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Cytochrome P450

Enzymfamilie mit zentraler Bedeutung

14.02.2012  16:02 Uhr

Von Stefan Oetzel / Enzyme der Cytochrom-P450-Familie spielen bei der Metabolisierung von körpereigenen Stoffen, aber auch von körperfremden pharmazeutischen Substanzen eine wichtige Rolle. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit zahlreicher Medikamente hängt daher ganz entscheidend von ihrer Funktionsfähigkeit ab.

Im Jahr 1958 entdeckten Garfinkel und Klingenberg unabhängig voneinander ein CO-bindendes Pigment in Lebermi­krosomen, das später den Namen Cytochrom P450 erhielt. Diese Bezeichnung leitet sich ab von der Lichtabsorption des CO-Cytochrom-Komplexes in reduzierter Form, der im UV-Licht bei 450 nm ein Absorptionsmaximum zeigt.

Cytochrome P450 (CYP) kommen ubiquitär vor, sind also bei praktisch allen lebenden Organismen wie Tieren, Pflanzen, Pilzen, Bakterien nachweisbar. Beim Menschen sind CYP vor allem in der Leber zu finden, aber auch im Darm, den Nieren und der Lunge. Dabei sind die Enzyme in der Mem­bran des endoplasmatischen Retikulums im Innern der jeweiligen Zellen lokalisiert. Cytochrome P450 sind Chromoprote­ine, die aus etwa 500 Aminosäuren bestehen und Häme (Komplexverbindungen aus einem Porphyrin-Molekül und einem zentralen Eisenion) als prosthetische Gruppe enthalten. Diese bildet das aktive Zentrum, in dem die katalytische Reaktion stattfindet.

 

Viele schwer wasserlösliche Stoffe, zum Beispiel zahlreiche Medikamente, werden in der Leber über den Prozess der Biotransformation abgebaut. Diese verläuft in zwei Phasen: Zuerst werden die Stoffe in den sogenannten Phase-I-Reaktionen durch Oxidation, Reduktion, Hydrolyse oder Hydratation mit einer polaren Gruppe versehen und so hydrophiler gemacht. Die entstehenden Verbindungen werden in den sich anschließenden Phase-II-Reaktionen mit körpereigenen Stoffen wie Glucuronsäure konjugiert und dann über Nieren oder Galle ausgeschieden.

 

Einführung einer OH-Gruppe

 

Cytochrom-P450-Enzyme wirken als Monooxygenasen und sind damit von besonderer Bedeutung für die oxidative Umsetzung in der ersten Phase der Biotransformation. Dabei katalysieren sie die folgende allgemeine Reaktion:

 

R-H + O2 + NADPH + H+ → R-OH + H2O + NADP+

 

R-H bezeichnet das Substrat, das oxidiert beziehungsweise hydroxyliert wird, wobei NADH/NADPH, Flavine, Flavoproteine oder Eisen-Schwefel-Proteine die notwendigen Reduktionsäquivalente (Elektronen) bereitstellen. Es entsteht ein Alkohol oder bei einer aromatischen Hydroxylierung ein Phenol. Diese Verbindungen sind besser wasserlöslich und können schneller aus dem Körper ausgeschieden werden. Darüber hinaus sind Enzyme der Cytochrom-P450-Familie an der Synthese von Steroidhormonen, Prosta­glandinen, Retinoiden und Vitamin D3 beteiligt.

 

Beim Menschen wurden bislang 60 verschiedene Cytochrome P450 gefunden. Die Einteilung dieser Iso­enzyme in Familien und Unterfamilien erfolgt anhand der jeweiligen Ähnlichkeiten in der Aminosäuresequenz, wobei sich die Bezeichnung des einzelnen Enzyms an einer spezifischen Nomenklatur orientiert: Auf das Gensymbol CYP folgt eine Zahl für die Familie, ein Buchstabe für die Unterfamilie und eine Nummer für das einzelne Enzym. CYP3A4, über das etwa die Hälfte aller Arzneimittelwirkstoffe metabolisiert wird, gehört beispielsweise zur Familie 3, zur Unterfamilie A und ist das 4. Enzym dieser Unterfamilie. Weitere für den Abbau von Medikamenten wichtige Cytochrome P450 sind CYP2D6, CYP2C9, CYP2C19, und CYP1A2.

 

Über das Cytochrom-P450-System werden zahlreiche Medikamente metabolisiert (siehe Tabelle). Wenn eines dieser Enzyme gehemmt wird, handelt es sich meist um eine schnell einsetzende, kompetitive Hemmung: Das abzubauende Substrat wird durch einen anderen Stoff, zum Beispiel ein anderes Substrat, von der Bindungsstelle des Enzyms verdrängt – ein reversibler Vorgang. Daneben kommen bei CYP auch irreversible Formen der Inhibition vor, beispielsweise durch Zerstörung des Enzyms.

 

Es sind zahlreiche Wirkstoffe bekannt, die Cytochrome P450 hemmen können. Zu den wirksamsten Inhibitoren von CYP3A4 gehören beispielsweise Azol-Antimykotika wie Ketoconazol, HIV-Proteasehemmer, etwa Indinavir oder Nelfinavir, und Makrolidantibio­tika wie Clarithromycin. Aber auch Nahrungsmittel wie Grapefruitsaft können die Enzymaktivität beeinträchtigen. CYP2D6 wird beispielsweise durch die Antidepressiva Paroxetin, Fluoxetin und Bupropion gehemmt.

 

Induktion braucht Zeit

 

Die Induktion der CYP-Enzyme beruht darauf, dass der Induktor an einen Trans­kriptionsfaktor bindet und so die Expression des entsprechenden CYP-Gens verstärkt. Dies wiederum führt zur vermehrten Bildung des jeweiligen Enzyms. Der Effekt tritt nicht sofort ein: Die maximale Enzyminduktion wird erst nach zwei bis drei Wochen beobachtet und kann über vier Wochen nach dem Absetzen des Induktors andauern.

Induktoren für CYP3A4 sind beispielsweise Rifampicin, Barbiturate und Carbamazepin, aber auch Johanniskrautextrakte. Andere Cytochrome P450 werden auch durch Nahrungs- und Genussmittel in ihrer Aktivität verstärkt: So können Brokkoli und Rosenkohl, aber auch Rauchen zur vermehrten Bildung von CYP1A2 führen. Besonders bei Substanzen mit enger therapeutischer Breite kann es durch CYP-Induktion zu Wirkungsverlust mit ernsthaften Folgen kommen. Beispiele hierfür sind Organ­abstoßung durch Ciclosporinabfall oder Blutungen und ungewollte Schwangerschaft durch Pillenversagen.

 

Einige Cytochrome P450, zum Beispiel CYP2D6 und CYP2C19, weisen eine große genetische Variabilität auf. Bei den codierenden Genen treten also häufiger Polymorphismen auf, die zu stärker beziehungsweise schwächer aktiven oder funktionslosen Varianten der Enzyme führen. Aus den jeweils vorliegenden genetischen CYP-Varianten eines Patienten wiederum lässt sich sein sogenannter Metabolisiererstatus ableiten, also die Geschwindigkeit, mit der er die entsprechenden pharmazeutischen Wirkstoffe verstoffwechseln kann. So werden für CYP2D6 vier Typen von Metabolisierern unterschieden:

 

Langsame Meta­bolisierer (etwa 7 Prozent der Bevölkerung) besitzen zwei nicht funktionelle Allele des CYP2D6-Gens. Es wird kein Protein gebildet und der Metabolismus verläuft extrem langsam. Bei Gabe der Standarddosierung kann es daher zu Nebenwirkungen kommen, da sich der Wirkstoff anreichert. Oder aber die Wirksamkeit der Therapie ist nicht ausreichend, wenn es sich bei dem Medikament um ein Prodrug handelt, das erst durch die Biotransformation in seine aktive Wirkform umgewandelt werden muss.

Intermediäre Metabolisierer (etwa 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung) besitzen ein nicht und ein eingeschränkt funktionelles Allel. Medikamente werden daher mit reduzierter Aktivität verstoffwechselt.

Extensive (»normale«) Metabolisierer (etwa 80 Prozent der Bevölkerung) besitzen ein oder zwei voll funktionsfähige Allele.

Bei ultraschnellen Metabolisierern (etwa 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung) sind aufgrund einer Genamplifikation drei oder mehr Kopien funktionsfähiger Gene vorhanden. Sie bauen Arzneimittel so schnell ab, dass die Standarddosis kaum wirken kann.

 

Was die Häufigkeit der einzelnen Metabolisierer­typen betrifft, bestehen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen oft deutliche Unterschiede. So sind in Schweden nur 1 bis 2 Prozent und in Deutschland 3 Prozent der Bevölkerung ultra­schnelle Metabolisierer, während in Nordafrika der Anteil 20 bis 29 Prozent beträgt.

 

Genotyp bestimmen lassen

 

Die variable Funktionsfähigkeit der CYP450-Enzyme ist eine mögliche Ursache dafür, dass bei gleicher Dosierung eines Medikaments Intensität und Dauer von Wirkungen und Nebenwirkungen je nach Patient sehr unter­schied­lich sein können. Wenn eine entsprechen­de medikamentöse Behandlung nicht anspricht oder schlecht vertragen wird, kann daher eine genaue Genotypisierung des einzelnen Patienten sinnvoll sein. So ist es etwa mithilfe des Biochips AmpliChip® CYP450 mittlerweile möglich, den individuellen Metabolisierungstyp für CYP2D6 und CYP2C19 über eine Polymerasekettenreaktion zu diagnostizieren. Für den Test ist lediglich eine Blutprobe des Patienten erforderlich. / 

 

Literatur

... beim Verfasser

Tabelle: Auswahl von Wirkstoffen, die als Substrate der Enzyme CYP3A4, CYP2D6, CYP2C9 oder CYP2C19 dienen

CYP3A4 CYP2D6 CYP2C9 CYP2C19
Antihistaminika (z.B. Astemizol, Terfenadin) Antiarrhythmika (z.B. Flecainid) NSAR und Coxibe (z.B. Diclofenac, Ibuprofen, Celecoxib, Meloxicam) Protonenpumpenhemmer (Lansoprazol, Omeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol)
Steroide (z.B. Hydrocortison, Estradiol, Testosteron) Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Clomipramin, Fluoxetin, Venlafaxin) Orale Antidiabetika (z.B. Glibenclamid, Tolbutamid) Antiepileptika (z.B. Diazepam, Phenytoin)
Benzodiazepine (z.B. Diazepam) Antipsychotika (z.B. Haloperidol, Perphenazin, Risperidon) Angiotensin-II-Blocker (Losartan, Irbesartan) Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Citalopram, Clomipramin)
HIV-Medikamente (z.B. Indinavir, Ritonavir) Betarezeptorenblocker (z.B. Carvedilol, Metoprolol, Propranolol) weitere Wirkstoffe (z.B. Amitriptylin, Fluvastatin, Tamoxifen, Warfarin) Malariamittel (Proguanil)
Immunmodulatoren (z.B. Tacrolimus, Ciclosporin) Opioide (z.B. Codein, Oxycodon, Dextromethorphan, Tramadol) dito weitere Wirkstoffe (z.B. Cyclophosphamid, Indometacin, Nelfinavir, Progesteron, Propranolol, Moclobemid)
Calciumkanalblocker (z.B. Amlodipin, Verapamil) weitere Wirkstoffe (z.B. Chlorpromazin, Metoclopramid, Ondansetron, Tamoxifen) dito
Makrolidantibiotika (Clarithromycin, Erithromycin) dito
Statine (z.B. Simvastatin, Lovastatin, Atorvastatin)

Quelle: Flockhart DA. Drug Interactions: Cytochrome P450 Drug Interaction Table. Indiana University School of Medicine (2007)

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