Wer aktiv bleibt, ist länger fit |
Krafttraining hat ein schlechtes Images. Dabei ist es fürs Better Aging sinnvoller, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. / © Adobe Stock/HBS
Mit dem Alter lässt die Muskelkraft sehr deutlich nach. So verliert der Muskel etwa ab 60 Jahren jedes Jahr ein bis drei Prozent seiner Leistungsfähigkeit. »Das spielt sich vor allem in den unteren Extremitäten ab, weil wir zunehmend mehr sitzen. Je weniger eine Struktur beansprucht wird, desto stärker verkümmert sie. Kraft und Ausdauer lassen aufgrund geringerer Trainingsreize nach«, sagt Nadja Schott, Professorin am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft der Universität Stuttgart im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. »Insofern kann ich eigentlich immer empfehlen, Krafttraining zu machen – auch wenn es bei den Älteren ein nicht so gutes Image hat.«
Die Forschung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten gezeigt, dass die Skelettmuskulatur so viel mehr leistet, als uns zusammenzuhalten. »Muskeln geben ein Gefühl von Stabilität und Stärke, das entscheidend ist für die gesellschaftliche Teilhabe – gerade im Alter. Kann ich noch mit meinen Enkeln auf dem Fußballplatz mithalten? Allein Reisen organisieren oder die Einkäufe erledigen? Selbstständig leben?«
So wie der Muskel einen Trainingsreiz benötigt, um seine Funktion optimal ausführen zu können, benötigt auch das Gehirn ständigen Input, um lange agil und leistungsfähig zu bleiben. Und den bietet am besten die gesellschaftliche Partizipation. »Sozialer Rückzug ist ein bedeutender Risikofaktor für Demenz-Erkrankungen, weil durch fehlenden Austausch mit anderen Menschen das Gehirn weniger gefordert wird und weniger Reizen ausgesetzt ist - was den geistigen Abbau begünstigt. Sport ist quasi ein Vehikel, um erstens viele gesunde Verhaltensweisen umzusetzen und zweitens mit anderen in Kontakt zu kommen«, erklärt Schott die Zusammenhänge. Das sei auch der Grund dafür, warum Bewegung im Vergleich zum Kreuzworträtsel-lösen so viel besser ist. »Dadurch sitzen wir weniger, kommen raus, haben einen strukturierten Tagesablauf, müssen uns mit anderen Menschen auseinandersetzen, bekommen Impulse für eine gesündere Ernährung und nehmen vielleicht eher Vorsorgeuntersuchungen wahr.«
Genau das bekommt die Sportwissenschaftlerin von »meinen Senioren«, wie sie die Teilnehmer ihrer zahlreichen Sportgruppen nennt, gespiegelt. »Seit ich das Training besuche, kann ich endlich wieder mit meinem Mann wandern gehen oder die Einkäufe selbst die Treppe hochtragen.« Es gehe nicht darum, die Muckis wachsen zu lassen, wie Schott erklärt. Das Krafttraining sei immer mit etwas Funktionellem zu verbinden, also komplexe Bewegungsabläufe zu trainieren, die mehrere Gelenke und Muskeln gleichzeitig beanspruchen. So waren auch in einer von ihr durchgeführten Studie mit älteren Erwachsenen von im Mittel 75 Jahren die Effekte von Freihanteltraining bezüglich Kraft, Schnellkraft, Balance und Stabilität so viel besser als durch Maschinentraining, berichtet die ehemalige Studiendekanin für integrierte Gerontologie.
»Übungen mit Maschinen sind zum Start für ältere Erwachsene prima, um einen Einstieg ins Krafttraining zu finden. Dabei handelt es sich um sehr geführte Bewegungen, es ist immer nur ein Gelenk beteiligt. Ich propagiere jedoch das Freihanteltraining, weil der Körper damit viel näher an der Realität trainiert wird. Macht man zum Beispiel mit der Hantel eine Kniebeuge, ist das wie das Setzen auf die Toilettenbrille. Benutzt man mit der Hantelstange im Rücken den Stepper, trainiert das fürs Treppensteigen mit Einkaufstüten.«
Schott weist darauf hin, dass mit den Jahren vor allem Muskelfasern des schnellen, sogenannten Fast-Twitch- oder weißen Typs verloren gehen, also derjenige Muskelfasertyp, der kräftige Kontraktionen ermöglicht, der beim Hüpfen, Springen und einen Sturz verhindern hilft. Die roten Muskelfasern sind dagegen unsere Alltags-Dauer-Muskeln, die den ganzen Tag für uns aktiv sind. Sie sorgen für Haltung und helfen beim Ergreifen eines Gegenstandes. Weil sie sehr sauerstoffreich versorgt sind, sind sie rot. Sie sprechen auf Reize langsamer an, haben eine längere Kontraktionszeit, ermüden aber auch sehr viel langsamer.
Der rote Muskelfasertyp (Slow-Twitch-Faser), der bei ausdauernden Bewegungen gefordert wird, spricht auf Reize langsamer an, hat dabei eine längere Kontraktionszeit, ermüdet aber viel langsamer. Der weiße Muskelfasertyp (Fast-Twitch-Faser) kann sehr schnell reagieren und ermöglicht kräftige, kurze Kontraktionen. Er ermüdet schnell. / © Sabine Kranz
Dies gelte es, mit einem angepassten Training zu berücksichtigen. Der Unterschied im Training besteht darin, dass man die weißen Muskelfasern nur mit hohen Lasten aktivieren kann und die roten mit niedrigen Aktivitäten. »Wenn wir walken, trainieren wir die roten Muskelfasern. Damit betreiben wir Kardiotraining. Die weißen Muskelfasern bleiben jedoch unerreicht und bauen sich deshalb ab. Sie sind dann für schnelle Bewegungen nicht mehr rekrutierbar. Insofern ist Krafttraining wie mit der Freihantel ideal, das fordert die weißen Muskeln«, weiß die Sportwissenschaftlerin.
Beruhigend ist ihr Hinweis, dass es nie zu spät für eine Trendwende ist. »Freilich ist ein Mensch im Vorteil, der bereits in jungen Jahren intensiver Sport betrieben und sich gesund ernährt hat. Aber Trainingseffekte können auch frappierend sein, wenn sie erst mit 50, 60 oder 70 einsetzen. Auch mit 90 geht noch was, wie mir mein ältester Studienteilnehmer bewies. Natürlich spielt auch der Ausgangspunkt eine Rolle. Trainierte 70-Jährige erreichen mit ein bisschen Bewegung gar nichts. Die Muskelkraft eines untrainierten 70-Jährigen lässt sich dagegen mit systematischem Krafttraining erheblich steigern.«
Sie sieht trainierte Muskeln gewissermaßen als Altersvorsorge. Kann entsprechendes Funktions- und Krafttraining den Eintritt in ein Pflegeheim hinauszögern? Dass dies funktioniert, ist sich Schott ganz sicher. Dies zu dokumentieren, soll Ziel ihrer nächsten Studien sein.
Dass körperliche Aktivität kognitive Leistungen positiv zu beeinflussen mag, ist schon lange bekannt. Die Effekte waren etwa nach etwa drei bis sechs Monaten nachweisbar, wenn Studienteilnehmer mindestens zweimal pro Woche für etwa je eine Stunde in der Turnhalle zum Workout gingen, beim Aquajogging aktiv waren oder auf der Tartanbahn ihre Runden drehten. Dann hatten Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit genauso wie die Gedächtnisleistung zugenommen. Selbst das Vokalbellernen fällt leichter und klappt schneller, wenn es während eines Spazierganges passiert, wissen Hirnforscher.
Dass Aktivität nicht von heute auf morgen Früchte in Form besserer kognitiver Werte tragen kann, deckt sich laut Schott auch mit der sogenannten Aufwands-Hypothese. »Wenn ich meinen inneren Schweinehund überwunden habe und zum Training gegangen bin, fühle ich mich gut. Das implementiere ich nach einer gewissen Zeit in mein Verhaltensmuster und gehe wieder hin. Gemäß der Theorie des geplanten Verhaltens braucht es etwa ein halbes Jahr, bis wir unser Verhalten dauerhaft umsetzen«, sagt die Professorin für Psychologie und Bewegungswissenschaften. Förderlich dabei sei freilich, das für sich passende Bewegungsformat zu finden.
Wie kann man sich die ablaufenden Prozesse auf molekularer, struktureller und funktionaler Ebene im Gehirn vorstellen? »Verschiedene Trainingsformen wie Ausdauer- und Krafttraining, Tanz oder auch Tai-Chi stimulieren die Produktion sowohl von Exerkinen, Myokinen als auch von Wachstumsfaktoren wie etwa dem BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) oder dem IGF 1 (Insulin-like Growth Factor). Weil das Gehirn ein plastisches Gewebe ist, sorgen Trainingsreize zudem für eine verbesserte Synaptogenese; Nervenzellen werden neu gebildet, die zerebrale Blutversorgung steigt und die funktionale Konnektivität innerhalb des Gehirns wird verbessert. Diese Veränderungen könne sich in Verbesserungen des Gedächtnisses, aber auch von anderen kognitiven Funktionen niederschlagen«, erklärt Schott.
Vor allem neu zu lernende motorische Fertigkeiten bringen automatisch Herausforderungen für das Gehirn mit sich. Komplexe Bewegungen, wie die Schrittfolgen beim Tanzen oder auch bei Aktivitäten in der Natur, erfordern erhöhte Konzentration. »Das verstärkt die neuronale Aktivität und wirkt sich positiv auf die oben genannten Wachstumsfaktoren aus. Dadurch lernen die Systeme, und so verbessern sich vor allem bei den Nervenbahnen die Reizschwelle und die Reizfrequenz.«
Stete Trainingsreize lassen jene Region im Hirn wachsen, die zuständig für das Lernen und das Gedächtnis ist, den Hippocampus. »Das ist äußerst günstig – wo doch bekannt ist, dass das Gehirnvolumen zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr rund zehn Prozent abnimmt und dabei vor allem der Hippocampus und der Frontallappen schrumpfen. Im Alter kognitive Herausforderungen zu suchen, damit das Gehirn in Form bleibt, wirkt also dem Abbau entgegen«, formuliert es die Expertin.
Ursprünglich im Gehirn entdeckt, weiß man heute, dass BDNF bei Kontraktion vom Muskel selbst produziert wird. Damit zählt der Wachstumsfaktor zu der großen Gruppe der Myokine - also von bislang mehreren Hundert entdeckten Botenstoffen, die die Skelettmuskulatur selbst sezerniert und damit als eigenständiges endokrines Organ mit anderen Organen und Geweben, etwa dem Gehirn, der Bauchspeicheldrüse und dem Fettgewebe, kommuniziert. Zu ihnen zählen neben dem BDNF eine ganze Reihe von Zytokinen wie Interleukin-6 (IL-6) sowie IL-4, IL-7 und IL-15, aber auch Hormone wie Irisin, Musclin und Myostatin.
Wer ist beweglicher, wer kommt bis zu den Füßen? Sportliche Aktivitäten verbinden. Dabei muss jeder sein eigenes Bewegungsformat finden. Nur mit Spaß bleibt man auch dabei. / © Getty Images/Cecilie_Arcurs
Einige Myokine wie eben BDNF, aber auch Lactat oder Irisin können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und dort für die bekannten positiven Effekte auf die Stimmung, das Stresslevel und die Kognition sorgen. Irisin fördert wiederum die BDNF-Freisetzung im ZNS selbst und Lactat die Gefäßneubildung.
Eine relativ neue Erkenntnis bezüglich BDNF: Der Wachstumsfaktor nimmt direkt Einfluss auf die Muskelfaserzusammensetzung. Dadurch, dass er bei körperlicher Aktivität direkt im Muskel gebildet wird, trägt er maßgeblich zum Wachstum weißer, kräftiger Muskelfasertypen bei – zulasten der roten Fasern, deren Zahl und Querschnitt sich reduziert. Es kommt quasi zu einem Faserswitch, die Muskeln werden dauerhaft umprogrammiert. »Das bedeutet – und hier ist der Link zum Seniorensport: Regelmäßiges Muskeltraining kann das Sturzrisiko von älteren Erwachsenen massiv reduzieren«, führt Schott aus.
Wie sieht es in der Praxis aus? Können die Best Agers und Senioren von den neuen Erkenntnissen profitieren? Das sieht die Expertin sehr kritisch: Bei Bewegungsangeboten für ältere Erwachsene sei noch viel Luft nach oben, und zwar sowohl hinsichtlich der Quantität als auch der Qualität. Derzeitige Angebote bezeichnet sie als »betreutes Sitzen mit Augenrollen. Dabei brauchen wir für ältere Erwachsene funktionelle Trainingsformate, die einen Mix aus allem beinhalten, also das Dehnen, das Spielen, Kraft- und Ausdauer, mal neue Sportarten ausprobieren, ein variables Training eben. Doch solche Formate sind relativ selten, weil immer noch gedacht wird, man müsse den älteren Menschen in Watte packen.«
Sie wünscht sich von Sportvereinen, Fitness-Studio-Betreibern oder etwa medizinischen Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz bezüglich Seniorenangeboten mehr progressives Denken in die Richtung: »Wir müssen uns nicht auf Stühle setzen, sondern wir können uns mit Senioren ganz normal bewegen. Man muss lediglich die Intensität anpassen«, spricht sie aus mehr als 20 Jahren Trainingserfahrung mit Senioren. »Ich habe mit meinen Senioren alles gemacht. Speerwerfen, Rollschuhlaufen oder Freihanteltraining – es ist nie etwas passiert, weil wir die Betreuung und die Intensitätssteuerung entsprechend angepasst haben.« Ihr ist es wichtig, den Teilnehmern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Das größte Hindernis sei schließlich die Angst.
Was heißt das konkret, was gehört zu einem seniorengerechten Angebot dazu? »Es gilt, den Schwierigkeits- und Belastungsgrad der Übungen dem Klientel anzupassen. Das umso mehr bei einer heterogenen Gruppe, in der es aufgrund von Vorerkrankungen auf kognitiver und motorischer Ebene größte Unterschiede gibt. Um das aufzufangen, arbeite ich gerne nach dem Mentoren-Prinzip und lasse die Teilnehmer paarweise trainieren. Derjenige, der die Übung gut beherrscht, hat ein Auge auf den, der dabei Schwierigkeiten hat. Für eine andere Bewegungsaufgabe switche ich die Pärchen. So erreiche ich auch mehr Kontrolle, als wenn ich als Übungsleiterin allein auf 40 Aktive achten muss.«
Mehr Professionalisierung bei Anbietern für Sportangebote sei dringend angezeigt. »Schließlich bilden wir die Menschen mit sportwissenschaftlichem Hintergrund an den Universitäten aus. Spezifische Trainer mit Schwerpunkt Gesundheit, ältere Erwachsene oder Ähnliches müssen dann in die Vereine oder ins Fitness-Studio. Das ist natürlich auch eine Kostenfrage. Speziell ausgebildete Übungsleiter sind mit den üblichen bezuschussten 10 Euro, die der Verein dafür bekommt, nicht abzubilden.«
Schott sieht Defizite bei den Bewegungsangeboten bereits bei jüngeren Erwachsenen. »Eine 30- bis 40-jährige Frau, die Wettkampfsport betreiben will, wird schwer etwas Passendes finden. Bei den Männern ist man da noch etwas besser aufgestellt. Wären dagegen die Angebote für 30-, 40- oder 50-Jährige besser, würden wir vielleicht eher dabeibleiben und wären in höherem Lebensalter besser trainiert.« /