Was geht, was geht nicht? |
Ein Ikterus, also die Gelbfärbung von Haut und Schleimhäuten, kann Anzeichen einer Leberzirrhose sein. / Foto: Getty Images/MediaProduction
Die Leber leistet zahlreiche lebenswichtige Aufgaben. Sie ist am Stoffwechsel von Fetten, Eiweißen und Kohlenhydraten beteiligt, synthetisiert wichtige Substanzen wie Gerinnungsfaktoren, Plasmaproteine und Gallensäuren, stellt eine Immunbarriere für Bakterien und Antigene aus dem Darm dar und ist für die Metabolisierung und Entgiftung endogener und exogen zugeführter Substanzen verantwortlich. Dies lässt erkennen, dass viele physiologische Prozesse bei einer eingeschränkten Leberfunktion beeinträchtigt sein können.
Lebererkrankungen haben sehr unterschiedliche Ursachen, Ausprägungen und Schweregrade. Sie lassen sich nach der Art der Schädigung in cholestatische und hepatozelluläre Erkrankungen einteilen. Bei den hepatozellulären Formen sind die Hepatozyten selbst betroffen und können ihre vielfältigen Aufgaben nicht mehr erfüllen. Cholestatische Erkrankungen sind durch Störungen im Gallensystem bedingt. Kommt es dabei zum Stau der aggressiven Gallenflüssigkeit in den Gallengängen und einer nachfolgenden Entzündung, können sekundär auch die Hepatozyten betroffen sein (25).
Der Schweregrad einer Lebererkrankung kann zwischen vorübergehenden, harmlosen Erhöhungen der Transaminasen bis zu einem Verlust der Funktionsfähigkeit bei der fortgeschrittenen Leberzirrhose variieren (siehe auch PZ-Titelbeitrag 38/2023 [31]). Eine Leberzirrhose kann als Endstadium einer Lebererkrankung unterschiedlicher Ursachen verstanden werden.
Für die Arzneimitteltherapie relevante Veränderungen beginnen bereits bei höheren Stadien der Leberfibrose, dem bindegewebsartigen Umbau mit zunehmendem Funktionsverlust, und sind sicher relevant bei Leberzirrhose. Andere Lebererkrankungen wie kleinere Metastasen, die keine Gallengänge oder Blutgefäße abdrücken, führen nicht zu einer relevanten Leberfunktionseinschränkung.
Der Schweregrad wird meist als Child-Pugh-Klassifikation A bis C angegeben; darauf beziehen sich auch die Dosisanpassungen und Kontraindikationen vieler Arzneimittel. Dieser Bezug wird von der Europäischen Zulassungsbehörde EMA und der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) so vorgegeben (11, 15). Allerdings ist der Child-Pugh-Score aufgrund der subjektiven Einstufung der Symptome Enzephalopathie und Aszites, der Veränderung der Symptome durch die Therapie und die mangelnde Berücksichtigung der für die Arzneimitteltherapie relevanten Veränderungen bei Leberinsuffizienz kritisch zu hinterfragen.
In den Fachinformationen sind die Hinweise zum Einsatz von Arzneimitteln bei verschiedenen Stadien der Leberinsuffizienz häufig ungenau und unzureichend (36). Weiterführende Empfehlungen unter Berücksichtigung zusätzlicher Literatur können deshalb von den Angaben der Fachinformationen und damit der offiziellen Zulassung abweichen.
Verschiedene Folgeerkrankungen sind typisch für eine Leberinsuffizienz. Zu ihrer Behandlung werden charakteristische Arzneimittel und Dosierungen eingesetzt, anhand derer man die Patienten oft erkennen kann (Tabelle 1). Vor allem die Kombination der Medikation gibt einen Hinweis, dass der Patient sehr wahrscheinlich an einer Leberinsuffizienz leidet.
Eine Leberinsuffizienz, vor allem im fortgeschrittenen Stadium, beeinflusst Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Bei der Pharmakokinetik geht es nicht nur um eine eingeschränkte hepatische Metabolisierung, sondern auch um Veränderungen der Absorption (zum Beispiel oral oft verzögert), der Verteilung (zum Beispiel durch große hydrophile Kompartimente bei Aszites oder mehr freien Arzneistoff bei geringem Albuminspiegel) oder Elimination (zum Beispiel mit der Galle). Viele Patienten haben bei fortgeschrittener Leberinsuffizienz zusätzlich eine eingeschränkte Nierenfunktion. Hinsichtlich der Pharmakodynamik können Nebenwirkungen und veränderte Wirkungen der Arzneistoffe von Bedeutung sein.
Arzneistoff | Wirkung | Tägliche Dosierung | Kommentar |
---|---|---|---|
Portale Hypertonie | |||
Propranolol | nicht selektiver Betablocker (β1, β2), Blutdrucksenkung | initial 2×10 bis 20 mgZieldosis bis zu 320 mg (selten erreicht) | zugelassen in der Indikation, Compliance wegen systemischer Blutdrucksenkung schwierig |
Carvedilol | nicht selektiver Betablocker (β1, β2, α1), Blutdrucksenkung | initial 1×3,25 bis 6,25 mgZieldosis 12,5 bis 25 mg | keine Zulassung in der Indikation in Deutschland, Compliance wegen systemischer Blutdrucksenkung schwierig |
Aszites | |||
Spironolacton | Aldosteron-Antagonist, Diuretikum | initial 100 mg, Anpassung nach VerlaufMaximaldosis 400 mg | in schweren Fällen Kombination mit Schleifendiuretikumcave: Elektrolytverschiebungencave: Gynäkomastie als Nebenwirkung |
Hepatische Enzephalopathie | |||
Lactulose | nicht resorbierbares Disaccharid Senkung der Ammoniakproduktion im Darm durch pH-Änderung, Laxans | 3×10 bis 30 ml | erwünscht sind zwei bis drei weiche Stuhlgängecave: Diarrhö |
Rifaximin | nicht resorbierbares Antibiotikum, hemmt Ammoniak-produzierende Bakterien | 2×550 mg | auch in Kombination mit Lactulose |
Ornithinaspartat | Substrat im Harnstoffzyklus, Ammoniak-Umsatz gesteigert | 3×3 bis 6 g | |
Rezidivierende Ulcera, Risiko Ösophagusvarizen-Blutung | |||
PPI, zum Beispiel Pantoprazol, Esomeprazol | Protonenpumpeninhibition | zum Beispiel 1×40 mg Pantoprazol | Dauertherapie kritisch hinterfragen |
Die Symptome einer hepatischen Enzephalopathie reichen von leichten Beschwerden wie Reaktions- und Konzentrationsstörungen oder Schlafstörungen bis hin zum Koma hepaticum. Obstipation kann eine Episode auslösen, da toxische Metabolite, darunter Ammoniak, länger im Darm verbleiben und vermehrt wieder ins Blut aufgenommen werden. Weitere Faktoren wie eine Infektion oder Dehydrierung können das Risiko erhöhen (3).
Wichtige Arzneistoffgruppen, bei denen Obstipation als Nebenwirkung auftritt, sind Analgetika (Opioide, NSAR), anticholinerg wirksame Substanzen (zum Beispiel viele Psychopharmaka, Antihistaminika), Eisenpräparate, Antihypertensiva (zum Beispiel Calciumantagonisten, Betablocker) und Setrone (2, 35). Bei der Neuverordnung eines Opioids wird immer empfohlen, aufgrund der zu erwartenden Obstipation ein Abführmittel, vorzugsweise auf Macrogol-Basis, zu verordnen. Dies gilt für Leberpatienten ganz besonders.
Leberkranke Menschen müssen sorgfältig ärztlich überwacht werden. So sind unter anderem Elektrolyt- und Leberenzymwerte zu kontrollieren. / Foto: Leberstiftung
Anticholinerge Nebenwirkungen finden sich bei zahlreichen Arzneistoffen. Obstipation trat zum Beispiel mehr als doppelt so häufig bei der Einnahme von anticholinergen Spasmolytika gegen Blasenschwäche auf als unter Placebo (29). Anhand ihrer anticholinergen Wirkstärke wird Arzneistoffen eine anticholinerge Potenz von Null (keine) bis 3 (hoch) zugeordnet. Die anticholinerge Last (ACB) ergibt sich aus der Summe aller anticholinergen Arzneistoffe eines Patienten. Ab einem Wert von 3 gilt diese bereits als hoch mit dem Risiko entsprechender Nebenwirkungen (22). Eine schnelle Orientierung bieten Onlinetools wie der ACB-Calculator (www.acbcalc.com).
Der Zusammenhang zwischen anticholinergen Nebenwirkungen, Obstipation und dem Auslösen oder der Verschlechterung einer hepatischen Enzephalopathie ist wahrscheinlich vielen Ärzten nicht bewusst. Erschwerend kommt hinzu, dass zum Beispiel Psychopharmaka oder Spasmolytika bei Blasenschwäche vom Facharzt verordnet werden und der Hausarzt nicht unbedingt informiert wird.
Eine verlängerte QTc-Zeit geht mit einem erhöhten Risiko für Extrasystolen und potenziell lebensbedrohliche Torsades-de-Pointes-Tachykardien (TdP) einher. Sie tritt bei 30 bis 70 Prozent der Patienten mit Leberzirrhose auf und ist mit einem schlechteren Outcome, inklusive einer erhöhten Mortalität verbunden (24).
Die Ursachen sind nicht ganz klar. Mögliche Mechanismen beinhalten Elektrolytverschiebungen (zum Beispiel durch Aszites, renale Einschränkungen, Diuretika-Therapie, Zirrhose-assoziierte Hyponatriämie), verminderte Metabolisierung von Arzneistoffen mit QTc-verlängerndem Potenzial und die Schädigung von Kardiomyozyten durch Akkumulation von toxischen Metaboliten wie Gallensalzen (24).
Eine Verlängerung der QTc-Zeit ist für mehr als 250 Arzneistoffe als Nebenwirkung bekannt. CredibleMeds ist eine vom Arizona Center for Education and Research on Therapeutics (AZCERT) bereitgestellte Online-Informationsquelle, die international als Standard genutzt wird (www.crediblemeds.org). Arzneistoffe werden hier klassifiziert als
Das individuelle Risiko des Patienten hängt in der Regel von weiteren Risikofaktoren ab, darunter auch eine Leberinsuffizienz. Verschiedene Scores wurden entwickelt, um besonders gefährdete Patienten zu identifizieren. In der Praxis gut einsetzbar ist zum Beispiel der Risikoscore nach Tisdale; in diesen fließen Alter, kardiale Vorerkrankungen, Elektrolytverschiebungen, QTc-Verlängerungen im EKG und QTc-verlängernde Arzneimittel mit ein (34). Obwohl eine Leberzirrhose als Risikofaktor gut bekannt ist, wird sie in den Scores bisher kaum einbezogen.
Regelmäßige EKG-Kontrollen helfen, mögliche QTc-Zeit-Verlängerungen rasch zu erkennen. / Foto: Adobe Stock/Robert Poorten
Patienten mit Leberzirrhose sollten regelmäßig mithilfe eines EKG auf mögliche QTc-Zeit-Verlängerungen überwacht werden. Die Medikation muss kritisch evaluiert werden; über CredibleMeds kann das Risiko für Arzneistoffe schnell online eingesehen und mögliche Alternativen können geprüft werden. Problematisch sind zum Beispiel Protonenpumpenhemmer, die häufig bei Leberzirrhose längerfristig gegeben werden. Sie können zu Hypomagnesiämie führen und haben nachgewiesen ein »conditional risk of TdP« (24). Viele Patienten erhalten zudem zur Aszitesbehandlung Schleifendiuretika, die ebenfalls als Risikofaktor zählen (34).
Sedierende Effekte sind ein Risikofaktor für eine hepatische Enzephalopathie. Die Einnahme von Benzodiazepinen über drei bis zehn Tage verfünffachte in einer Studie das Risiko für eine Episode hepatischer Enzephalopathie (19).
Grundsätzlich wird empfohlen, auf Benzodiazepine und Z-Substanzen bei schwerer Lebererkrankung zu verzichten. Sie werden überwiegend hepatisch metabolisiert. Bei einigen Stoffen, zum Beispiel bei Zopiclon und Diazepam, entstehen aktive Metabolite; die Halbwertszeit kann sich bei schwerer Leberinsuffizienz verdoppeln (37).
Sind Hypnotika unverzichtbar, sollte sehr niedrig begonnen, nur langsam aufdosiert und kurz (weniger als eine Woche) behandelt werden. Insbesondere langwirksame Benzodiazepine sind zu vermeiden. Lorazepam zeigt auch eine verlängerte Halbwertszeit bei schwerer Leberinsuffizienz, wird aber als mögliche Alternative angesehen (37). Andere Autoren empfehlen eher Benzodiazepine mit einem einfachen, nur auf Glucuronidierung beruhenden Metabolisierungsweg, zum Beispiel Oxazepam (6).
Von Zolpidem wird abgeraten, denn es liegen Berichte über kognitive Einschränkungen und hepatische Enzephalopathie vor. Wenn überhaupt, ist eher Zopiclon in sehr niedriger Dosierung zu diskutieren (6).
Sedierende Effekte spielen auch bei vielen anderen Arzneistoffgruppen wie Antiepileptika oder Antidepressiva eine Rolle. Antihistaminika sind nicht nur wegen dieser Nebenwirkung, sondern auch wegen anticholinerger Wirkungen problematisch. Laut ACB-Calculator haben Diphenhydramin und Doxylamin eine hohe anticholinerge Potenz von 3, Dimetinden dagegen nur von 1. Antihistaminika als rezeptfrei verkäufliche Schlafmittel sollten bei Patienten mit Leberzirrhose vermieden werden.
Patienten mit Leberzirrhose leiden häufig unter Schmerzen, nach Literaturangaben sind 30 bis 79 Prozent betroffen (28). Neben üblichen Ursachen kommen bei fortgeschrittener Leberinsuffizienz besonders Schmerzen im Abdomen und unteren Rücken durch den Aszites hinzu (20). Die Auswahl der Schmerztherapie muss sich an Art und Ursache des Schmerzes orientieren, ist aber bei dieser Patientengruppe eingeschränkt.
Paracetamol ist entgegen der Erwartung vieler Ärzte und Apotheker nicht kontraindiziert bei Leberinsuffizienz, obwohl es bei Überdosierung zu toxischen Abbauprodukten und schwerer Leberschädigung führen kann. Dies ist aber eine Frage der Dosis. Die empfohlene Tagesmaximaldosis für gesunde Erwachsene liegt bei 4 g täglich (20). Hepatotoxizität tritt auf bei höheren Dosen, laut Literatur erst ab 10 bis 15 g täglich (28, 37). Ein erhöhtes Risiko besteht bei Alkoholkrankheit und alkoholinduzierter Leberinsuffizienz, da es hier zum Glutathionmangel und der vermehrten Bildung des hepatotoxischen Abbauprodukts kommt (28).
Auch Patienten mit Leberschäden können kurzzeitig Paracetamol einnehmen. NSAR sind aber tabu. / Foto: Adobe Stock/manu
Für Patienten mit Leberzirrhose empfiehlt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) eine Tagesmaximaldosis von 2 g Paracetamol oral (33). Niederländische Empfehlungen bezeichnen bis zu 3 g täglich als sicher auch bei Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh C (16). Andere Empfehlungen differenzieren: Paracetamol ist Mittel der Wahl und kann bei akutem Schmerz mit 3 bis 4 g täglich gegeben werden. Chronisch (länger als 14 Tage) sollten nur 2 g Tagesdosis verordnet werden. Alkohol ist zu vermeiden oder bei Alkoholkonsum die Dosis auf 2 g täglich zu begrenzen (20, 28).
Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) sollten dagegen vermieden werden. Gründe sind die Einschränkung der Nierenfunktion, die bei fortgeschrittener Leberzirrhose meist sowieso reduziert ist, das verminderte Ansprechen auf Diuretika und damit eine schlechtere Aszitestherapie sowie das erhöhte Risiko für gastrointestinale Ulzera und Blutungen (20, 32). So stieg die Wahrscheinlichkeit von gastrointestinalen Blutungen bei Leberpatienten in Studien um den Faktor 2 bis 3 unter der Einnahme eines NSAR (7, 20, 27). Indometacin reduzierte die renale Durchblutung und die glomeruläre Filtrationsrate bereits bei Patienten mit Child-Pugh A signifikant (20).
Cyclooxygenase-2-Inhibitoren haben aufgrund ihrer selektiveren Wirkung weniger gastrointestinale und renale Nebenwirkungen. Bei Leberzirrhose sehen einige Autoren eine kurzzeitige Behandlung (weniger als fünf Tage) in den Stadien Child-Pugh A und B mit Dosisreduktion auf 50 Prozent als vertretbar an (28). Überwiegend werden Cox-2-Inhibitoren allerdings als nicht sicher eingestuft, da wenig Daten vorliegen und das Risiko der weiteren Nierenfunktionseinschränkung auch hier besteht (16, 20, 33).
Verschiedene Antiepileptika und Antidepressiva haben einen Stellenwert in der Behandlung von neuropathischen Schmerzen. Gabapentin und Pregabalin werden nicht hepatisch metabolisiert und renal eliminiert; ihre Dosis ist an eine Nierenfunktionseinschränkung anzupassen (9, 20). Grundsätzlich gelten sie als sicher bei Leberinsuffizienz, jedoch sollte der Patient auf eine hepatische Enzephalopathie überwacht werden (20, 28). Die Dosierung sollte nur langsam über Wochen gesteigert werden, da die Wirkung auch erst verzögert eintritt (20).
Baclofen wird nur wenig hepatisch metabolisiert und eine Dosisanpassung nicht für erforderlich gehalten (9). Andere Autoren empfehlen wegen der sedierenden Effekte nur niedrige Startdosen und Beachtung der möglichen Akkumulation bei zusätzlich eingeschränkter Nierenfunktion (37).
Carbamazepin wird hepatisch metabolisiert. Die Dosis ist bei leichterer Leberinsuffizienz anzupassen, bei schwerer Insuffizienz soll es nicht angewendet werden (9). Bei fortgeschrittener Lebererkrankung wird der Einsatz nicht empfohlen, da es selbst Hepatotoxizität zeigen und eine schnelle Dekompensation der Leberfunktion bei Leberzirrhose hervorrufen kann (20, 37).
Venlafaxin wird intensiv hepatisch metabolisiert und hat einen hohen First-Pass-Effekt. Bei Child-Pugh A und B wird eine Dosishalbierung empfohlen. In einer Studie bei Leberzirrhose war die Clearance um 50 Prozent, die des aktiven Hauptmetaboliten O-Desmethylvenlafaxin um 30 Prozent, bei schwerer Erkrankung bis zu 90 Prozent reduziert (9).
Cannabis ist bei Patienten mit Leberinsuffizienz bisher unzureichend untersucht. Die aktive Hauptkomponente Tetrahydrocannabinol wird hepatisch über CYP-Isoenzyme metabolisiert. Bei Patienten mit Hepatitis C zeigten sich unter Cannabiskonsum hepatische Steatose und Fibrose (20). Eine Überdosierung kann eine hepatische Enzephalopathie negativ beeinflussen (20).
Ein 55-jähriger Patient mit alkoholinduzierter Leberzirrhose Stadium Child-Pugh B wird stationär neu aufgenommen. Der Patient erhält unter anderem Tilidin/Naloxon zweimal täglich 200/16 mg und klagt trotz dieser sehr hohen Dosis weiter über Schmerzen.
Tilidin wird hepatisch zum wirksamen Metaboliten Nortilidin umgewandelt. Bei Leberzirrhose findet diese Umwandlung nur unvollständig statt und die analgetische Wirkung ist deutlich vermindert. Zusätzlich wird Naloxon bei starker Leberinsuffizienz schlechter abgebaut und ist länger und stärker wirksam; damit kann es die Opioidwirkung zusätzlich antagonisieren.
Tilidin/Naloxon ist ungeeignet für diesen Patienten. In Abhängigkeit von der Art und voraussichtlichen Dauer der Schmerzen sollte eine Umstellung auf Tramadol oder Morphin diskutiert werden. Tramadol sollte bei Child-Pugh B initial vorsichtig mit 25 mg alle zwölf Stunden begonnen werden.
Opioide können bei Patienten mit Leberzirrhose ungünstig wirken. In Studien war zum Beispiel das Risiko für eine hepatische Enzephalopathie erhöht, die Patienten mussten häufiger stationär aufgenommen werden und waren länger im Krankenhaus (28).
Viele Opioide werden hepatisch metabolisiert oder sogar der aktive Metabolit erst gebildet. Bei Patienten mit Leberzirrhose kann die Wirkung deutlich verstärkt und verlängert oder auch schlechter sein. Es kommt sehr darauf an, die richtige Substanz und Dosis zu wählen (Tabelle 2).
Die AKDÄ empfiehlt, Opioidanalgetika bei Leberpatienten immer besonders niedrig und langsam einzudosieren. Die Patienten müssen intensiv auf Anzeichen einer hepatischen Enzephalopathie und einer Obstipation überwacht werden (33). Letztere kann durch schlechtere Ammoniak-Ausscheidung das Risiko für eine hepatische Enzephalopathie erhöhen. Die Langzeitgabe sollte vermieden werden. Für die kurzzeitige Gabe sind schnell wirksame Formulierungen möglichst zu bevorzugen (28).
Substanz | Kinetik bei Leberinsuffizienz | Therapieanpassung bei Leberinsuffizienz | Kommentar |
---|---|---|---|
Buprenorphin | HWZ (↑) | CP A: NormdosisCP B/C: Startdosis 50 Prozent, langsam steigern (16, 33) | |
Codein (als Analgetikum) | hepatische Umwandlung zum analgetisch wirksamen Morphin ↓ | alle Stadien: Startdosis 50 Prozent, vorsichtig steigern (33)CP A: keine DosisanpassungCP B/C: unwirksam (16) | Wirksamkeit schwer vorherzusagen, vermeiden (20) |
Fentanyl | TTS: cmax ↑ | leichte bis mittlere LI: 50 Prozent Dosisreduktionschwere LI: Kontraindikation (28)CP A/B: Startdosis 50 Prozent, vorsichtig aufdosierenCP C: dito, Sicherheit unklar (16) | |
Methadon | HWZ (↑) | zusätzliche Risiken bekannt (16, 33),alle Stadien: Normdosis (16) | sehr vorsichtig dosieren, Risiko der Akkumulation (37) |
Morphin | HWZ ↑, cmax ↑,orale BV ↑ | oral:CP A/B: Startdosis 50 Prozent, vorsichtig steigernCP C: Startdosis 25 Prozent, vorsichtig steigern (16, 33)intravenös:CP A: NormdosisCP B/C: Dosierintervall verdoppeln (16, 20) | bei gleichzeitiger Niereninsuffizienz vermeiden, da hydrophile Metabolite mit krampferhöhendem Potenzial, Atemdepression und erhöhtem Risiko hepatischer Enzephalopathie akkumulieren (20) |
Oxycodon | HWZ ↑, cmax ↑ | IR: niedrig und langsam aufdosierenER: Initialdosis 1/3 bis 1/2 (28)CP A/B: Startdosis 50 Prozent, vorsichtig aufdosierenCP C: Startdosis 50 Prozent und Dosierungsintervall verdoppeln (16, 33) | |
Tapentadol | CP A: NormdosisCP B: mit 50 mg beginnen, nicht häufiger als 3 × täglich, vorsichtig steigernCP C: unsicher (16, 33) | ||
Tilidin/Naloxon | hepatische Metabolisierung zum analgetisch wirksamen Nortilidin ↓, Naloxon-Wirkung ↑ (13) | therapeutische Wirksamkeit fraglich, nicht verwenden | |
Tramadol | BV ↑, HWZ ↑, cmax ↑, aktiver Metabolit ↓ | schwere LI: IR 50 mg alle 12 hER kontraindiziert (28)CP A: initial 50 mg alle 12 h, nach Wirkung/Nebenwirkungen steigernCP B/C: initial 25 mg, maximal 100 mg alle 12 h (16, 33) | Partialagonist, zusätzlich SSRI/SNRI-EigenschaftenBildung des aktiven Metaboliten O-Desmethyltramadol schwer einschätzbar, Wirksamkeit verändert (20) |
BV: Bioverfügbarkeit; cmax: maximaler Serumspiegel; CP: Child-Pugh-Stadium; ER: extended release; HWZ: Halbwertszeit; IR: immediated release; LI: Leberinsuffizienz; TTS: transdermales therapeutisches System
Patienten mit Leberzirrhose haben häufig verminderte Thrombozytenzahlen und eine erhöhte International Normalized Ratio (INR), was das Blutungsrisiko erhöht. Verminderte Thrombozytenzahlen entstehen durch Faktoren wie eine Abnahme der hepatischen Bildung von Thrombopoeitin, Knochenmarkssuppression durch Hepatitisviren oder Alkohol und vermehrten Abbau in der Milz bei portaler Hypertonie (21).
Sowohl Gerinnungsfaktoren als auch gerinnungshemmende Proteine werden in der Leber produziert. Dadurch kann ein erhöhtes Blutungsrisiko, aber auch ein hyperkoagulativer Zustand entstehen (18, 21). Klinisch schwerwiegend sind Ösophagusvarizen-Blutungen (20 bis 35 Prozent der Patienten mit Leberzirrhose), Blutungen gastrointestinaler Ulzera sowie Thrombosen der Portalvene (bei etwa 5 bis 16 Prozent der Menschen mit stabiler Leberzirrhose jährlich) (21).
Dies bedeutet, dass alle Arzneistoffe mit Einfluss auf die Blutgerinnung nur sehr vorsichtig und nach Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt werden sollten. Die direkten oralen Antikoagulanzien Apixaban, Dabigatran und Edoxaban können bei Child-Pugh A und B gegeben werden, Rivaroxaban wird nur bei A empfohlen (8, 16). Zum Stadium C liegen für alle Substanzen unzureichende Daten vor (8).
Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon und Warfarin sind schwierig einzustellen, da die INR bereits durch die Lebererkrankung verändert ist und sich weiter verändern kann. Zudem hat vor allem Phenprocoumon eine sehr lange Halbwertszeit und ist dadurch schwer steuerbar. Das Risiko von Ösophagusvarizen-Blutungen ist unter Vitamin-K-Antagonisten deutlich erhöht, in einer Studie verfünffacht (21).
Niedermolekulare Heparine können bei vorsichtiger Dosierung eingesetzt werden (21). Ein erhöhtes Blutungsrisiko ist auch bei Phytopharmaka zu beachten, zum Beispiel bei hoch dosierten Ginkgo-Präparaten.
Viele Patienten mit einer Lebererkrankung nehmen unterstützend Präparate der alternativen und komplementären Medizin, Nahrungsergänzungsmittel oder Phytopharmaka ein. Während die Evidenz für den Nutzen oft sehr gering ist, bestehen häufig Bedenken wegen hepatotoxischer oder anderer negativer Effekte (10).
Der Elektrolythaushalt ist bei Patienten mit Leberinsuffizienz ein sensibles System, unter anderem durch Aszites, Diuretika-Therapie und eine zusätzliche Nierenfunktionseinschränkung. Die Zufuhr an Mineralstoffen wie Magnesium, Calcium, Kalium und Natrium sollte deshalb nie unkritisch und in hohen Dosen erfolgen.
Vitamine sind in vielen komplex zusammengesetzten Präparaten enthalten und die effektiv zugeführten Mengen bei Lebererkrankungen zu beachten. Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion sollten generell die empfohlenen Zufuhrmengen pro Tag nicht überschritten werden (26). Vitamin A in Überdosierung führt zu charakteristischen Leberschäden. Für Niacin (auch als Vitamin B3 bezeichnet) in hohen Dosen, wie sie früher auch als Cholesterolsenker verwendet wurden, ist Hepatotoxizität nach mehrmonatiger Einnahme eine bekannte Nebenwirkung (26).
Vitamin C in normaler Zufuhr ist harmlos oder sogar möglicherweise hepatoprotektiv. Nur nach sehr hohen Dosen wurden Erhöhungen der Transaminasen beobachtet (26).
Eine 60-jährige Patientin wurde neu mit der Erstdiagnose einer dekompensierten Leberzirrhose aufgenommen. Sie erhält vom Heilpraktiker als Nahrungsergänzungsmittel Vitamin-B-Komplex, Papaya-Kapseln und ein Komplexpräparat mit Biotin, Chrompicolinat und Garcinia cambogia. Kann sie diese weiter einnehmen?
B-Vitamine in normalen Dosierungen, die der empfohlenen Zufuhr pro Tag entsprechen, sind unbedenklich. Die genaue Zusammensetzung des verwendeten Präparats sollte daraufhin überprüft werden. Für Papaya-Kapseln finden sich keine Hinweise auf hepatotoxische Effekte. Berichtet sind gastrointestinale Reizungen. Da bei einer schweren Leberzirrhose gastrointestinale Ulcera häufig sind, sollte die weitere Einnahme kritisch hinterfragt werden. Chrompicolinat in höheren Dosen und über mehrere Monate kann zu transienten Leberschäden führen, sehr hohe Dosen auch zum Leberversagen. Für Garcinia cambogia liegen Berichte über arzneimittelinduzierte Leberschädigung vor, wenn es als Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln eingenommen wurde.
Von der weiteren Einnahme des Komplexpräparats ist dringend abzuraten. Eventuell muss das Präparat als Auslöser der neu aufgetretenen Leberzirrhose in Betracht gezogen werden. Dann sollte eine Meldung als unerwünschte Arzneimittelwirkung erfolgen.
Eine Leberschädigung durch Arzneimittel (Drug Induced Liver Injury; DILI) kann auch durch pflanzliche Produkte und Inhaltsstoffe ausgelöst werden. Herb Induced Liver Injury (HILI) waren in Studien für 3 bis 16 Prozent der Fälle verantwortlich (5). Bei Patienten mit einer eingeschränkten Leberfunktion sind die Konsequenzen eines HILI schwerer (30).
Generell sollten möglicherweise hepatotoxische Präparate bei chronischer Lebererkrankung gemieden werden; dies gilt auch für viele Phytopharmaka. Nachfolgend werden einige Präparate genauer besprochen, die häufig in Selbstmedikation als hepatoprotektive Substanzen angewandt werden.
Bei der pharmazeutischen Beratung müssen Apotheker immer auch an die Selbstmedikation, zum Beispiel mit Nahrungsergänzungsmitteln und pflanzlichen Präparaten, denken. / Foto: Getty Images/vorDa
Artischockenpräparate haben in kleineren Untersuchungen positive Effekte bei Lebererkrankungen unterschiedlicher Ursachen gezeigt, zum Beispiel eine Abnahme der Transaminasen im Blut. Allerdings war das individuelle Ansprechen sehr unterschiedlich und es handelte sich eher um leichtere Lebererkrankungen (non-alcoholic fatty liver disease, NAFLD, non-alcoholic steatohepatitis, NASH). Artischockenpräparate sind kontraindiziert bei Gallengangsobstruktion und Gallensteinen, da sie aufgrund ihrer choleretischen Wirkung hier problematisch sind (14, 23).
Boldoblätter sind kontraindiziert bei Erkrankungen der Leber und Gallenwege. In der Langzeitanwendung kam es im Tierversuch zu erhöhten Leberwerten. Ein Fallbericht über Hepatotoxizität liegt vor (14, 23).
Im Tierversuch hat ein Extrakt aus Löwenzahnblättern positive Effekte bei Paracetamol-Intoxikation gezeigt. Allerdings liegen auch für Löwenzahnpräparate Fallberichte über Hepatotoxizität vor (14).
Pfefferminzöl schützte im Tierversuch gegen Leberschäden durch Arsen und andere Chemikalien. Problematisch ist eine höher dosierte Anwendung bei Magenulcera. Es kann zudem den Ösophagussphinkter relaxieren und so zu vermehrtem Reflux führen, der bei Ösophagusvarizen problematisch ist (14).
Die Mariendistel wird oft als hepatoprotektiv bezeichnet. Die Evidenz für einen klinischen Nutzen ist allerdings gering. Ein Cochrane-Review von 18 randomisierten klinischen Studien fand bei alkoholbedingten oder durch Hepatitis-B- oder -C-Viren ausgelösten Lebererkrankungen keinen Unterschied in der Mortalität und Komplikationsrate (14). Ein Nutzen wird dagegen gesehen bei akuten Vergiftungen mit dem grünen Knollenblätterpilz und verwandten Arten. Die Mortalitätsrate konnte durch Silibinin intravenös deutlich gesenkt werden (14). In vitro können Mariendistelextrakte CYP-Isoenzyme induzieren und so zu Interaktionen führen; die Bedeutung in vivo ist nicht klar (14, 26).
Fumaria officinalis (Erdrauch) und Fumarate waren im Tierversuch hepatoprotektiv gegenüber verschiedenen leberschädigenden Substanzen wie Tetrachlorkohlenwasserstoff und Paracetamol. Traditionell werden sie bei Koliken des Gallengangsystems angewandt; Studien mit guter Qualität fehlen allerdings (14).
Curcuma verbesserte bei Patienten mit NAFLD den Leberfettanteil und die Transaminasen gegenüber Placebo. Cholesterol und Triglyceride besserten sich ebenfalls. In einer weiteren Studie wurden auch eine verbesserte Insulinresistenz und Blutglucosespiegel beobachtet (14). Da NAFLD heute im Zusammenhang mit dem metabolischen Syndrom gesehen wird, stellt sich die Frage, inwiefern die günstigen Effekte auf die verbesserte Stoffwechsellage zurückzuführen sind.
Dorothea Strobach studierte Pharmazie an der Universität Greifswald und wurde 2004 zu einem Thema in der Arteriosklerose-Grundlagenforschung an der LMU München promoviert. Sie arbeitete vier Jahre in der öffentlichen Apotheke und erhielt 1998 die Anerkennung als Fachapothekerin für Offizinpharmazie. Seit 1999 arbeitet sie in der Apotheke des Klinikums der Universität München, LMU, in der Arzneimittelinformation, die sie seit 2012 leitet. Den Fachapotheker für Klinische Pharmazie erwarb sie 2011. Sie unterrichtet Studierende der Pharmazie und Medizin an der LMU München.