimulanzien besonders bei Personen mit ADHS oder Schlafdefizit wirken, warum sie subjektiv als leistungssteigernd erlebt werden und warum objektive kognitive Vorteile bei Gesunden häufig ausbleiben.

Mehr von Avoxa