Vermehrt Pregabalin-assoziierte Todesfälle |
Daniela Hüttemann |
11.03.2024 15:00 Uhr |
Gabapentinoide wie Pregabalin und Gabapentin bergen ein gewisses Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. / Foto: Getty Images/Wataru Yanagida
Am 24. Januar veröffentlichte das »Office for National Statistics« des Vereinigten Königreichs Zahlen zu Todesfällen im Zusammenhang mit der Anwendung von Gabapentin (Neurontin® und Generika) und Pregabalin (Lyrica® und Generika) in England und Wales zwischen den Jahren 2018 und 2022. Einige Medien griffen die Zahlen auf, nach britischen wie der »Sunday Times« nun auch zunehmend deutsche wie die »Frankfurter Rundschau« und das Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Das könnte Anwender auch hierzulande beunruhigen und eine einordnende Beratung in der Apotheke nötig machen. Bei einer ordnungsgemäßen Anwendung besteht aber kein Anlass zur Sorge. Die beiden Gabapentinoide werden bei neuropathischen Schmerzen, Epilepsie und generalisierten Angststörungen eingesetzt und gehören zu den häufig verordneten Medikamenten.
In Bezug auf Missbrauch, Abhängigkeit und Suizidversuche hatten bereits 2017 Münchner Mediziner vor einem zunehmenden »Lyrica-Problem« auch in Deutschland gewarnt. Nun ist die Zahl der Todesfälle in England und Wales in den vergangenen Jahren angestiegen: Von 93 Todesfällen unter Gabapentin-Einnahme im Jahr 2018 auf 135 Todesfälle im Jahr 2022. Bei Pregabalin ging es von 187 Fällen auf 441. Insgesamt werden dort zwischen 2018 und 2022 2110 Todesfälle mit den beiden Arzneistoffen in Zusammenhang gebracht.
Zwar sei in diesen Jahren auch das Verordnungsvolumen gestiegen, wie zwei Wissenschaftler auf der wissenschaftsjournalistischen Plattform »The Conversation« berichten. Dr. Harry Sumnall, Professor für Substanzmissbrauch an der Liverpool John Moores Universität, und Dr. Ian Hamilton, Associate Professor für Suchterkrankungen an der University of York, betonen jedoch, dass Pregabalin an sich nicht gefährlich ist, auch angesichts möglicher Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenzial. »Gefährlich kann Pregabalin jedoch werden, wenn es zusammen mit anderen Arzneimitteln eingenommen wird, mit denen es negative Wechselwirkungen hat, unabhängig davon, ob es vorschriftsmäßig verwendet wird oder nicht«, schreiben die beiden Suchtexperten und nennen hier vor allem Opioide, Benzodiazepine und Muskelrelaxanzien.
Und hier scheint auch das Problem zu liegen. Sie zitieren eine Analyse der Zahlen zu Gabapentinoid-Toten in England zwischen 2004 und 2020, die im April 2022 im »British Journal of Clinical Pharmacology« erschienen ist. Dort wurden 2322 Todesfälle in Zusammenhang mit Pregabalin und 913 mit Gabapentin genauer analysiert. In mehr als 90 Prozent der Fälle gab es eine Konutzung von Opioiden, wobei nur in einem Viertel der Fälle beide Medikamente ärztlich verordnet waren. Todesursache waren wohl in der Regel nicht die beiden Gabapentinoide, da Blutanalysen (sub)therapeutische Blutwerte ergaben. Nur in zwei Fällen wurde der Exitus auf die Gabapentinoide selbst zurückgeführt.
Zum lebensgefährlichen Problem werden Gabapentin und vor allem Pregabalin also wohl nur, wenn sie missbräuchlich und in Kombination mit anderen Drogen, vor allem Opioiden, verwendet werden. Nichtsdestotrotz sollten nach Ansicht von Sumnall und Hamilton sowohl die verordnenden Ärzte als auch die Patienten besser über die potenziellen Risiken von Pregabalin und Gabapentin aufgeklärt werden, vor allem das Abhängigkeitspotenzial. Die Verschreiber sollten regelmäßig prüfen, ob die Verordnung weiterhin notwendig ist. Zudem sollten Interaktionen berücksichtigt werden, insbesondere bei einer Suchterkrankung.
Zugleich müsse die Drogenpolitik das Problem stärker berücksichtigen und die gefährdeten Personen bräuchten mehr Unterstützung. »Ein einfaches Verbot der Verschreibung von Pregabalin erscheint weder praktikabel noch sicher, da es als nützliches und wirksames Medikament gilt, von dem viele Menschen profitieren«, betonen die Suchtexperten. Eine Verschärfung der Beschränkungen für Pregabalin sehen sie ebenfalls als nicht praktikabel an. Es könnte sogar zu größerem Schaden führen, schließlich sei die Verschreibungsfähigkeit 2019 bereits eingeschränkt worden. »Um etwas Sinnvolles zu tun, ist es entscheidend zu verstehen, warum Menschen Pregabalin mit anderen Medikamenten kombinieren, ob sie es verschrieben bekommen oder nicht«, so ihr Fazit.