Von Angst und Zwang bis zur Psychose |
Bei der Frage, ob die Frau weiter stillen kann, obwohl ein Medikament angesetzt wird, ist eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse vorzunehmen (Kasten). Idealerweise sollte der Milch-zu-Plasma-(M/P-) Quotient kleiner 1 sein und die relative Dosis kleiner 3 Prozent, da es dann nicht zur Akkumulation des Wirkstoffs im kindlichen Organismus kommt. Eine kurze Stillpause kommt vor allem bei einer kurzfristigen Arzneimitteltherapie in Betracht, zum Beispiel mit Antibiotika oder Antihistaminika, und wenn das Arzneimittel eine kurze Halbwertszeit hat. Ein Abstillen sollte immer dann erfolgen, wenn es bekannte Risiken für das Kind durch eine hohe Wirkstoff-Exposition gibt (M/P-Ratio hoch, relative Dosis hoch) oder wenn nicht tolerierbare Nebenwirkungen beim Kind beobachtet werden.
Meistens sind die Risiken für Mutter und Kind höher zu bewerten, wenn die psychische Erkrankung ohne Pharmakotherapie voranschreitet, als durch eine geringe Arzneimittelexposition des Kindes. Zudem hat das Stillen viele positive gesundheitliche Effekte auf den Säugling und festigt die Bindung zwischen Mutter und Kind.
Optimierungsbedarf besteht vor allem in der Früherkennung und einer frühen Behandlungseinleitung. Es braucht zudem mehr stationäre und ambulante Mutter-Kind-Behandlungsplätze in Deutschland, um eine Trennung von Mutter und Kind in dieser entscheidenden Lebensphase zu vermeiden.
Generell gilt: keine unkritische Umstellung einer gut eingestellten Psychopharmakotherapie, da das Rückfallrisiko deutlich erhöht ist. Weiterhin wichtig:
Entgegen früheren Empfehlungen muss grundsätzlich kein zeitlicher Abstand zwischen Medikamenteneinnahme und Stillen eingehalten werden.
Literatur bei den Verfasserinnen
Martina Hahn studierte Pharmazie in Marburg und erhielt 2007 den Doctor of Pharmacy. 2011 promovierte sie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und habilitierte sich 2020 an der Philipps-Universität Marburg. Lehraufträge an der Philipps-Universität Marburg, der Goethe-Universität Frankfurt für Klinische Pharmazie der University of Florida. Martina Hahn ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und arbeitet derzeit in der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt.
Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin. Sie ist Dozentin und Supervisorin an mehreren Ausbildungsinstituten und Universitäten und Professorin am College of Pharmacy der Universität Florida. Sibylle C. Roll leitet aktuell die neurologisch-psychiatrisch-psychotherapeutische Abteilung des Facharztzentrums Frankfurt-Westend.