Wie Forscher Krankheiten im Abwasser ablesen |
Der Ablauf der Analyse unterscheidet sich etwas von Labor zu Labor, ist Fachleuten zufolge aber keine Zauberei. «Jedes einigermaßen ausgerüstete Labor könnte diese Art von Untersuchung machen», sagt der Molekularbiologe Emanuel Wyler aus der MDC-Arbeitsgruppe von Landthaler. Im Labor der Sicherheitsstufe 2 lässt er sich, gekleidet in Maske, Schutzkittel und -handschuhe, bei den Arbeitsschritten über die Schulter schauen. Als Besucher darf man nichts anfassen. Auch wenn man sich kaum bei Abwasser mit Corona anstecken könne, enthalte es doch andere krankmachende Viren oder Bakterien.
Seit anderthalb Jahren werden hier in Berlin-Mitte regelmäßig Abwasserproben aus der Hauptstadt unter die Lupe genommen, bislang insgesamt 120. An diesem Juli-Tag (draußen heiß, im Labor schön kühl) ist es das letzte Mal. Den Forschern geht es nun nicht mehr vorrangig um aktuelle SARS-CoV-2-Nachweise, sondern um das größere Bild. Dutzende Erreger sind im Blick. Corona-Routinemessungen hat ein Diagnostiklabor für die Berliner Wasserbetriebe übernommen.
Die Abwasserprobe gießt Wyler zunächst in zwei becherartige Behälter, um groben Schmutz herauszufiltern. Übrig bleibt ziemlich klares Wasser, das leicht müffelt. Dann fügt der Forscher winzige Eisenkügelchen hinzu: «Daran binden Erreger, die im Abwasser enthalten sind», sagt der Forscher. Deren Erbinformation wird mithilfe einer Zentrifuge extrahiert. Dann folgt ein PCR-Test, genau wie bei Corona-Nasen- und Rachenabstrichen. So wird geprüft, ob ein Erreger vorhanden ist und in welcher Menge.
Ob sich ein einziger Infizierter in einer Millionenstadt aufhält, kann man auf diese Weise nicht herausfinden. Je nach Messmethode und Virusvariante gilt das Verfahren aber als sehr empfindlich: «Bereits Anfang 2020 haben wir in Leipzig bei einer Inzidenz von fünf Fällen pro 100.000 Einwohner Abwasser positiv getestet», sagt René Kallies vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Wyler spricht bei Omikron von einer Nachweisschwelle bei einer Inzidenz von rund 50.
Umgekehrt ist zu bedenken: Nicht alle Infizierten scheiden gleich viel Virus aus. Abwassermonitoring erlaubt daher keine Inzidenz-Berechnung. Oft heißt es, es handle sich um ein Frühwarnsystem. Mit dem Begriff hadert Expertin Lackner. «Es ist ja keine Methode, die voraussagt, was kommt.» Vielmehr sehe man den Ist-Zustand. «Der Vorteil ist, dass sich die Dynamik sehr schnell erfassen lässt. Abwasserdaten würden helfen, endlich vor die Welle zu kommen, statt der Entwicklung immer nur nachzulaufen», sagt die Professorin.
Auch zunehmend vorkommende Mutationen seien erkennbar. «Wir können das komplette Virusgenom im Abwasser nachweisen.» So könne man auch zu einem besseren Bild der vorkommenden Virusvarianten kommen. Analysen dazu werden bisher nur bei sehr wenigen positiven PCR-Abstrichen gemacht. «Bisher sind wir da in Deutschland ziemlich im Blindflug», sagt Lackner.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.