| Laura Rudolph |
| 05.12.2025 09:00 Uhr |
Auswendiglernen nervt? Es hat aber auch gute Seiten: Es spart auf lange Sicht Zeit, fördert die Kreativität und erleichtert weiteren Wissenszuwachs. / © Adobe Stock/bongkarn
Strukturformeln, botanische Namen oder der Citrat-Zyklus: Das sind nur wenige Beispiele dafür, was Pharmaziestudierende alles im Kopf haben müssen. Doch wozu ist Auswendiglernen gut? Dieser Frage ging Jean-Philippe Lachaux, Forschungsdirektor am Zentrum für Neurowissenschaften in Lyon, in einem Online-Beitrag des Magazins »Spektrum« nach.
»Wer Schülerinnen und Schülern so richtig die Laune verderben will, braucht sie nur zu bitten, etwas auswendig zu lernen«, so Lachaux. Das mag sicher auch auf viele Studierende zutreffen. Allerdings habe Auswendiglernen mehrere Vorteile, gibt der Hirnforscher zu bedenken.
Zum einen spart es langfristig Zeit: Zwar lassen sich viele Informationen im Netz finden, doch die Recherche oder das Prompten kostet ebenfalls Zeit. Muss man beispielsweise galenische Formeln jedes Mal neu heraussuchen, dauert das Rechnen deutlich länger, als wenn man sie auswendig kennt. »Auf eine Datenbank im eigenen Gehirn zuzugreifen, erspart ständige Unterbrechungen und letztlich viel Zeit«, fasst es der Autor zusammen.
Auswendiglernen fördere zudem die Kreativität, erklärte Lachaux. Wenn das Gehirn bestimmte Bausteine parat habe, könne es diese variieren und daraus Neues schaffen. Beim Auswendiglernen lege es sich eine Art Bibliothek mit »Mustern« an – einer organisierten Abfolge von Elementen, die später als Vorlage diene und neu kombiniert werden könne. Dies gelte für unterschiedlichste Lernbereiche.
Der Hirnforscher veranschaulicht dies unter anderem am Beispiel von Karate: Dort üben die Schüler die berühmten »Katas« – grundlegende Bewegungsabläufe, die später im Kampf kombiniert werden können. Oder: »Ein Schüler, der einen Aufsatz schreibt, wird mehr und vielfältigere Ideen haben, wenn er historische Daten oder philosophische Zitate im Kopf hat, an denen er sich orientieren kann. Das spart Zeit und kognitive Ressourcen.«
Jeder kennt Situationen, in denen Wissen sofort abrufbar sein sollte – etwa wenn Schauspieler ihren Text auswendig können müssen, um sich ganz auf ihr Spiel zu konzentrieren. »Das Auswendiglernen befreit das Gehirn von der Arbeit, über die Grundlagen nachdenken zu müssen«, erläutert der Autor. So stünden mehr Kapazitäten zur Verfügung, um sich der aktuellen Situation oder anderen Aufgaben zu widmen.
Das helfe beispielsweise Ärzten, im Gespräch mit Patienten möglichst viele Krankheiten, Symptome und Behandlungsoptionen präsent zu haben und miteinander verknüpfen zu können – und ist sicher auch für die Beratung in der Apotheke von Vorteil.
Außerdem erleichtert das Verinnerlichen von Wissen laut Lachaux das Nachdenken und den weiteren Wissenserwerb erheblich: Wer bestimmte Grundinformationen auswendig kenne, könne neue Inhalte leichter einordnen. Auswendiglernen schaffe ein Gerüst, das beispielsweise hilft, neue Dinge logisch und zeitlich zu sortieren.
Beim Speichern von Informationen verändern sich im Gehirn die Verbindungen zwischen den Synapsen der Nervenzellen, erklärte der Forscher. Wird etwas wiederholt aktiviert, entstehen Pfade – eine Art Gedächtnisspur (Engramm) –, die später leichter reaktiviert werden können. Erinnern bedeutet, diese Spur erneut zu aktivieren.
Da das Gehirn Dinge verknüpft, die gleichzeitig oder in fester Reihenfolge auftreten, hilft es, Inhalte in sinnvollen Zusammenhängen zu lernen. Die drei Schlüsselprinzipien für effektives Auswendiglernen seien:
Das stärke die neuronalen Brücken und mache das Erinnern leichter.
»Als Hirnforscher mache ich mir dennoch keine Illusionen: Das Auswendiglernen wird wohl weiter an Bedeutung verlieren. So war es bereits nach der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks, als die mündliche Weitergabe als Lehrmethode ihre Vormachtstellung verlor«, so der Hirnforscher.
Ein umfangreiches Wissen bleibe zwar von Vorteil, doch immer wichtiger würden Fähigkeiten zur Priorisierung – in einem »unendlichen Reservoir von Informationen« die passenden herauszufiltern und auszuwählen.