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Postpartale psychische Erkrankungen

Von Angst und Zwang bis zur Psychose

Nicht selten entwickeln Frauen nach der Entbindung psychische Erkrankungen. Neben der postpartalen Depression, die auch mit Angst- und Zwangsstörungen einhergehen kann, kommen auch eigenständige Angsterkrankungen und Psychosen vor. Gelegentlich erleben Frauen die Geburt selbst als so traumatisierend, dass sie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln.
Martina Hahn und Sibylle C. Roll
23.08.2020  08:00 Uhr

Qualvolle Wochenbett-Psychose

Sogenannte Wochenbett-Psychosen treten insgesamt deutlich seltener auf und gelten als die schwerste Form der postpartalen psychischen Erkrankungen. Etwa eine bis zwei von 1000 Müttern sind betroffen (0,1 bis 0,2 Prozent) (2). Die Symptomatik tritt meist in den ersten vier Wochen nach der Entbindung auf.

Nosologisch scheint es sich teilweise um die Manifestation einer bipolaren Erkrankung zu handeln. So erleiden 25 bis 50 Prozent der Frauen mit einer bipolaren Vorerkrankung eine postpartale Psychose (23). Bei 70 Prozent der Frauen mit einer bipolaren Störung kommt es zu manischen oder depressiven Phasen nach der Entbindung (6). Ist eine solche Erkrankung in der Vorgeschichte bekannt, sollte die werdende Mutter in jedem Fall engmaschig vom Arzt (idealerweise Psychiater) betreut und eventuell eine vorbeugende medikamentöse Behandlung angestrebt werden. Die Prognose der postpartalen Psychose ist gut – verglichen mit anderen Psychosen oder einer bipolaren Erkrankung (24).

Symptome einer akuten Psychose können extreme Angstzustände, Wahnvorstellungen und Halluzinationen sowie eine starke Antriebssteigerung und motorische Unruhe (»manische Phase«) oder aber eine massive Antriebs-, Bewegungs- und Teilnahmslosigkeit (»depressive Phase«) sein. Halluzinationen und Wahnvorstellungen können sich darin äußern, dass die Frauen Stimmen hören beziehungsweise Dinge sehen oder das starke Gefühl haben, von Personen bedroht und verfolgt zu werden. Meist sind die psychotischen Wahninhalte (beispielsweise die Gewissheit, dass das Kind vertauscht wurde und nicht das Eigene ist) oder Halluzinationen (»Das ist Satans Kind«; »Töte das Kind«) auf den Säugling bezogen.

Eine Wochenbett-Psychose bedeutet eine große Gefahr für das Leben von Mutter und Kind. Daher ist eine sofortige stationäre Behandlung in jedem Fall unumgänglich! Dort wird meist eine Behandlung mit Antipsychotika eingeleitet. Da die Wirksamkeit aller Antipsychotika ungefähr gleich gut ist, orientiert sich die Auswahl meist am Nebenwirkungsprofil der Substanz. Komorbiditäten, Komedikation und Risikofaktoren werden daher bei der Auswahl miteinbezogen. Aufgrund des erhöhten Spätdyskinesie-Risikos unter den Erstgenerations-Antipsychotika werden heute bevorzugt Zweit- und Drittgenerations-Wirkstoffe eingesetzt, zum Beispiel Risperidon, Olanzapin, Quetiapin oder Aripiprazol.

Der Wirkeintritt der Antipsychotika ist – abhängig von der Halbwertszeit und somit vom Erreichen des Steady-State – bereits in der ersten Woche zu erwarten (Ausnahme Aripiprazol aufgrund der langen Halbwertszeit). Um den Steady-State schneller zu erreichen und somit schneller eine Wirkung zu erzielen, können einige Wirkstoffe auch intramuskulär appliziert werden. In dieser Darreichungsform stehen Aripiprazol, Olanzapin, Haloperidol, Ziprasidon und Zuclopenthixol zur Verfügung. Überbrückend bis zum Einsetzen der antipsychotischen Wirkung wird häufig Lorazepam zur Beruhigung eingesetzt; nach dem Ansprechen wird es schrittweise ausgeschlichen.

Nach der Eindosierung der Antipsychotika sollte aufgrund der häufig starken blutdrucksenkenden Wirkung schrittweise und langsam aufdosiert werden. Hohe Dosierungen, wie sie in den letzten Jahren noch eingesetzt wurden, sind heute obsolet. Eine niedrige Dosierung reicht bereits aus, um 80 Prozent der Dopamin-Rezeptoren zu besetzen und somit eine gute antipsychotische Wirkung zu erzielen.

Die Therapiedauer richtet sich nach der Prognose und muss individuell abgewogen werden. Bei einmaligem Auftreten wird eine Behandlungsdauer von mindestens sechs Monaten angeraten. Um Rebound-Phänomene wie Blutdruckanstieg, Unruhe, Schlafstörungen oder extrapyramidal-motorische Störungen zu vermeiden, sollte immer schrittweise und unter ärztlicher Kontrolle abgesetzt werden.

Während der Stillzeit ist möglichst eine Monotherapie anzustreben (Tabelle 2). Embryotox gibt für viele Antipsychotika an, dass Stillen unter Beobachtung des Kindes auf Nebenwirkungen akzeptabel sei.

Aripiprazol kann aufgrund der langen Halbwertszeit akkumulieren; daher wird Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) beim Neugeborenen und Säugling angeraten. Flupenthixol und Zuclopenthixol können zu Benommenheit und Sedierung des Kindes führen, das besonders engmaschig beobachtet werden sollte. Immer sollte ein spezialisierter Arzt hinzugezogen werden, wenn Nebenwirkungen beim Kind beobachtet werden.

Beim Abstillen ist zu beachten, dass keine Dopamin-Agonisten (wie Bromocriptin oder Cabergolid) eingesetzt werden, da sie das psychotische Geschehen durch eine antagonistische Wirkung zu den Antipsychotika verstärken würden.

Wirkstoff Halbwertszeit (in Stunden) Relative Dosis (in Prozent) M/P-Quotient
Amisulprid 12 bis 20 6,1 bis 10,7 12 bis 19,5
Aripiprazol 75 bis 146, aktiver Metabolit 94 0,7 bis 8,3 0,2
Benperidol 3 bis 11 ? ?
Clozapin 4 bis 12 1,4 2,8 bis 4,3
Flupenthixol 22 bis 36 < 1 1,3
Fluphenazin 20 ? ?
Haloperidol 12 bis 36 0,15 bis 10 0,58 bis 0,81
Olanzapin 21 bis 54 0,3 bis 4,0 0,2 bis 0,84
Paliperidon 23 ? < 0,5
Quetiapin 6 bis 7 0,02 bis 0,43 0,29
Risperidon 21 bis 30 2,3 bis 4,7 0,42
Zuclopenthixol 20 < 1 0,3
Tabelle 2: Parameter zur Abschätzung der kindlichen Exposition bei Antipsychotika-Einnahme der stillenden Mutter (Embryotox, Stand 20. März.2020)
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