»Wir müssen Apotheken in die Covid-19-Impfungen einbinden« |
Prof. Dr. Christian Karagiannidis ist auch wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters, das täglich über freie Intensivbetten in Deutschland informiert. Um aus der Pandemie schneller rauszukommen, sei die Mithilfe von Apotheken wichtig, findet er. / Foto: Kliniken Köln
Karagiannidis: Die Apotheken wären schon immer wichtig für Corona- und Influenza-Impfungen gewesen. Aber das wurde in Deutschland nie etabliert. Es gibt aber gerade für die Impfungen eigentlich nur zwei Stellen, die wirklich gut zugänglich sind: Das sind die Hausarztpraxen, davon haben wir 25.000, und die Apotheken, die überall etabliert sind.
PZ: Und woran hapert es Ihrer Meinung nach?
Karagiannidis: Da gibt es sicher große berufspolitische Interessen. Aber mein Interesse ist, dass wir endlich aus dieser Pandemie rauskommen, und das wird nur gehen, wenn wir jetzt schnell boostern, und zwar die Risikogruppen zuerst. Das Boostern hat einen enormen Einfluss auf den R-Wert. Damit können wir die vierte Welle besser unter Kontrolle bekommen. Und wenn ich bei meinen Patienten höre, dass sie bei den Hausärzten zum Teil erst im Januar Termine bekommen, dann ist das einfach zu spät. Deswegen wäre ich sehr dafür, dass wir die Apotheken sowohl bei Covid-19 als auch Influenza einbinden.
PZ: Allerdings gibt es doch immer wieder niederschwellige Angebote wie etwa Impfbusse? Reicht das nicht aus?
Karagiannidis: Nein das reicht nicht aus. Wir müssen einfach schneller werden, das funktioniert zwar in einigen Regionen auch gut mit den Impfbussen. In anderen Regionen klappt das aber auch gar nicht. Diese Angebote erfordern zudem viel Personal. Und das Personal in Apotheken wäre ja da, da muss das Rad nicht neu erfunden werden. In anderen Ländern ist das auch der Fall, dort impfen Public-Health-Mitarbeiter oder Apotheken, nur bei uns in Deutschland klappt das angeblich nicht.
PZ: Welche Bevölkerungsgruppen könnten dadurch besser erreicht werden?
Karagiannidis: Jeder, weil Apotheken an jeder Ecke sind. Apotheken sind wie Hausarztpraxen auch super verteilt in der Fläche und gerade die Älteren kennen die Apotheken auch in der Regel ganz gut.
PZ: Wer sollte die Impfungen denn in der Apotheke durchführen? Nur Apotheker oder das gesamte pharmazeutische Personal?
Karagiannidis: Das weiß ich nicht, das muss man berufspolitisch nochmal besprechen. Aber ich glaube, da wird sich schon jemand finden, der das gut hinbekommt. Die Impfungen sind ja wirklich total einfach. Es scheitert nicht daran, dass es nicht umsetzbar wäre, sondern dass es in der Regel nicht gewollt ist. Die Apotheken sollten aber miteinbezogen werden, damit die Booster-Geschwindigkeit vergrößert wird, auch weil die Impfzentren geschlossen sind. Warten wir zudem mal ab, was die STIKO diese Woche sagt. Wenn die STIKO die Booster-Impfungen ausdehnt, dann wären die Apotheken noch wichtiger.
PZ: Warum tun sich denn die Ärzte so schwer damit, dass Pharmazeuten jetzt auch impfen sollen?
Karagiannidis: Ich bin nicht so in den Diskussionen involviert, aber da spielen sicher auch ökonomische Gründe eine Rolle. Das System in Deutschland ist da sehr starr und versteift. In Wirklichkeit würden wir aber etwas gewinnen und nichts verlieren.
PZ: Welche weiteren Maßnahmen sind in Ihren Augen jetzt wichtig, um die vierte Welle zu brechen und die Pandemie effektiver zu bekämpfen?
Karagiannidis: Wir brauchen einen Mix aus zügigen Booster-Impfungen, 2G-Regeln, dort wo die Corona-Fallzahlen ansteigen, und 3G am Arbeitsplatz.
PZ: Wie könnte man die 2G-Regelung praktisch umsetzen?
Karagiannidis: Das müsste man an die Inzidenzen koppeln. Wo die Inzidenzen hochgehen, müssen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Von mir aus ist auch eine spezifische Grenze möglich, ab der gehandelt wird, aber eigentlich wäre es besser, man bremst Wachstum in den Bundesländern ab, in denen Inzidenzen schnell wachsen.
PZ: Jetzt sollen die kostenlosen Bürgertests bald wieder aktiviert werden. Was halten Sie von dieser Maßnahme?
Karagiannidis: Testen ist immer wichtig, allerdings sind wir relativ ineffizient beim Testen. Wir haben relativ viel Geld ausgegeben, und es sind nur relativ wenige positive Ergebnisse dabei. Beim Testen würde ich mich mehr auf Schulen, Alten- und Pflegeheime konzentrieren und da viel investieren, sodass wir da nicht mehr so eine Todeswelle wie letztes Jahr erleben. Ansonsten ist die einzige nachhaltige Maßnahme das Impfen.
PZ: Und wie sieht derzeit die Situation bei Ihnen auf der Intensivstation in Köln-Merheim aus?
Karagiannidis: Wir sind schon voll, aber die Situation ist nicht so angespannt, wie in der Spitze der zweiten/dritten Welle. Wir haben gerade ein bisschen mehr Zeit, die Patienten zu verschieben.
Karagiannidis ist Internist und Pneumologe. Der Intensivmediziner leitet die Lungenintensivstation Köln-Merheim und ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN). Zudem ist er wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters. Das Register, das Aufschluss über freie Intensivbetten in ganz Deutschland gibt, wurde vergangenes Jahr zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) aufgebaut. Täglich um 13 Uhr wird über die DIVI-Webseite der Tagesreport zu den aktuellen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten veröffentlicht.
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