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EU-Verordnung

Verursacht die MDR Versorgungsprobleme?

Die Diskussion um einen drohenden Zertifikatestau als Folge der neuen EU-Medizinprodukte-Verordnung hat sich inzwischen mächtig aufgeheizt und den Druck auf Brüssel zunehmend erhöht. Die Geister scheiden sich allerdings, ob Patienten Versorgungsprobleme befürchten müssen oder nicht.
Jennifer Evans
27.07.2022  17:00 Uhr

Aufgrund der Medical Device Regulation (MDR) gelten viele Produkte künftig als Medizinprodukte, andere landen in höheren Risikoklassen. Zudem sind die Anforderungen an Studien, Dokumentationen und Audits gestiegen. Daher benötigen sehr viele Medizinprodukte eine neue Zertifizierung. Schätzungen von Fachgesellschaften zufolge sind bis zu 55.000 Produkte betroffen. Die PZ hatte bereits ausführlich darüber berichtet, wie die neuen Regeln sich auf die Vor-Ort-Apotheken auswirken.

Weil diese Zertifizierungsverfahren so lange dauern – bis zu 18 Monate – und außerdem zu wenige Benannte Stellen in Europa existieren, schlagen Experten und Verbände schon seit einiger Zeit Alarm. Sie warnen vor einem Zertifikatestau und damit verbundenen Engpässen bei Medizinprodukten. Fakt ist: Die Zahl der Benannten Stellen in Europa ist begrenzt und zusätzlich durch den Brexit von einst 58 auf 28 gesunken. Acht von den übrigen sitzen in Deutschland. Doch wie ernst ist die Lage?

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) beispielsweise spricht von »dramatischen Ressourcen-Engpässen« und hat nach eigenen Angaben bereits einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geschrieben und ihn aufgefordert, den »MDR-Flaschenhals« zu entzerren. Laut BVMed haben 2021 nämlich bereits mehr als 70 Prozent seiner Mitgliedsunternehmen einzelne Medizinprodukte oder ganze Produktlinien einstellen müssen. Außerdem hätten 55 Prozent von ihnen mitgeteilt, ihre Lieferanten hätten die Geschäftstätigkeit ganz aufgegeben. Der Verband rechnet damit, dass in Deutschland und Europa als Folge der MDR 10 Prozent der Medtech-Unternehmen sowie 30 Prozent der Bestandsprodukte vom Markt verschwinden.

Ärzte haben schon Engpässe festgestellt

Auch Ärzte und Kliniken sind beunruhigt. Medienberichten zufolge haben einige von ihnen bereits die Auswirkungen der ersten Engpässe zu spüren bekommen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) schickte kürzlich sogar einen Brandbrief an die EU-Kommission. Insbesondere bei OP-Materialien wie sterilen chirurgischen Instrumenten sind demnach bereits Einschränkungen im Sortiment zu beobachten. Auch von nicht mehr verfügbaren Ballonkathetern für herzkranke Neugeborene war die Rede.

Sorgen bereiten den Medizinern aber auch drohende Einbußen bei der Qualität der Produkte und dauerhaft höhere Kosten. Schließlich könnte Deutschland künftig abhängig von Medizinprodukte-Lieferungen aus dem außereuropäischen Ausland werden. Und die wenigen Player auf dem Markt könnten die Preise neu gestalten, sprich anheben. Damit nicht genug. Auch vor dem zusätzlichen (zeitlichen) Aufwand, alternative Medizinprodukte zu finden, warnen einige heilberufliche Fachverbände.

Speziell für Nischenprodukte könnten die Engpässe dramatischere Folgen haben als für gängige Medizinprodukte, weil insbesondere bestimmte Patientengruppen auf solche Spezialprodukte angewiesen sind. Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) etwa machte bereits auf die Knappheit besonderer Linsen aufmerksam, die der Arzt nach einer Grauen-Star-OP ins Auge setzt. Auch Implantate für orthopädische Eingriffe sind laut der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) zum Teil schon schwer zu bekommen.

BMG und BfArM müssen handeln

Zu Wort gemeldet hat sich auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Sie sieht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in der Pflicht, die Patientenversorgung sicherzustellen. Sollten also einzelne Medizinprodukte bald Gefahr laufen, ohne Alternative vom Markt zu verschwinden, sei es Aufgabe von Behörde und Regierung zu prüfen, ob womöglich eine im MDR vorgesehene Sonderregel greifen kann.

Damit sind Ausnahmen in der EU-Regelung gemeint, die eine zuständige Behörde dann gewähren darf, wenn der Einsatz des betreffenden Produkts im Interesse der öffentlichen Gesundheit, der Patientensicherheit oder der Gesundheit der Patienten liegt. Diese Sonderregel gilt laut EU-Kommission aber nicht, wenn beispielweise der Hersteller seinen Antrag zu spät stellt oder allein wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen.

GKV-Spitzenverband versteht Wirbel nicht

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) kann die Aufregung bei diesem Thema nicht nachvollziehen, wie er am Montag dieser Woche mitteilte. Seiner Ansicht nach verzerrt die aktuelle Diskussion über den Umgang mit möglichen Versorgungsproblemen die Sachlage und ist zudem von den Interessen der Industrie motiviert. Vor dem Hintergrund vergangener Skandale bei Hochrisiko-Medizinprodukten hält der Spitzenverband die novellierte MDR grundsätzlich für einen Fortschritt. »Wenn aufgrund von Kapazitätsengpässen bei Benannten Stellen die Verfügbarkeit einzelner Produkte gefährdet sein sollte, dann muss dieses Problem gezielt gelöst werden, anstatt die Qualitätsstandards für alle Produkte generell über Bord zu werfen«, so GKV-Chefin Doris Pfeiffer. Sie begrüßt dabei ausdrücklich die Position der EU-Kommission, zunächst echte Versorgungsprobleme und deren Ursachen zu identifizieren, bevor weitere Handlungsschritte folgen.

Eine bloße Verlängerung der Übergangsfristen, wie etwa von der DKG gefordert, hält Pfeiffer allerdings für den falschen Weg. Keinesfalls sollte sich die EU-Verordnung, die sie vor allem als Schutzfunktion für die Patienten erachtet, weiter verzögern.

EU-Kommission stellt Lösungen in Aussicht

Auch die EU-Kommission hatte kürzlich Stellung genommen und zugesagt, Lösungen zu finden – sofern sich reale Versorgungsprobleme abzeichnen. Zum Beispiel betroffenen Unternehmen zu ermöglichen, ihre Medizinprodukte weiterzuverkaufen, solange sie auf eine Re-Zertifizierung der Benannten Stelle warten und ihre Unterlagen nachweislich eingereicht haben.

Allerdings hatte die EU-Kommission erst vor Kurzem darauf hingewiesen, dass auch die Hersteller eine Mitschuld an dem Zertifikatestau tragen. Demnach hatten nämlich erst im April dieses Jahres 75 Prozent der Benannten Stellen gemeldet, dass mehr als die Hälfte der eingereichten Anträge unvollständig waren und daher abgewiesen werden mussten. In diesem Zusammenhang warnt die Kommission davor, etwaige Übergangsfristen auszureizen.

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