ABDA fordert 21-Euro-Pauschale für Engpass-Management |
Cornelia Dölger |
28.02.2023 16:15 Uhr |
20,50 Euro zu wenig. Für den Austausch nicht verfügbarer Rabattarzneimittel gegen wirkstoffgleiche Präparate fordert die ABDA 21 Euro – statt wie im Referentenentwurf vorgesehen 50 Cent. / Foto: Adobe Stock/Anke Thomass
Apotheken haben sich während der Coronavirus-Pandemie als sichere Bank erwiesen, die trotz widriger Umstände und unter einem massiven Belastungsdruck die Menschen zuverlässig mit Arzneimitteln versorgt haben. Mehrmals haben dies nicht nur die Apotheken selbst angemerkt, sondern auch die Politik hat es nicht versäumt, den apothekerlichen Leistungen während der Pandemie öffentlich Beifall zu klatschen.
Doch schon mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde, kam ein Klatschen ganz anderer Art auf die Apotheken zu, nämlich in Form eines für zwei Jahre auf zwei Euro pro Rx-Medikament erhöhten Kassenabschlags, den ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening damals als »Schlag ins Gesicht« kritisierte.
Im vergangenen Dezember dann, als die Lieferengpass- zeitgleich mit einer frühen und heftigen Infektionswelle grassierte, wollte sich das Bundesgesundheitsministerium vor eben diese Welle werfen und präsentierte ein Eckpunktepapier mit Ideen, wie die dramatischen Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln zu beheben seien. Apotheken sollten laut dem Papier mit pauschal 50 Cent für das Lieferengpassmanagement vergütet werden, hieß es darin unter anderem – viel zu wenig, wie die ABDA damals bereits in einer ersten Reaktion entgegnete.
Vor zwei Wochen dann, am Valentinstag 2023, verschickte das BMG keine Liebesgrüße, sondern den ersten Entwurf des Lieferengpass-Gesetzes, genauer: den Referentenentwurf für ein Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG). Und auch der ist für die ABDA kein Anlass zum Jubeln, wie die Bundesvereinigung heute in einer Stellungnahme deutlich zum Ausdruck brachte.
Zwar sei es zu begrüßen, dass das BMG sich der Lieferengpass-Problematik annehme, doch sei der vorgelegte Entwurf nicht geeignet, die Problematik an der Wurzel zu bekämpfen, heißt es in der Stellungnahme, die der PZ vorliegt. Insbesondere fehlten Regelungen, die es Apotheken rechtssicher ermöglichen, bei Lieferengpässen die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten, »wie dies durch die infektionsschutzrechtlich bedingten Ausnahmeregelungen der vergangenen Jahre angemessen berücksichtigt worden ist«. Zudem werde der den Apotheken in diesem Zusammenhang entstehende Aufwand nach dem Referentenentwurf »nicht annähernd berücksichtigt«.
Die schon im Eckpunktepapier vorgeschlagenen 50 Cent für das Lieferengpassmanagement seien »unzureichend«, schreibt die ABDA. Sie schlägt stattdessen eine pauschale Vergütung von 21 Euro vor; dies solle als Sonderzuschlag in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) und im SGB V wie folgt verankert werden: »Ist das ärztlich verschriebene Arzneimittel nicht verfügbar, ist für die stattdessen erfolgte Abgabe je Arzneimittel ein Zuschlag in Höhe von 21,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer zu berechnen. Die ist auf der ärztlichen Verschreibung oder im elektronischen Abgabedatensatz zu dokumentieren.« Die Vergütung solle dann erfolgen, wenn ein Sonderkennzeichen wegen Nichtverfügbarkeit auf der Verschreibung anzugeben sei.
Begründen kann die ABDA ihre Forderung mit dem Argument, dass der Hauptanteil der Apothekenvergütung über die Aufschlagregelungen der AMPreisV erfolge, insbesondere bei der Abgabe von Rx-Medikamenten. Als die AMPreisV im Jahr 2004 grundlegend geändert wurde, spielten aber Lieferengpässe und daraus entstehender Arbeitsaufwand für Apotheken keine relevante Rolle. Auch ins noch heute gültige Apotheken-Fixum von 8,35 Euro pro Rx-Packung, das bereits 2013 festgelegt wurde, flossen die heutigen Erfahrungen mit den Mangellagen nicht ein. Ergo seien die Vergütungshöhen nicht zeitgemäß.
Lieferengpässe binden laut ABDA immer mehr Arbeitskraft der Apothekenteams. »Selbst zurückhaltende Schätzungen kommen auf mindestens sechs Stunden pro Woche, die in den Apotheken inzwischen mit dem Management von Lieferengpässen aufgebracht werden müssen«, schreibt die ABDA.
Bei rund 18.000 öffentlichen Apotheken bedeute dies im Jahr einen Gesamtstundenaufwand von mehr als 5,62 Millionen Stunden. Bei Arbeitgebervollkosten für pharmazeutisches Personal in Höhe von 75,91 Euro/Stunde ergeben sich demnach Kosten in Höhe von 425 Millionen Euro pro Jahr. Bei etwa 20 Millionen Fällen pro Jahr, bei denen die Apotheken eine Nichtverfügbarkeit dokumentieren müssen, ergibt sich demnach jener Zuschlag von 21,00 Euro, den die ABDA für jeden Austausch fordert.
Die Apotheken bräuchten zudem weiterhin flexible Abgaberegeln, um die Menschen zuverlässig auch in Engpasslagen versorgen zu können, betont die ABDA in ihrer Stellungnahme. Bekanntlich wurden die Regeln zur Abgabe von Rabattarzneimitteln während der Coronaviruspandemie flexibilisiert, was den Apotheken mehr »Beinfreiheit« einräumte. Diese Möglichkeit läuft allerdings am 7. April aus. Laut dem Gesetzentwurf sollen dann wieder verschärfte Regeln gelten, zumindest teilweise.
Konkret dürfen die Apotheken dann bei nicht-vorrätigen Arzneimitteln zwar immer noch von Rabattverträgen abweichen und ein vorrätiges, wirkstoffgleiches Medikament abgeben – auch ohne vorherige Rücksprache mit dem Arzt. Allerdings dürfen sie dies nur bei Arzneimitteln, die auf der Engpass-Liste des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stehen, auf der versorgungsrelevante und versorgungskritische Wirkstoffe aufgeführt sind.
Dies eröffnet ein weites Feld der Kritik (über die Mängel der Engpass-Liste des BfArM hat die PZ ausführlich berichtet): Etwa enthält diese Liste ausschließlich Rx-Präparate, was sie zum Beispiel im Falle der vielen fehlenden, nicht verschreibungspflichtigen Kinderarzneien unbrauchbar macht. Konkret kritisiert die ABDA in ihrer Stellungnahme zudem den hohen Aufwand, der zu betreiben sei, wenn in jedem Abgabefall zu retaxsicher prüfen sei, »ob das verordnete Fertigarzneimittel (mit seiner PZN) auf dieser tagesaktuellen Liste steht oder nicht«. »Die bisherige Praxis zeigt deutlich, dass diese Liste ungeeignet sein wird; so wurden die vielfältigen Liefer-/Versorgungsengpässe bei Schmerz- und Fiebermitteln für Kinder bis heute nicht von den Herstellern in die Datenbank eingetragen«, schreibt die Bundesvereinigung.
Weiterer Kritikpunkt: Die Liste wird gespeist aus Herstellerangaben, die ihrerseits bislang keine Sanktionen fürchten mussten, wenn sie keine Engpassmeldung abgaben; hier sieht der Gesetzentwurf aber eine etwas bessere Datenerfassung vor. Die ABDA begrüßt dies. Auch dass der Arzneimittelaustausch bei Lieferengpässen nicht mit erhöhten Zuzahlungen verbunden sein soll, begrüßt die ABDA. Unnötigen Bürokratieaufwand sieht sie aber bei der geplanten Teilmengenabgabe. Die Ausgestaltung sei »völlig überzogen verwaltungsaufwändig«. Hier schlägt die ABDA Vereinfachungen vor.
Wichtig ist der Standesvertretung zudem, dass die Apotheken bei der Defektur- und Rezepturherstellung mehr Rechtssicherheit erhalten. Mit entsprechenden Formulierungsvorschlägen, die ins SGB V eingefügt werden sollen, werde klargestellt, »dass ein Austausch eines nicht vorrätigen Fertigarzneimittels auch durch ein in der Apotheke hergestelltes Rezeptur- oder Defekturarzneimittel bzw. eine Arzneimittelversorgung mit einer anderen Darreichungsform möglich sein soll«, schlägt die Standesvertretung vor.
Ziel dieser Regelungen sei es, den Apotheken mehr Flexibilität zu verschaffen und damit die Versorgung der Versicherten ohne unnötigen Zeitverzug sicherzustellen. Dies schließe auch ein, die »bisherige (rahmenvertragliche) Erfordernis, zwei Abfragen beim pharmazeutischen Großhandel zur Feststellung der Lieferbarkeit zu stellen, auf lediglich eine Abfrage« zu reduzieren. Aus der bisherigen doppelten Abfrage ergäben sich unnötige Verzögerungen, »da die zweite Abfrage in der Regel kein anderes Ergebnis hervorbringt als die erste«.
Ihre Forderung nach mehr Flexibilität in den Austauschregeln untermauert die Standesvertretung auch mit Fakten: Denn das Abgabeverhalten der Apotheken sei auch während der gelockerten Pandemie-Abgaberegelungen wirtschaftlich gewesen, so die ABDA weiter.
Eine vom Deutschen Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) durchgeführte Analyse sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Abgabe von rabattbegünstigten bzw. preisgünstigen Arzneimitteln über den gesamten Pandemiezeitraum betrachtet im Wesentlichen stabil geblieben ist. Dazu wurde demnach untersucht, wie oft die Sonderkennzeichen, welche bei Abweichung von der Verpflichtung, rabattierte oder preisgünstige Arzneimittel abzugeben, verwendet wurden.
Diese Verwendung sei naturgemäß zu Beginn der Pandemie angestiegen, flachte demnach jedoch wieder deutlich ab und erreichte schließlich wieder das Vor-Pandemie-Niveau. Hierbei habe insbesondere die Abgabe rabattierter Arzneimittel, welche den Krankenkassen den größten Einspareffekt beschert, nicht gelitten, so die ABDA. »Die Wirtschaftlichkeit hat unter dem Regime der Ausnahmeregelungen also keine Einschränkungen erfahren. Damit fällt das entscheidende Argument für die bestehenden Regelungen weg.«
Vollständige Retaxierungen der Krankenkassen, so genannte Nullretaxationen, sollen nach dem Willen der ABDA schnellstmöglich der Vergangenheit angehören. Solche Nullretaxationen finden demnach auch in Fällen statt, in denen die Apotheken das Arzneimittel entsprechend der ärztlichen Verordnung abgegeben, also auch die Leistung der Sache nach erbracht haben.
Die Folge sei, »dass die Apotheke den Versicherten letztlich auf eigene Kosten versorgt, unabhängig davon, ob der gesetzlichen Krankenkasse durch den Verstoß gegen Abgabe und/oder Abrechnungsbestimmungen überhaupt ein tatsächlicher Schaden entstanden ist«. Dies passiere auch bei ärztlichen Fehlern auf der Verordnung wie etwa einer fehlende Dosierung. Hier sei eine gesetzliche Regelung »zwingend erforderlich, um die Beanstandungen der Krankenkassen auf das für die korrekte Abrechnung notwendige Maß zu begrenzen«, fordert die ABDA.
»Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke.« Diese Änderung des altgedienten »…und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker« sieht die Ampelkoalition in ihrem Gesetzenwurf vor. Nach dem Willen der ABDA soll der Arzneimittel-Warnhinweise in Werbeformaten aber künftig anders lauten. »Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und holen Sie ärztlichen oder apothekerlichen Rat ein«, schlägt die Standesvertretung vor.
Zwar sei das politische Anliegen zu gendern anzuerkennen, heißt es. Aber die Formulierung »…oder fragen Sie in Ihrer Apotheke« sei änderungsbedürftig; schließlich sei in der Apotheke nicht irgendeine beliebige Person anzusprechen, sondern entscheidend sei, dass eine Apothekerin oder ein Apotheker kontaktiert werde.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.