Was Krebspatienten essen sollten |
Annette Rößler |
02.05.2023 18:00 Uhr |
Abwechslungsreich und ausgewogen: Eine gesunde Ernährung sieht bei Krebspatienten nicht anders aus als bei Gesunden. Allerdings sollte mehr Eiweiß und auch etwas mehr Fett verzehrt werden. / Foto: Getty Images/Kseniya Ovchinnikova
Ob Granatapfel, Methylsulfonylmethan, Indol-3-Carbinol, Omega-3-Fettsäuren oder Fucoxanthin: Immer wieder liest man von einzelnen Lebensmitteln oder auch Nahrungsergänzungsmitteln, die Krebspatienten gezielt verzehren oder stattdessen, wie etwa Milchprodukte oder Soja bei Brustkrebs, möglichst meiden sollten. »Hier werden meist Ernährungsempfehlungen aus Ergebnissen der Grundlagenforschung abgeleitet, ohne dass es dafür Wirksamkeitsbelege aus klinischen Studien gibt«, sagte Dr. Kerstin Wittenberg vom Krebsinformationsdienst kürzlich bei einer Online-Informationsveranstaltung zum Thema »Ernährung bei Krebs«. Nicht selten stünden hinter Anpreisungen von sogenannten Krebsdiäten auch wirtschaftliche Interessen.
Tatsächlich habe aber noch für keine einzelne Nahrungskomponente und auch nicht für eine bestimmte Diät gezeigt werden können, dass sie Krebs heilen kann. Wie für Menschen ohne Krebserkrankung gälten daher auch für Krebspatienten die allgemeinen Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung.
So solle die Nahrungsmittelauswahl möglichst abwechslungsreich ausfallen und pflanzliches Öl, Vollornprodukte sowie pro Tag fünf Portionen Obst und Gemüse beinhalten. Tierische Produkte sollten lediglich als Ergänzung dienen (maximal 500 g rotes Fleisch pro Woche), die Verwendung von Zucker und Salz sollte sparsam erfolgen und Wasser als Getränk bevorzugt werden. Darüber hinaus sollten Speisen schonend zubereitet und bewusst verzehrt werden. »Wenn es ihnen möglich ist, sollten Krebspatienten außerdem mindestens 150 Minuten pro Woche körperlich aktiv sein und nur wenig oder noch besser gar keinen Alkohol trinken«, sagte Wittenberg.
Von einseitigen Ernährungsweisen sei auch deshalb abzuraten, da bei Krebspatienten häufig die Gefahr einer Mangelernährung bestehe. Bei bestimmten Krebsarten im oberen Verdauungstrakt, etwa bei Bauchspeicheldrüsen-, Speiseröhren- oder Magenkrebs, sei dieses Risiko besonders hoch. Über alle Krebsarten hinweg seien laut einer 2021 erschienenen Übersichtsarbeit bereits bei Diagnosestellung 15 bis 40 Prozent der Patienten mangelernährt und dieser Anteil erhöhe sich im Verlauf der Therapie auf 40 bis 80 Prozent (»Nutrients«, DOI: 10.3390/nu13061980).
Auch wenn sie konkret nicht von Mangelernährung bedroht sind, brauchen Krebspatienten von zwei Nährstoffen mehr als Menschen, die nicht an Krebs erkrankt sind: Eiweiß und Fett. »Der Proteinbedarf beträgt bei Krebspatienten 1 bis 1,5 g pro kg Körpergewicht und Tag, bei Gesunden sind es 0,8 g pro kg Körpergewicht und Tag«, informierte Wittenberg. Zudem sollten 35 statt 30 Prozent der täglichen Energieaufnahme durch Fett gedeckt werden.
Abzuraten sei von der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) ohne Absprache mit dem behandelnden Onkologen, da es möglicherweise zu Wechselwirkungen mit der Radio- oder Chemotherapie kommen könne. Da NEM als Lebensmittel eingestuft werden, müssen Anbieter keine Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweise erbringen, es gibt keine Höchstmengenbeschränkungen und die tatsächlichen Gehalte der angegebenen Inhaltsstoffe dürfen bis zu 50 Prozent von den deklarierten Werten abweichen. So können etwa Antioxidanzien schnell massiv überdosiert werden, was die Wirkung von Krebstherapeutika abschwächen kann.
Wittenberg empfahl daher, NEM nur bei nachgewiesenem Mangel, nur im Rahmen der Referenzwerte und nur auf Anweisung des Arztes einzunehmen. Verlässliche Angaben zu empfohlenen Verzehrmengen fänden sich auf den Websites der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Verbraucherzentrale und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).
Für eine Mangelernährung bei Krebs gebe es verschiedene Definitionen, die unabhängig voneinander gelten. Sie lauten:
»Das Kriterium des Gewichtsverlusts kann auch bei übergewichtigen oder fettleibigen Patienten erfüllt sein. Auch diese Patienten können also mangelernährt sein«, betonte Wittenberg. Mangelernährte Patienten seien infektanfälliger, würden die Krebstherapie schlechter vertragen und hätten ein höheres Sterberisiko als Patienten mit gutem Ernährungszustand. Besonders negativ wirke sich eine Kachexie aus, bei der »sehr viel mehr katabole Mechanismen ablaufen als beim Hungern«, weil sich der Tumor der normalen Stoffwechselkontrolle entziehe.
Appetitanregende Medikamente wie Corticosteroide, Progestine oder auch Omega-3-Fettsäuren seien nur etwas für Patienten in fortgeschrittenen Stadien einer Mangelernährung. Zunächst sei die wichtigste Maßnahme – neben der Therapie der zugrunde liegenden Krebserkrankung, einer Supportivtherapie und körperlicher Aktivität – eine Ernährungstherapie. Auf diese ging Ingeborg Rötzer, die Leiterin der Ernährungstherapie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, genauer ein.
»Um ernährungsbezogene Defizite zu vermeiden, bieten wir ergänzend zur normalen Kost sehr frühzeitig Trinknahrung an«, berichtete die Ökotrophologin. Dabei sei Trinknahrung nicht gleich Trinknahrung. Als normokalorisch oder »Standard« deklarierte Produkte enthielten 1 kcal/ml, energiereiche (»Energy«) 1,5 kcal/ml und proteinreiche (»Protein«) 10 g Eiweiß/100 ml. Teilweise seien auch Ballaststoffe enthalten. Letzteres ist empfehlenswert, wenn der Patient unter Obstipation leidet oder der Blutzucker ansonsten zu stark ansteigt. Trinknahrungen ohne Fett oder solche, die die Hauptnährstoffe in Einzelkomponenten enthalten, seien speziell für Patienten mit Pankreas- oder Darmkrebs vorgesehen.
Um die vom Patienten bevorzugte Geschmacksrichtung zu ermitteln, empfehle sich zu Beginn die Verordnung eines Mischkartons. Generell schmeckten die Produkte gekühlt meistens besser als bei Raumtemperatur. »Wichtig ist, dass die Patienten die Trinknahrung zusätzlich zu ihrer normalen Kost als Zwischenmahlzeit zu sich nehmen sollten, nicht zu den Mahlzeiten und auch nicht als Ersatz für die normale Flüssigkeitsaufnahme«, sagte Rötzer. Die Päckchen sollten gut geschüttelt und dann schluckweise getrunken werden – »langsam, also über mindestens 30 Minuten«, verdeutlichte die Referentin. Ansonsten könne es zu Durchfall kommen.
Bei Appetitlosigkeit kann es helfen, kalte, geruchsarme Speisen in kleinen Portionen zu verzehren. / Foto: Adobe Stock/chartphoto
Trinknahrung zur Sicherung der Nährstoffzufuhr sei insbesondere bei Entzündungen im Mundraum wichtig, die eine häufige Nebenwirkung der Chemotherapie darstellt. Vor allem unter platinhaltigen Zytostatika kann es zudem zu Geschmacksstörungen kommen, die bis zu 90 Tage nach der letzten Gabe anhalten können. Betroffenen Patienten gab Rötzer folgende Ratschläge: den Mund vor dem Essen ausspülen, öfters kleine Mengen trinken, Wasser aromatisieren (gefrorene Früchte, frische Gurke, Zitrusfrüchte), Fleisch marinieren (bei Abneigung auf Fisch ausweichen), Vanille, Zimt oder Tonkabohne zum Überdecken des Metallgeschmacks, Kunststoff- statt Metallbesteck verwenden, Bonbons oder schutzfilmbildende Lutschtabletten lutschen.
Auch 40 bis 50 ml eines abgekühlten Leinsamenaufgusses (zwei Esslöffel Leinsamen mit 200 ml kochendem Wasser aufgießen, mindestens 30 Minuten quellen lassen und die Flüssigkeit abgießen) vor der Mahlzeit zu trinken, könne schlechten Geschmack vertreiben und sei zudem ein probates Mittel bei trockenen Schleimhäuten.
Vielen Krebspatienten vergeht unter der Therapie zumindest zeitweise die Lust aufs Essen. Kommt der Appetit zurück, sollten energie- beziehungsweise eiweißreiche Speisen und Snacks schon verfügbar sein und nicht erst eingekauft werden müssen. »Legen Sie also rechtzeitig Vorräte an«, riet Rötzer. Weitere Tipps bei Appetitlosigkeit: nicht selbst kochen, mehrere kleine, über den Tag verteilte Mahlzeiten, kalte, geruchsarme Speisen statt warme Speisen, Bewegung an der frischen Luft, etwas Fleischbouillon trinken, Brot toasten, Übelkeit mit Medikamenten behandeln, bei schnellem Völlegefühl zwischen statt zu den Mahlzeiten trinken.
Und was tut man, wenn ein Patient unter einer Krebstherapie zu- statt abnimmt? Das komme etwa bei Brustkrebs recht häufig vor, so Rötzer. Während der Therapie sei eine bewusste Reduktion des Gewichts nicht zu empfehlen. Danach könne durch ausgewogene Ernährung und viel Bewegung, möglicherweise unterstützt von Apps eine Gewichtsreduktion angestrebt werden. Auch dabei helfe eine spezialisierte Ernährungsberatung.