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Interessengemeinschaft der Heilberufe

Warnung vor zunehmender Kommerzialisierung

Der diesjährige Thementag der Interessengemeinschaft der Heilberufe (IDH) mit Repräsentanten der Politik, der Behörden, der Kostenträger sowie der Ärzte- und Apothekerschaft war dem Schutz der Freiberuflichkeit vor Kapitaleinfluss gewidmet.
Christiane Berg
04.11.2019  15:14 Uhr

Die zunehmende Kommerzialisierung im Gesundheitswesen droht mehr und mehr zur Gefahr für bewährte medizinische und pharmazeutische Versorgungstrukturen und somit auch für das Patientenwohl zu werden: Das machte der Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH) und turnusmäßige Vorsitzende der IDH, Henrik Herrmann, vergangene Woche in Kiel deutlich.

Der Großteil der ambulant tätigen Ärzte und Apotheker arbeitet in freiberuflich-selbständig geführten Praxen und Apotheken. »Diese für das deutsche Gesundheitssystem grundlegende Organisationsstruktur bewahrt, was uns wichtig ist – die Unabhängigkeit der Heilberufler von Interessen Dritter und die Konzentration unserer Zugewandtheit auf die Bedürfnisse unserer Patienten, deren Wohl ganz oben auf unserer Agenda steht«, so Herrmann.

Ob Medizinische Versorgungszentren, Rx-Versandhandel oder Klinikkonzerne: Zu beobachten sei ein wachsender Einfluss berufsfremder Finanzinvestoren und externer Kapitaleinflüsse im Gesundheitswesen, der mit Gefährdungen nicht nur für das gesundheitliche Wohl des Einzelnen, sondern auch für die Grundpfeiler des solidarischen Gesundheitswesens einhergehe. Herrmann warnte vor dem schleichenden Wechsel weg von der Grundidee der solidarischen Gemeinschaft hin zu einem System basierend auf den Gesetzmäßigkeiten der Kommerzialisierung. Patienten- oder Renditewohl? Der IDH-Vorsitzende sprach von einer bedeutenden gesamtgesellschaftlichen Frage, die klare Antworten auch seitens der Gesundheitspolitik erforderlich mache.

Das Gesundheitswesen ist für Fremdinvestoren zur wichtigsten Zielbranche geworden. »Es geht um einen riesigen Wachstumsmarkt.« Das hatte zuvor Professor Eckhard Nagel, Bayreuth, in seinem Vortrag »Angriff des Kapitalmarkts auf die Freiberuflichkeit – Wo bleibt der Patient?“ deutlich gemacht. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liege bei 15,5 Prozent. Die Ausgaben für Gesundheit 2017 betrugen laut Nagel 376 Milliarden Euro, also mehr als eine Milliarde Euro pro Tag. Es gibt demnach 5,6 Millionen Beschäftigte im Gesundheitsweisen (2017). »Die Fokussierung auf wirtschaftliche Effektivität und Effizienz im Gesundheitswesen entspricht der Prämissen der Makrookönomie«, sagte Nagel.

Geldanlage, Aktien, Gewinn, Rendite: Noch seien Fremdkapitalgeber in der Gesundheitsbranche nur vereinzelt unterwegs, doch steige ihre Zahl. Gehe es ihnen naturgemäß um Profit und nicht um die Sicherung der medizinischen oder pharmazeutischen Versorgung, bestehe die Gefahr, dass mit der Therapie- und Verordnungsfreiheit letztlich auch die Freiberuflichkeit auf der Strecke bleibt.

Humanmediziner, Tier- und Zahnärzte, Apotheker und Psychotherapeuten zeigten sich in der anschließenden Diskussion angesichts der Zentralisierung und Kommerzialisierung im Gesundheitswesen in großer Sorge. Sie warnten vor Rosinenpickerei und überbordendem Gewinnstreben durch Fremdkapitalanleger. »Wir erwarten klare Signale«: Der geschlossene und eindringliche Appell der IDH an die Politik lautete, sich verstärkt für den Erhalt und die Stärkung der Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung der Heilberufe als Basis der bewährten medizinischen und pharmazeutischen Versorgung einzusetzen. Nur so sei das Wohl des Bürgers und des Patienten gesichert.

Als bundesweit einmalige Institution wurde die IDH 1976 auf Initiative engagierter Vertreter der Apotheker- und Ärzteschaft gegründet. Intention war und ist es, gemeinsam Öffentlichkeitsarbeit und Gesundheitsaufklärung in Schleswig-Holstein zu betreiben. Freiberufliche und selbstverwaltete Heilberufe sowie eine medizinische Versorgung der Bevölkerung unabhängig vom sozialen Status, Alter oder Einkommen bei niedrigschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen seien die Garanten des Erfolgs des deutschen Gesundheitssystems.

 

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