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Expertenstreit

Wie sinnvoll ist das Tragen einer Maske im Freien?

Es ist eine Begleiterscheinung der zunehmenden Unzufriedenheit mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, dass vermehrt das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Frage gestellt wird. Diese Frage wird nicht nur unter von genervten Bürgern diskutiert. Auch unter Experten herrscht keineswegs eine einheitliche Meinung.
Theo Dingermann
29.04.2021  13:00 Uhr

Das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit, insbesondere im Freien, bleibt umstritten, zumindest so lange, bis nicht der größte Teil der Gesellschaft geimpft ist. Dass dieses Problem nicht nur ein Stammtisch-Thema ist, sondern ernsthaft diskutiert und um Argumente gerungen wird, zeigt eine jüngst publizierte Arbeit im »British Medical Journal« (BMJ).

In dieser Publikation tauschen Dr. Babak Javid, Professor für Experimentalmedizin von der Universität von Kalifornien in San Francisco, sowie die Kinderärzte Professor Dr. Dirk Bassler und Privatdozent Dr. Manuel B. Bryant vom Universitätshospital Zürich auf der einen Seite mit drei anderen Wissenschaftlern, namentlich die Infektiologin Dr. Muge Cevik von der University of St. Andrews, Großbritannien, Zeynep Tufekci von der University of North Carolina at Chapel Hill und Stefan Baral von der Johns Hopkins School of Public Health in Baltimore, kontroverse Argumente aus. 

Für das Tragen einer Maske draußen

Die Gruppe um Javid räumt ein, dass das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 in Innenräumen viel größer ist als im Freien, weshalb sie das Tragen von Masken im Freien vor allem dann für entbehrlich halten, wenn jemand allein oder nur mit Mitgliedern eines Haushalts zusammen ist. Bei großen Versammlungen mit längeren engen Kontakten zu anderen Menschen hingegen empfehlen sie dringend, einen Mund-Nasen-Schutz auch im Freien zu tragen. Denn tatsächlich verringert sich das Risiko einer potenziellen Ansteckung durch diese Maßnahme deutlich.

Dass ein Mund-Nasen-Schutz in Innenräumen getragen werden soll, steht für diese Wissenschaftler außer Frage. Zur Stützung dieser Forderung verweisen sie auf Daten aus den USA und aus Deutschland, die zeigen, dass in Regionen mit einem Maskengebot geringere Inzidenzwerte beobachtet wurden als in Regionen, die das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes lockerer handhabten. Zudem, so die Experten, war dort, wo früh eine Verpflichtung zum Tragen von Gesichtsbedeckungen eingeführt wurde, die Akzeptanz dieser sozialen Norm während der Pandemie deutlich höher.

Zusammenfassend argumentiert dieses Team, dass »das Tragen von Masken im Freien, insbesondere bei großen Versammlungen wie bei Sportveranstaltungen, Demonstrationen oder Ähnlichem, bei denen es schwierig ist, über längere Zeiträume ausreichend körperlichen Distanz einzuhalten, die Risiken einer Ansteckung während der Pandemiephase deutlich verringern wird«.

Die Gegenmeinung

Dieser Auffassung widersprechen Cevik und Kollegen. Sie argumentieren, dass die Übertragung im Freien nur sehr wenig zur Gesamtinfektionsrate beiträgt. Sie fordern daher, sich bei den Bemühungen, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren, auf einen Schutz in Innenräumen zu konzentrieren.

Als Argument für ihre Forderung führen sie an, dass keine bestätigten größeren Covid-19-Cluster oder »Superspreader-Ereignisse« dokumentiert seien, die ausschließlich im Freien stattfanden. Da das Übertragungsrisikos im Freien also aus ihrer Perspektive so gering sei, können Empfehlungen oder Anordnungen zum Tragen von Masken im Freien als willkürlich wahrgenommen werden, mit der Konsequenz, dass die Bereitschaft, sich und andere durch Masken zu schützen, generell sinkt. Darüber hinaus könnte eine Maskenpflicht im Freien von einigen »als Argument verwendet werden, sich nicht im Freien aufzuhalten, was die soziale Isolation verschlimmern könnte«.

Auch der Aspekt der Chancengleichheit sei von entscheidender Bedeutung, wie die Wissenschaftler anmerken. So haben Menschen, die beispielsweise Zugang zu einem Garten haben oder die in einem weniger dicht besiedelten Gebiet leben, das Privileg, die freie Natur ohne Maske zu genießen, während viele andere, die nicht über solche Privilegien verfügen, auf diesen wichtigen Aspekt der Lebensqualität verzichten müssen.

Cevik und Kollegen sind der Meinung, dass die Öffentlichkeit noch besser über das wachsende Wissen zu den Übertragungsmechanismen informiert und dazu ermutigt werden sollte, in Innenräumen am wachsamsten zu sein, während sie gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass ein Ansteckungsrisiko im Freien vor allem dann besteht, wenn man über eine längere Zeit im Freien einem engeren Kontakt nicht ausweichen kann.

Letztlich könnten sich Maskenverordnungen für den Außenbereich in einigen Fällen vor allem deshalb durchgesetzt haben, da sie zu den »sichtbarsten Interventionen« gehören, die ein entschlossenes Führung suggerieren, schreiben die Autoren.

In einem Kommentar in der gleichen Ausgabe des Journals erklärt die Patientenredakteurin des BMJ, warum sie drinnen und draußen eine Maske trägt. »Eine Maske zu tragen, bedeutet nicht, dass man schwach oder feige ist. Es ist ein Weg, verletzliche Menschen um sich herum zu schützen«, schreibt sie. »Ich bin geimpft, dennoch trage ich drinnen oder draußen eine Maske aus Solidarität mit denjenigen, die noch verletzlich sind.«

Masken helfen – aber nicht immer

Wissenschaftlich griff das Thema bereits im Dezember auch ein ausführliches Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung auf. Die Empfehlungen dieser Experten sind differenziert, denn sie betrachten das Problem mit Fokus auf die Eigenschaften von Aerosolen.

Als mögliche Maßnahmen zur Verringerung der Ausbreitung von Aerosolpartikeln, die bei der Corona-Pandemie eine prominente Rolle bei der Verbreitung der Viren spielen, geben die Wissenschaftler wichtige Hinweise zum richtigen und sinnvollen Einsatz von Maßnahmen wie Lüften, dem Einsatz von Luftreinigern und Lüftungsanlagen sowie dem Tragen von Masken.

Masken helfen, einen Teil der ausgeatmeten Partikel, und damit auch der Viren zu filtern. Dadurch sinkt die Konzentration und somit auch das Infektionsrisiko der Partikel in einem Raum. Allerdings ist zu beachten, dass die ausgeatmeten Aerosolpartikel nur solange von einfachen Masken effizient zurückgehalten werden können, solange sie durch anhaftende Feuchtigkeit relativ groß sind. Da diese Partikel aber mit längerer Verweilzeit in der Raumluft schrumpfen, sind einfache Mund-Nasen-Bedeckungen für den Selbstschutz weniger effizient.

Hierfür sind medizinische Masken zum Beispiel der Klassen FFP2, N95 oder KN95 erforderlich, die auch für feine Partikel eine hohe Abscheidung zeigen. Diese sind sowohl für den Selbst- als auch den Fremdschutz effizient, sofern sie über kein Ausatemventil verfügen. Masken mit Ausatemventil dienen hingegen nur dem Selbstschutz und widersprechen daher dem Solidaritätskonzept, Mitmenschen durch kollektives Maskentragen zu schützen.

Gesichtsvisiere und Scheiben sind weitgehend nutzlos

Gesichtsvisiere und Plexiglasscheiben dienen im Wesentlichen als Spuck- und Spritzschutz gegenüber großen Tröpfchen. Gesichtsvisiere, die ohne zusätzliche Verwendung von Masken eingesetzt werden, sind hinsichtlich Aerosolpartikeln weitgehend nutzlos, da die Luft mit Partikeln ungefiltert um die Visiere herumströmt.

Ebenfalls weitgehend unwirksam gegen die Aerosolverbreitung in Innenräumen sind mobile oder fest installierte Plexiglasbarrieren. Diese können nur kurzfristig die kleinräumige Ausbreitung eines Aerosols, zum Beispiel im Kassenbereich eines Supermarkts oder am HV-Tisch der Apotheke, verhindern, bieten aber längerfristig keinen Schutz.

Im Freien verhindern diese Maßnahmen so gut wie keine Infektionen

Da Aerosolpartikel im Freien kaum Infektionen verursachen, kann man hier über das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes diskutieren. Dies ist aber situationsabhängig, so die deutschen Aerosolforscher. Denn auch im Freien kann es zu Tröpfcheninfektionen kommen, insbesondere in Menschenansammlungen, wenn Mindestabstände nicht eingehalten werden können.

Somit kann auf einen Mund-Nasen-Schutz im Freien verzichtet werden, wenn die geltenden Hygienemaßnahmen eingehalten werden, so die Wissenschaftler, 

Macht das Impfen die Masken überflüssig?

Gegen das Tragen von Masken im Freien häufen sich die Argumente auch deshalb, da zumindest in einigen Ländern sehr effizient geimpft wird. So ist es wenig überraschend, dass selbst die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den USA, die sicherlich nicht unter Verdacht steht, verantwortungslos mit Schutzregelungen umzugehen, die Richtlinien für Gesichtsmasken für vollständig geimpfte Personen im Freien lockert.

»Geimpfte Menschen brauchen keine Gesichtsmasken, um sich vor Covid-19 zu schützen, wenn sie draußen spazieren gehen, trainieren, essen oder an kleinen Versammlungen teilnehmen«, so das CDC. Gleichzeitig mahnen die Experten des CDC zur zeitnahen vollständigen Grundimmunisierung.

Diese Ankündigung ist allerdings nicht als Aufkündigung der Maskenpflicht zu verstehen. Denn auch geimpfte Menschen sollten immer noch Masken in öffentlichen Einrichtungen drinnen und draußen tragen, wo ein erhebliches Risiko einer SARS-CoV-2-Übertragung besteht, wie dies zum Beispiel bei Konzerten, Sportveranstaltungen und anderen stark frequentierten Events der Fall ist.

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