Unterstützung aus der Offizin für die Nachsorge |
Für bestimmte Patienten mit Adipositas ist eine bariatrische Operation die einzige Möglichkeit, Gewicht zu verlieren. Sie benötigen nach dem Eingriff eine lebenslange Nachsorge, die das Apothekenteam professionell begleiten kann. / © Getty Images/SDI Productions
Die Betreuung bariatrisch operierter Patienten in der öffentlichen Apotheke ist längst keine Seltenheit mehr. Ob Schlauchmagen, Magenbypass oder andere Verfahren – diese Eingriffe stellen eine bedeutende Veränderung im Leben der Betroffenen dar. Im Zuge der starken und raschen Gewichtsabnahme können sich viele Begleiterkrankungen der Adipositas wie Typ-2-Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck zurückbilden. Daher sind bei diesen Patienten häufig Änderungen in der Medikation üblich und regelmäßig notwendig. Nach der stationären Versorgung, die sich meist auf zwei bis drei postoperative Tage beschränkt, kommen viele Patienten in die Apotheke ihres Vertrauens – mit Fragen, Unsicherheiten und einem hohen Beratungsbedarf.
Zu den häufigsten Verfahren der Adipositas-Chirurgie zählen die Schlauchmagenresektion (Sleeve-Gastrektomie) und der Roux-en-Y-Magenbypass. Während bei der Schlauchmagenresektion das Magenvolumen um circa 80 bis 90 Prozent reduziert wird, umgeht der Magenbypass zusätzlich zur Magenverkleinerung große Teile des Darms durch eine künstlich geschaffene Verbindung des Magens mit dem Jejunum.
Beide Verfahren resultieren in einer massiven Nahrungsrestriktion und in der Folge in dem gewünschten Effekt der raschen Gewichtsabnahme. Die anatomischen Veränderungen im Gastrointestinaltrakt führen zudem dazu, dass Vitamine, Mineralstoffe und auch Arzneimittel anders resorbiert werden als vor der Operation. Insbesondere bei Arzneiformen mit veränderter Wirkstofffreisetzung oder Wirkstoffen mit enger therapeutischer Breite ist daher besondere Vorsicht geboten.
Die Veränderungen sind vielschichtig. So müssen Patienten nach bariatrischen Operationen lebenslang bestimmte Vitamine und Spurenelemente supplementieren, da die Aufnahme aus der Nahrung nicht mehr ausreicht. Die S3-Leitlinie »Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen« liefert konkrete Dosisempfehlungen für die einzelnen Nährstoffe (Tabelle 1).
Ohne eine lebenslange Supplementation von Vitaminen und Spurenelementen geht es nach einer bariatrischen OP nicht. Das Apothekenteam kann dabei helfen, geeignete Präparate auszuwählen. / © Adobe Stock/JPC-PROD
Hierzu zählen unter anderem fettlösliche Vitamine, Folsäure, Vitamin B1, Vitamin B12 und Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Eisen, Zink, Kupfer und Selen. Multikomplexpräparate sind der Compliance zuträglich; sie können vom Apothekenteam auf die Übereinstimmung mit den Leitlinienempfehlungen überprüft werden. Besonders durch die enthaltenen mehrwertigen Kationen ist weiterhin auf Wechselwirkungen mit parallel eingenommener Medikation zu achten. Hier bietet sich eine Beratung der Patienten bezüglich sinnvoller Einnahmezeiten an.
Schlauchmagen | proximaler Roux-en-Y-Magenbypass | Biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch | |
---|---|---|---|
Protein (gesamt pro Tag) | >60 g/d | >60 g/d | >90 g/d |
Folsäure | MVM-Präparat 2×/d | 600 µg/d | 600 µg/d |
Vitamin B1 | MVM-Präparat 2×/d, keine Dosis-Empfehlung | MVM-Präparat 2×/d, keine Dosis-Empfehlung | MVM-Präparat 2×/d, keine Dosis-Empfehlung |
Vitamin B12 | oral: 1000 µg/di.m.: 1000-3000 µg/d alle 3 bis 6 Monate | oral: 1000 µg/di.m.: 1000-3000 µg/d alle 3 bis 6 Monate | oral: 1000 µg/di.m.: 1000-3000 µg/d alle 3 bis 6 Monate |
Vitamin A | MVM-Präparat 2×/d | MVM-Präparat 2×/d | 1-2×25.000 IU/d |
Vitamin D | Mind. 3000 IU/d, Serumkonzentration >30 ng/ml | Mind. 3000 IU/d, Serumkonzentration >30 ng/ml | Mind. 3000 IU/d, Serumkonzentration >30 ng/ml |
Vitamin E, K | MVM-Präparat 2×/d,keine Dosisempfehlung | MVM-Präparat 2×/d,keine Dosisempfehlung | MVM-Präparat 2×/d,keine Dosisempfehlung |
Calcium als Citrat | 1200-1500 mg/d | 1200-1500 mg/d | 1200-1500 mg/d |
Eisen als Sulfat, Fumarat, Gluconat | MVM-Präparat 2×/d | 50 mg/d | 2× 100 mg/d |
Magnesium als Citrat | 200 mg/d | 200 mg/d | 200 mg/d |
Zink als Gluconat, Sulfat, Acetat | MVM-Präparat 2×/d | MVM-Präparat 2×/d | 8-15 mg/d |
Kupfer als Gluconat, Oxid, SulfatSelen als Natriumselenit | Keine Empfehlung | MVM-Präparat 2x/d mit 2 mg/d Kupfer | MVM-Präparat 2×/d mit 2 mg/d Kupfer |
MVM-Präparat = Multivitamin-Mineralstoff-Präparat: Bei der Auswahl auf eine reichhaltige Anzahl der Mikronährstoffe und auf eine Konzentration innerhalb 100 Prozent der empfohlenen Tagesdosis (RDA) achten.
Durch das verringerte Magenvolumen und die Umgehung von Darmabschnitten ist die Pharmakokinetik vieler Arzneimittel sichtlich verändert. Besonders betroffen sind Arzneiformen mit veränderter Wirkstofffreisetzung wie Retardpräparate, Matrixtabletten oder auch Mikropellets. Die Wirkung kann abgeschwächt oder unkontrollierbar sein, weshalb sich bei einer Verschlechterung von Symptomen oder Laborparametern gegebenenfalls eine Umstellung auf andere Formulierungen wie Säfte, Granulate oder gegebenenfalls sogar parenterale Anwendungen wie Depotspritzen lohnt. Die Apotheke kann Kontakt zum behandelnden Arzt aufnehmen, um verfügbare Alternativen anzubieten und auf relevante Blutspiegel und Laborwerte hinzuweisen.
Viele Patienten klagen nach der Operation über neue Magen-Darm-Beschwerden, etwa Übelkeit, Durchfälle oder das sogenannte Dumping-Syndrom. Hierbei gelangt durch eine rasche Magenentleerung unverdaute Nahrung in den Darm und führt zu starken osmotischen Flüssigkeitsverschiebungen aus den Gefäßen in das Verdauungssystem. Die Folge ist ein starker Blutdruckabfall mit Symptomen wie Schwindel, Kaltschweißigkeit, Übelkeit, Bauchschmerzen und Durchfall. Folgende Empfehlungen können Bestandteil einer hilfreichen Beratung sein:
Flüssige Arzneizubereitungen enthalten häufig Zucker oder Zuckeralkohole, die ein Auftreten des Dumping-Syndroms begünstigen können. Auch das ist zu bedenken, wenn die Umstellung eines Arzneimittels erwogen wird.
Einige gängige OTC-Arzneimittel sind wegen der Gefahr postoperativer Komplikationen nach bariatrischen Eingriffen kontraindiziert oder nicht empfohlen (Tabelle 2). Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) zeigen ein erhöhtes Risiko für Magenblutungen, weshalb bei Fieber oder Schmerzen Paracetamol empfohlen wird. Vorsicht gilt hierbei besonders bei Kombinationspräparaten zum Beispiel gegen Erkältungssymptome, da diese häufig NSAR enthalten.
Bei Durchfall helfen Elektrolytlösungen oder Kapseln mit Saccharomyces boulardii, während auf Loperamid bei durch Bypass-Operation verkürztem Darm besser verzichtet werden sollte. Kommt es zur Obstipation, kann die Anwendung von Flohsamenschalen oder Macrogol neben nicht medikamentösen Maßnahmen wie einer Erhöhung der Trinkmenge und regelmäßiger Bewegung empfohlen werden.
Bei Blähungen oder Übelkeit sollten Magentropfen mit hohem Alkoholgehalt vermieden werden. Sodbrennen sollte postoperativ immer ärztlich abgeklärt werden, um schwerwiegende postoperative Komplikationen auszuschließen.
Symptom | Empfehlung | Risiko |
---|---|---|
Fieber, Schmerzen | • Paracetamol• Metamizol | • Ibuprofen• Naproxen• Acetylsalicylsäure• Etoricoxib |
Diarrhö | • Fett, Ballaststoffe und Lactose reduzieren• Elotrans® (Elektrolytlösung)• Perenterol® | • Loperamid |
Obstipation | • Geschrotete Leinsamen, Flohsamenschalen• Macrogol• Lactulose Sirup• Trinkmenge erhöhen, regelmäßige Bewegung, Stressabbau• Gesunde Fette, zum Beispiel Olivenöl und Nüsse | • Bisacodyl• Natriumpicosulfat |
Blähungen | • Sab Simplex®• Lefax® | • Magentropfen mit hohem Alkoholgehalt |
Übelkeit, Erbrechen | • Flüssigkeitsmenge erhöhen• Vitamin B1• Ingwer• Zäpfchen mit Dimenhydrinat (Vomex®) | |
Schnupfen | • Abschwellendes Nasenspray maximal drei Tage• Nasendusche | • Kombi-Präparate wie Wick® Medinait, Aspirin® Complex, Grippostad®C, Boxagrippal® |
Allergie | • Lokale Anwendungen wie Nasenspray, Augentropfen, Cremes und Salben• Tabletten mit Cetirizin oder Loratadin können nach circa sechs Monaten nach OP wieder angewendet werden | |
Sodbrennen | Ärztliche Abklärung empfohlen |
Eine Schwangerschaft innerhalb der ersten 12 bis 24 Monaten nach der Operation gilt als riskant, sodass über diesen Zeitraum eine Empfängnisverhütung empfohlen wird. Durch die verringerte Verweildauer im Verdauungstrakt, den beeinträchtigten enterohepatischen Kreislauf und gegebenenfalls zusätzliche postoperative Komplikationen wie Durchfälle kann die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva eingeschränkt sein. Für eine sichere Empfängnisverhütung sollten daher Verhütungsmethoden wie Kondome oder Diaphragmen zusätzlich angewendet werden.
Summa summarum erfordert eine bariatrische Operation von den Betroffenen eine lebenslange Disziplin, medizinische Kontrolle und ein geschärftes Bewusstsein für Arzneimittelsicherheit. Nicht zuletzt sind gezielte Hinweise auf Selbsthilfegruppen oder spezialisierte Ernährungs- und Bewegungstherapeuten ein wertvoller und geschätzter Bestandteil der Beratung in der Apotheke.