Warum Pirola deutlich effizienter in Lungenzellen eintritt |
Theo Dingermann |
10.01.2024 17:00 Uhr |
Die Inanspruchnahme eines zellulären Oberflächenproteins sowie Mutationen im Spike-Protein könnten der Grund dafür sein, weshalb Pirola deutlich leichter in Lungenzellen eindringen kann als andere SARS-CoV-2-Varianten. / Foto: Getty Images/Kateryna Kon/Science Photo Library
Bisher wurden mehr als 3000 Hauptvarianten von SARS-CoV-2 beschrieben, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) genau beobachtet und teilweise als »zu überwachende Varianten« (Variants under Monitoring, VUM), »unter Beobachtung stehende Varianten« (Variant of Interest, VOI) und »besorgniserregende Varianten« (Variant of Concern, VOC) klassifiziert wurden. Zudem hat die WHO 13 Virusvarianten griechische Buchstabennamen zugewiesen, darunter erhielten acht VOI-Varianten die Bezeichnungen Epsilon, Zeta, Eta, Theta, Iota, Kappa, Lambda und Mü und fünf VOC-Varianten die Bezeichnungen Alpha, Beta, Gamma, Delta und Omikron.
Mit dem Auftauchen der Omikron-Variante setzte eine Entwicklung ein, die als »Konvergenz« bezeichnet wird. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, dass verschiedene Virusvarianten unabhängig voneinander ähnliche Mutationen entwickeln. Dies geschieht, weil bestimmte Mutationen dem Virus einen Überlebensvorteil bieten, wie beispielsweise eine erhöhte Übertragbarkeit oder die Fähigkeit, der Immunantwort des Wirts zu entgehen.
Im Spätsommer 2023 tauchte mit der Omikron-Variante BA.2.86 (Pirola) eine neue SARS-CoV-2-Variante auf, die sich genetisch deutlich von allen bisher zirkulierenden Varianten unterscheidet. Forschende am Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen fanden jetzt heraus, dass die Pirola-Variante im Gegensatz zu allen anderen bisher zirkulierenden Omikron-Varianten deutlich effizienter in Lungenzellen eindringen kann.
Der Grund für diese neue Eigenschaft scheint darin zu liegen, dass das Virus eine Möglichkeit nutzt, die es eigentlich bereits kannte – als es noch in Form der Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Varianten zirkulierte –, dann aber im Laufe seiner Evolution mit Auftreten der Omikron-Variante »verloren« hatte. Diese besteht darin, nicht nur ausschließlich über den ACE2-Rezeptor an die Wirtszelle anzudocken und so in die Zelle zu gelangen, sondern auch das zelluläre Oberflächenenzym TMPRSS2 für den Zelleintritt zur Hilfe zu nehmen.
Diese effizientere Eintrittsmöglichkeit in die Lungenzellen könnte darauf hindeuten, dass Pirola und die verwandte Variante JN.1 aggressiver sind als die früheren Omikron-Varianten. Allerdings könnte dieser Vorteil dadurch »erkauft« worden sein, dass die Produktion neuer, infektiöser Viruspartikel in infizierten Zellen reduziert ist, was die Verbreitung und das pathogene Potenzial dieser Varianten einschränken könnte. Pirola und JN.1 unterscheiden sich nur minimal durch eine Veränderung im Spike-Protein voneinander; allerdings heben sie sich von den anderen Omikron-Varianten durch mehr als 30 Mutationen im Vergleich zur Vorgänger-Variante, BA.2, ab.
Die Hinweise darauf, dass Zellen, die mit der Pirola-Variante infiziert wurden, längst nicht so effizient neue, intakte Virus-Partikel bilden wie Zellen, die mit früheren Omikron-Varianten infiziert wurden, sei eine überraschende Beobachtung. Das berichtet Dr. Markus Hoffmann vom Deutschen Primatenzentrum, der einer der Seniorautoren der Arbeit ist, die im renommierten Fachjournal »Cell« erschienen ist. Die Gründe für dieses Defizit seien bisher noch nicht bekannt.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.