Wo Apotheker und Kliniken noch Ethanol bekommen |
Die Nachfrage nach Ethanol ist derzeit enorm. Immer mehr fachfremde Unternehmen springen ein und stellen Apotheken und Kliniken den Ausgangsstoff zur Herstellung von Desinfektionsmitteln bereit. / Foto: Copyright Szasz-Fabian Ilka Erika Szasz-Fabian Erika - Fotolia.com
Dutzende Menschen stehen in einer Schlange auf dem Gelände der Zuckerfabrik in Anklam (Landkreis Vorpommern-Greifswald).Sie stehen an diesem Mittwoch für Ethanol an, der in Zeiten der Corona-Krise nicht leicht zu bekommen ist. Einer von ihnen ist der Schweriner Apotheker Frank Dencker. Er hat nach eigenen Worten etwa 220 Kilometer zurückgelegt, um zur Zuckerfabrik nach Anklam zu fahren. «Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich im Internet nicht an die Stoffe herankomme», erzählt er. Vor einem halben Jahr herrschte laut Dencker absolute Ruhe, es seien alle Ausgangsstoffe da gewesen. In den vergangenen zwei Wochen sei die Wahrscheinlichkeit allerdings rapide gesunken, an Ethanol zu gelangen.
Bis Ende August dürfen Apotheken Desinfektionsmittel für Privatpersonen herstellen, für medizinische Einrichtungen bis Anfang September. Die entsprechende Allgemeinverfügung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) habe die Situation ein Stück weit erleichtert. Nicht alle Arztpraxen hätten zuletzt mit Desinfektionsmittel beliefert werden können.
Der Andrang ist groß in Anklam. Rund 13.000 Liter Ethanol seien in etwa fünf Stunden verkauft worden, teilt die Zuckerfabrik mit. Sogar aus anderen Bundesländern reisten Apotheker an. «Das ist eine der wenigen Stellen, wo ich noch direkt Ethanol bekommen», berichtet Dencker. Bundesweit helfen auch Alkoholhersteller, um bei dem Ethanol-Engpass zu helfen.
Einen nicht ganz so weiten Weg hat der Apotheker Steve Raude aus Franzburg (Landkreis Vorpommern-Rügen). Der Bedarf ist aber auch bei ihm groß: «Ich kann derzeit nicht so viel holen, wie ich gerne hätte.» Noch gefragter als Desinfektionsmittel seien derzeit Schutzmasken bei den Kunden.
Die Zuckerfabrik unterstützte bereits in der vergangenen Woche die Apotheker mit Ethanol. Dort waren es nach eigenen Angaben mit etwa 5000 Litern noch deutlich weniger. Die Aktion sei in der kommenden Woche erneut geplant.
Die Mitarbeiter der Fabrik tragen Bauhelme, weiße Schutzanzüge und Handschuhe auf dem Gelände. Der Alkohol wird aus einem riesigen Tank mit Schläuchen in Kanister abgefüllt. Die Szenerie hat ein bisschen etwas von einem Vorratskauf an einer Tankstelle. Doch dort tragen die Käufer in der Regel nicht Dutzende Kanister in ihren Kofferraum. Der mitunter weite Weg der Apotheker soll sich schließlich lohnen.
Auch Schnapsbrenner in Baden-Württemberg helfen in Not geratenen Krankenhäusern in der Corona-Krise mit Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln. Chemisch hergestellte Mittel seien Mangelware, sagte ein Sprecher des Universitätsklinikums Freiburg. Hilfe von Spirituosenherstellern sei daher willkommen.
Die Uniklinik Freiburg erhält nun 15.000 Liter Alkohol von regionalen Schnapsbrennern. 12.000 Liter davon kommen von der Schwarzwälder Hausbrennerei Schladerer in Staufen (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) bei Freiburg. Schnäpse werden dazu dort aus dem Lager geholt und erneut destilliert, sagte Geschäftsführer Philipp Schladerer. So werde deren Alkoholgehalt erhöht. Aus Obstbränden und anderen Destillaten entstehe 80-prozentiger Alkohol. Dieser werde verarbeitet.
«Mit den 12.000 Litern kommen wir einen Monat über die Runde», sagte der Sprecher der Uniklinik Freiburg. Das Klinikum sei dafür dankbar. Die Lage bleibe jedoch weiter angespannt. Wegen der Coronavirus-Pandemie sei der Desinfektionsmittelbedarf derzeit dreimal höher als sonst. Der Großteil des Alkohols werde von einer Firma in Bayern verarbeitet. Zusätzlich steige die Klinik in die Produktion von Desinfektionsprodukten ein. Dies sei der akuten Not geschuldet, sagte der Sprecher: «Normalerweise machen wir das nicht.»
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