Was ist los bei Noventi? |
Zum Erfolg verdammt: Die neue Noventi-Doppelspitze sollte den Dienstleistungskonzern in stabilere Fahrwasser bringen, meint PZ-Chefredakteur Benjamin Rohrer. / Foto: picture alliance / Hans-Joachim Rech
Der apothekereigene Dienstleistungskonzern Noventi erlebt schwere Zeiten. Erst am vergangenen Wochenende wurde bekannt, dass der Konzern zahlreiche Gebühren erhöht und eine neue Energiekostenpauschale einführt. In den Apotheker-Gruppen auf Facebook und Co. sorgte dies für schlechte Stimmung. In der PZ erklärte der Konzern dazu, dass die Apotheken im Schnitt lediglich mit 70 Euro pro Monat mehr belastet würden. Bei vielen Apothekerinnen und Apothekern sorgte aber genau diese Aussage für noch mehr Ärger. Ein Inhaber aus Hessen mit einem Filialverbund (4 Standorte) rechnet gegenüber der PZ vor, dass sein Verbund mit rund 560 Euro mehr pro Monat rechnen müsse. Auch eine Apothekerin aus Schleswig-Holstein (zwei Apotheken im Verbund) erklärte, dass insbesondere die neue Energiekostenpauschale hohe Mehrkosten verursache. Denn neben dem Fixbetrag von knapp 13 Euro gilt ab November eine Handlingpauschale (2 Cent pro Rezept), die insbesondere ihre Filiale mit hohem Rx-Umsatz treffe. Der Pharmazeutin zufolge fallen alleine für ihre Filiale und die neue Energie-Pauschale monatliche Mehrausgaben von rund 190 Euro an.
Der Ärger der Pharmazeuten über die Preiserhöhungen und die misslungene Kommunikation hatte sich noch nicht ganz gelegt, da sorgte der Noventi-Konzern am gestrigen Montagabend erneut für Schlagzeilen. Der langjährige CEO Hermann Sommer und sein Finanzchef Victor Castro verlassen das Unternehmen wegen »unüberbrückbarer Differenzen« mit dem Aufsichtsrat. Das Ausscheiden Sommers und Castros wäre nicht so auffällig, wenn es ein Einzelfall wäre. Vielmehr aber haben sich die Entlassungen auf Spitzenebene der Noventi in den vergangenen Monaten gehäuft: Im Frühjahr verließ Vorstand Sven Jansen den Konzern, wenig später folgte der Software-Bereichsvorstand und für die Awinta-Reihe zuständige Mathias Schindl. Aber damit noch nicht genug: Auch Chef-Lobbyistin Manuela-Andrea Pohl, erst kurz zuvor von der Gehe gekommen, ist nicht mehr im Konzern tätig.
Natürlich kann es sein, dass all diese Entlassungen auf Einzelfallentscheidungen zurückgehen. In dieser geballten Menge und in diesem kurzen Zeitraum können sie aber auch darauf hinweisen, dass es im Konzern gärt und dass an einer Neuausrichtung gefeilt wird. Hört man sich im Unternehmensumfeld der Noventi um, wird auch schnell klar, dass es gleich mehrere Gründe für eine solche Neuausrichtung gibt. Erstens leidet die Noventi derzeit gewissermaßen unter demselben E-Rezept-Kater, unter dem auch beispielsweise der Schweizer Zur-Rose-Konzern leidet. Gemeinsam mit anderen Unternehmen im Markt hat die Noventi Millionenbeträge in die Entwicklung von Produkten und Marketing-Aktivitäten investiert, die allesamt ein Thema fokussieren: das E-Rezept. Alleine im vergangenen Jahr hat der Konzern einen zweistelligen Millionenbetrag in die Plattform gesund.de investiert, die mit Blick auf die E-Rezept-Einführung eine der meistgenutzten Smartphone-Apps im Gesundheitsmarkt werden sollte. So lautete jedenfalls die Vision. Die Realität sieht aber anders aus: In Westfalen-Lippe testen gerade einmal 200 Praxen das neue Verordnungssystem mit Papierausdrucken. Davon, dass Millionen Menschen in Deutschland Apps zur Rezept-Einlösung verwenden, sind wir meilenweit entfernt.
Zweitens hat die Noventi in den vergangenen Jahren gleich mehrere Probleme im Kerngeschäft hinzubekommen. Die Integration vieler ehemaliger AvP-Kunden hat zwar gut funktioniert und konnte den Umsatz kurzfristig steigern. Aber im Hintergrund formieren sich schon die Direktabrechner, die das Geschäft der Rechenzentren grundsätzlich in Frage stellen und mit immer mehr Krankenkassen Verträge abschließen. Vor dem Hintergrund des steigenden Kostendrucks wäre es nicht verwunderlich, wenn immer mehr Apotheken sich künftig für diesen Weg entscheiden. Im PZ-Interview sagte Ex-CEO Hermann Sommer dazu, dass man den Apotheken künftig Sofort-Auszahlungen anbieten möchte, um auf den Konkurrenzdruck der Direktabrechner zu reagieren. Aber reicht das?
Ähnlich verzwickt ist die Lage im Software-Bereich (Awinta). Die Noventi hatte versucht, die verschiedenen Awinta-Software-Linien zu verinheitlichen – ein Versuch, der scheiterte. Die Apotheken wollten schlichtweg an ihren Produkten festhalten. Dabei ist der Gedanke dahinter nachvollziehbar: Es ist einfach zu kostenintensiv, Entwickler für mehrere Software-Linien zu beschäftigen, wenn die Anforderungen an die Produkte alle ähnlich sind und sich in einer Sammel-Lösung zusammenfassen ließen. Hinzu kommen auch hier Herausforderungen mit dem E-Rezept: Der von Sommer vorgegebene E-Rezept-Schwerpunkt hat die Noventi auch in Sachen Software quasi per Zwang zum Innovationsvorreiter gemacht. Alle betriebenen E-Rezept-Projekte und -Tests haben Entwicklungszeit, Arbeitszeit und somit Geld gekostet. Man denke nur an die Entscheidung, allen Nicht-Awinta-Apotheken separate Laptops zur Verfügung zu stellen, nur damit diese am E-Rezept-Projekt der TK teilnehmen konnten. Wirklich Geld verdient hat die Noventi mit diesem Aufwand wahrscheinlich wenig.
Insofern dürfte es ein Ansinnen des Aufsichtsrates sein, dass sich die Unternehmensführung wieder darauf besinnt, Erfolg im Kerngeschäft herbeizuführen. Aus Apothekersicht kann man der neuen Doppelspitze Mark Böhm, schon vorher im Vorstand für Markt- und IT-Themen zuständig, und Frank Steimel (neuer CFO) viel Erfolg dabei wünschen. Denn Tausende Apotheken und somit ein gutes Stück der Arzneimittelversorgung in Deutschland hängen davon ab, dass die Noventi funktioniert. Der AvP-Niedergang hat gezeigt, welche immensen Auswirkungen der Zusammenbruch eines Dienstleisters haben kann – auf kleiner Ebene. Die Noventi sollte also schnellstmöglich Stabilität im Unternehmen anstreben, um die Apotheken nicht zu gefährden.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.