Wer braucht welche Prophylaxe? |
Brigitte M. Gensthaler |
01.03.2022 18:00 Uhr |
Wer viele Stunden unbeweglich sitzt, dem könnte eine Thrombose drohen. / Foto: Fotolia/Bergringfoto
Eine lange Reise in vorwiegend sitzender Position kann das Risiko für eine venöse Thromboembolie (VTE) erhöhen. Betroffen ist das tiefe Venensystem. »Das Stocken des venösen Rückflusses, die Stase, ist der entscheidende Faktor für eine Reisethromboembolie«, erklärte Professor Dr. Jürgen Ringwald aus Lütjensee bei Hamburg bei einer Pressekonferenz des Centrums für Reisemedizin (CRM) am 24. Februar.
Kritisch sei ununterbrochenes Sitzen länger als vier Stunden, egal ob im Flugzeug, Auto oder Bus. Ein Business-Class-Flug scheine nicht vor einer Reisethromboembolie (RTE) zu schützen, informierte der Arzt. Das Risiko nehme mit der Dauer der Reise zu. »Und auch ungewohntes langes Sitzen im Homeoffice kann eine Thrombose befördern.« In erster Linie seien Patienten mit zusätzlichen Thromboserisiken betroffen.
Wichtig zu wissen: Es kann vier Wochen oder länger dauern, bis eine Reisethrombose manifest wird. Es sei allgemein bekannt, dass der Trigger für eine Thrombose generell, also zum Beispiel auch eine Operation, Wochen vor dem Ereignis liegen könne, erklärte der Gerinnungsexperte gegenüber der PZ. Für den Zeitraum zwischen Trigger und Manifestation gebe es alle Varianten: von wenigen Stunden bis zu vier bis acht Wochen. »Man geht in der Patientenanamnese bis zu zwei Monate zurück und fragt nach möglichen Triggerereignissen. Das ist letztlich auch die Kunst der Anamnese.« Bei der RTE sei es nicht anders. Ein möglicher Zeitabstand von vier Wochen (in Großbritannien gelten acht Wochen) sei 2008 in die internationale Expertenempfehlung zur RTE offiziell aufgenommen worden, informierte Ringwald.
Für die meisten gesunden Menschen sei das RTE-Risiko sehr gering, beruhigte der Gerinnungsexperte. Hier reichten kleine gymnastische Übungen wie regelmäßiges Fußwippen oder Bewegungspausen aus, um den Blutfluss aufrechtzuhalten. Auf Flugreisen sei ein Gangplatz daher vorteilhaft. Empfehlenswert für alle Reisenden sind Allgemeinmaßnahmen wie reichliches Trinken, um die Fließeigenschaften des Blutes zu verbessern, Vermeiden von Getränken mit diuretischer Wirkung (Alkohol, Kaffee), bequeme nicht einengende Kleidung und kein Übereinanderschlagen der Beine.
Menschen mit einem mittelgradig erhöhten Thromboserisiko sollten zusätzlich mindestens kniehohe Thrombosestrümpfe tragen, empfahl der Reisemediziner. Die Kompressionsstrümpfe sollten 10 bis 20 mmHg Knöchelanpressdruck entfalten, bei Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz 20 bis 40 mmHg.
Von einem mittelgradigen Risiko spricht man, wenn mindestens zwei der folgenden Risikofaktoren vorliegen: Schwangerschaft und Stillzeit, Alter über 60 Jahre, bekannte Gerinnungsstörung oder positive Familienanamnese für VTE, Einnahme estrogenhaltiger Kontrazeptiva oder einer Hormonersatztherapie, ausgedehnte Krampfadern, Rauchen und Adipositas. Auch sehr große und sehr kleine Menschen (über 190 cm und unter 160 cm) haben ein erhöhtes Thromboserisiko.
Gerinnungshemmer seien in dieser Gruppe individuell nur zu erwägen, wenn deutlich mehr als zwei Risikofaktoren vorliegen oder wenn die Reise länger als 16 bis 20 Stunden dauert, sagte Ringwald.
Menschen mit hochgradigem Thromboserisiko, zum Beispiel mit Tumoren oder VTE in der Vorgeschichte, sollten zusätzlich eine medikamentöse Thromboseprophylaxe bekommen. Auch ein Gipsverband oder eine kurz zurückliegende große Operation können die Gefahr deutlich erhöhen. Acetylsalicylsäure sei hier nicht geeignet, da die Wirkung des Thrombozytenaggregationshemmers im venösen System nicht ausreicht, erklärte Ringwald.
Zur Prophylaxe wurden früher überwiegend niedermolekulare Heparine subkutan gespritzt. Seit einigen Jahren werden vermehrt DOAK (direkte orale Antikoagulanzien) eingesetzt. Zu den DOAK gehören Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban. »Aber es gibt keine Zulassungsstudien für diese Indikation; das ist ein Off-Label-Use«, betonte Ringwald. Die einfache perorale Applikation dürfe keinesfalls dazu führen, dass Personen ohne wirkliches thrombophiles Risiko vor einer längeren Reise prophylaktisch einen DOAK schlucken. Die Gerinnungshemmung sei immer mit einem erhöhten Blutungsrisiko vergesellschaftet.
»Im Allgemeinen sind Reisen unter DOAK einfacher als unter Vitamin-K-Antagonisten«, so der Reisemediziner. Die Umstellung eines Patienten vor einer Reise von einem Vitamin-K-Antagonisten auf ein DOAK sei kompliziert. »Im Einzelfall kann dies sinnvoll sein, aber hierfür gibt es keine Evidenz.«