Wer aktiv bleibt, ist länger fit |
Ursprünglich im Gehirn entdeckt, weiß man heute, dass BDNF bei Kontraktion vom Muskel selbst produziert wird. Damit zählt der Wachstumsfaktor zu der großen Gruppe der Myokine - also von bislang mehreren Hundert entdeckten Botenstoffen, die die Skelettmuskulatur selbst sezerniert und damit als eigenständiges endokrines Organ mit anderen Organen und Geweben, etwa dem Gehirn, der Bauchspeicheldrüse und dem Fettgewebe, kommuniziert. Zu ihnen zählen neben dem BDNF eine ganze Reihe von Zytokinen wie Interleukin-6 (IL-6) sowie IL-4, IL-7 und IL-15, aber auch Hormone wie Irisin, Musclin und Myostatin.
Wer ist beweglicher, wer kommt bis zu den Füßen? Sportliche Aktivitäten verbinden. Dabei muss jeder sein eigenes Bewegungsformat finden. Nur mit Spaß bleibt man auch dabei. / © Getty Images/Cecilie_Arcurs
Einige Myokine wie eben BDNF, aber auch Lactat oder Irisin können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dort für die bekannten positiven Effekte auf die Stimmung, das Stresslevel und die Kognition sorgen. Irisin fördert wiederum die BDNF-Freisetzung im ZNS selbst und Lactat die Gefäßneubildung.
Eine relativ neue Erkenntnis bezüglich BDNF: Der Wachstumsfaktor nimmt direkt Einfluss auf die Muskelfaserzusammensetzung. Dadurch, dass er bei körperlicher Aktivität direkt im Muskel gebildet wird, trägt er maßgeblich zum Wachstum weißer, kräftiger Muskelfasertypen bei – zulasten der roten Fasern, deren Zahl und Querschnitt sich reduziert. Es kommt quasi zu einem Faserswitch, die Muskeln werden dauerhaft umprogrammiert. »Das bedeutet – und hier ist der Link zum Seniorensport: Regelmäßiges Muskeltraining kann das Sturzrisiko von älteren Erwachsenen massiv reduzieren«, führt Schott aus.
Wie sieht es in der Praxis aus? Können die Best Agers und Senioren von den neuen Erkenntnissen profitieren? Das sieht die Expertin sehr kritisch: Bei Bewegungsangeboten für ältere Erwachsene sei noch viel Luft nach oben, und zwar sowohl hinsichtlich der Quantität als auch der Qualität. Derzeitige Angebote bezeichnet sie als »betreutes Sitzen mit Augenrollen. Dabei brauchen wir für ältere Erwachsene funktionelle Trainingsformate, die einen Mix aus allem beinhalten, also das Dehnen, das Spielen, Kraft- und Ausdauer, mal neue Sportarten ausprobieren, ein variables Training eben. Doch solche Formate sind relativ selten, weil immer noch gedacht wird, man müsse den älteren Menschen in Watte packen.«
Sie wünscht sich von Sportvereinen, Fitness-Studio-Betreibern oder etwa medizinischen Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz bezüglich Seniorenangeboten mehr progressives Denken in die Richtung: »Wir müssen uns nicht auf Stühle setzen, sondern wir können uns mit Senioren ganz normal bewegen. Man muss lediglich die Intensität anpassen«, spricht sie aus mehr als 20 Jahren Trainingserfahrung mit Senioren. »Ich habe mit meinen Senioren alles gemacht. Speerwerfen, Rollschuhlaufen oder Freihanteltraining – es ist nie etwas passiert, weil wir die Betreuung und die Intensitätssteuerung entsprechend angepasst haben.« Ihr ist es wichtig, den Teilnehmern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Das größte Hindernis sei schließlich die Angst.
Was heißt das konkret, was gehört zu einem seniorengerechten Angebot dazu? »Es gilt, den Schwierigkeits- und Belastungsgrad der Übungen dem Klientel anzupassen. Das umso mehr bei einer heterogenen Gruppe, in der es aufgrund von Vorerkrankungen auf kognitiver und motorischer Ebene größte Unterschiede gibt. Um das aufzufangen, arbeite ich gerne nach dem Mentoren-Prinzip und lasse die Teilnehmer paarweise trainieren. Derjenige, der die Übung gut beherrscht, hat ein Auge auf den, der dabei Schwierigkeiten hat. Für eine andere Bewegungsaufgabe switche ich die Pärchen. So erreiche ich auch mehr Kontrolle, als wenn ich als Übungsleiterin allein auf 40 Aktive achten muss.«
Mehr Professionalisierung bei Anbietern für Sportangebote sei dringend angezeigt. »Schließlich bilden wir die Menschen mit sportwissenschaftlichem Hintergrund an den Universitäten aus. Spezifische Trainer mit Schwerpunkt Gesundheit, ältere Erwachsene oder Ähnliches müssen dann in die Vereine oder ins Fitness-Studio. Das ist natürlich auch eine Kostenfrage. Speziell ausgebildete Übungsleiter sind mit den üblichen bezuschussten 10 Euro, die der Verein dafür bekommt, nicht abzubilden.«
Schott sieht Defizite bei den Bewegungsangeboten bereits bei jüngeren Erwachsenen. »Eine 30- bis 40-jährige Frau, die Wettkampfsport betreiben will, wird schwer etwas Passendes finden. Bei den Männern ist man da noch etwas besser aufgestellt. Wären dagegen die Angebote für 30-, 40- oder 50-Jährige besser, würden wir vielleicht eher dabeibleiben und wären in höherem Lebensalter besser trainiert.« /