Verschiedene Typen von MS identifiziert |
Annette Rößler |
02.04.2024 13:30 Uhr |
Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen, Muster in großen Datenmengen zu erkennen. In einer Studie wurde KI benutzt, um drei verschiedene Typen von Multipler Sklerose (MS) voneinander abzugrenzen. / Foto: Getty Images/Ole_CNX
MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Markscheiden der Nervenzellen im zentralen Nervensystem angegriffen und zerstört werden. Meistens ist der Verlauf zunächst schubförmig-remittierend; die Krankheitsaktivität ist dann nicht dauerhaft hoch, sondern nur phasenweise. Bereits in diesem frühen Erkrankungsstadium lassen sich anhand der Immunzellprofile drei verschiedene Endophänotypen unterscheiden, die teilweise unterschiedlich gut auf bestimmte MS-Therapeutika ansprechen. Das berichten Forschende aus Deutschland im Fachjournal »Science Translational Medicine«. Das Autorenteam um Privatdozentin Dr. Catharina C. Gross von der Universität Münster repräsentiert das Kompetenznetz Multiple Sklerose.
Für die Studie wurden in sieben deutschen Zentren insgesamt 541 Patienten rekrutiert, die erst seit Kurzem an schubförmig-remittierender MS erkrankt waren und noch keine Therapie erhielten. Bei diesen Patienten bestimmten die Forschenden die verschiedenen Immunzellen im Blut und ließen ein KI-basiertes Computerprogramm anhand der Proben von 309 Patienten (Ermittlungskohorte) nach unterscheidbaren Immunsignaturen suchen. Die KI konnte drei Endophänotypen voneinander abgrenzen (E1 bis E3), die sich anhand der Proben der restlichen 232 Patienten (Validierungskohorte) bestätigen ließen. Beide Kohorten beobachteten die Forschenden dann in ihrem klinischen Verlauf und registrierten, wie gut die Patienten auf verschiedene MS-Therapeutika ansprachen.
Bei E1, den die Forschenden als degenerativen Endophänotyp bezeichnen, waren eine Subgruppe der CD4+-Gedächtniszellen, die Interleukine IL-17A und IL-22 sowie der Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierende Faktor (GM-CSF) erhöht. Dagegen zeichnete sich E3, der inflammatorische Endophänotyp, durch Abweichungen bei den CD8+-Zellen aus. Bei E2 hingegen waren Veränderungen der natürlichen Killerzellen (NK), die bei E1 und E3 zu beobachten waren, weniger stark ausgeprägt.
Patienten mit dem degenerativen Phänotyp E1 zeigten bereits früh im Krankheitsverlauf Anzeichen von strukturellen Schäden und ein Fortschreiten der Behinderung. Demgegenüber war bei Patienten mit dem inflammatorischen Phänotyp E3 die Entzündungsaktivität stark erhöht. Obwohl es bei einigen Parametern Überlappungen gab, ließen sich die drei Typen klar voneinander abgrenzen und die immunzellulären Signaturen blieben bei unbehandelten Patienten stabil, in einem Fall sogar über neun Jahre.
Dass dies mit Blick auf die Therapieauswahl relevant sein kann, zeigte sich am Ansprechen auf verschiedene MS-Therapeutika. Abhängig vom Wirkmechanismus unterschieden die Forschenden dabei drei Klassen von krankheitsmodifizierenden Arzneistoffen: Interferon-β (IFN-β), Glatirameracetat (GA) und Dimethylfumarat (DMF). Patienten mit den Phänotypen E1 und E2 sprachen auf alle drei Klassen ungefähr gleich gut an, was sich in einer Normalisierung der Immunzellsignaturen äußerte.
Bei E3-Patienten war das anders. Bei ihnen führten lediglich GA und DMF dazu, dass die Auffälligkeiten im Immunzellprofil verschwanden, während IFN-β kaum einen Effekt hatte. Dies bestätigte sich auch in der Klinik: E3-Patienten zeigten innerhalb von vier Jahren unter IFN-β eine stärkere Krankheitsaktivität als unter der Therapie mit GA oder DMF. Bei Patienten mit den beiden anderen Phänotypen wurden solche Unterschiede nicht beobachtet.
Die Forschenden hoffen, mit der Identifikation der drei Endophänotypen die Grundlage für eine individualisierte MS-Therapie gelegt zu haben. Dies könne theoretisch so sein, merkt Dr. Alberto Ascherio, Professor für Epidemiologie an der Harvard University, gegenüber dem Nachrichtenportal »STAT« an. Der Wissenschaftler, der nicht an der Studie beteiligt war, nennt die Untersuchung »interessant«, weist aber auch darauf hin, dass die Ergebnisse zunächst von anderen Forschenden in weiteren Patientenkohorten bestätigt werden müssen. Zurzeit sei personalisierte Medizin bei MS noch »ein Modewort und mehr Marketing als Realität«, so Ascherio.