Unsichtbar, aber wirksam |
Die Erdatmosphäre hat einen hohen Anteil an Stickstoff und Sauerstoff. Beide Gase kommen auch medizinisch zum Einsatz. / Foto: NASA
In der Beatmungs- und Inhalationstherapie, bei der Koloskopie, in der Kryotherapie und Kryokonservierung, als Diagnostikum, zum Betreiben medizinischer Geräte – Gase kommen in der Medizin auf vielen Gebieten zum Einsatz. Sie sind dabei abhängig vom Einsatzgebiet als (verschreibungspflichtiges) Arzneimittel oder als Medizinprodukt auf dem Markt. Herstellung und Transport bis hin zur Anwendung am Patienten unterliegen daher einer entsprechenden Überwachung.
Das war nicht immer so: Bis zum Jahr 2005 wurden für medizinische und technische Zwecke dieselben Produkte eingesetzt. Erst mit der 14. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) änderte sich dies. Geregelt werden seitdem Anforderungen an Qualität und Sterilität sowie die Rückverfolgbarkeit der Chargen. Verwendungsorte sind neben Kliniken auch der Rettungswagen, Arztpraxen und der Homecare-Bereich. Wie bei anderen Arzneimitteln gibt es auch bei medizinischen Gasen missbräuchliche Verwendungen.
Eingesetzt werden die komplette Luft sowie ihre isolierten Bestandteile. Das sind vor allem Sauerstoff, Stickstoff, Kohlendioxid, aber auch Helium und das Edelgas Xenon. Gewonnen werden die Gase bis auf Helium durch die Fraktionierung von gefilterter Umgebungsluft (Linde-Verfahren, Georges-Claude-Verfahren). Für Distickstoffmonoxid (Lachgas) und Stickstoffmonoxid gibt es chemische Herstellungsverfahren. Durch Druck oder Kühlung werden sie verflüssigt und lassen sich so transportieren und lagern. Das geschieht in der Regel in Druckgasbehältnissen, die es in verschiedenen Größen gibt: von der kleinen Kartusche bis hin zu speziellen Tanklastwagen.
Luft zur medizinischen Anwendung wird in der künstlichen Beatmung eingesetzt oder als Bestandteil eines Narkosegases, um das Gemisch auf einen gewünschten Sauerstoffgehalt einzustellen. Der Sauerstoffgehalt medizinischer Luft entspricht dem der Umgebungsluft. Auch als Treibmittel in der Inhalationsbehandlung mit Verneblern wird sie verwendet. Wichtig ist sie außerdem bei der Versorgung immunsupprimierter Patienten, etwa nach einer Organtransplantation. Medizinische Luft ist apothekenpflichtig.
Eines der meistgenutzten Gase im Krankenhaus ist Sauerstoff (O2). Im Rettungsdienst ist es das am häufigsten verwendete Notfallmedikament. Eingesetzt wird es in Konzentrationen von 30 bis 100 Prozent. Mögliche Indikationen sind die Behandlung und Prophylaxe einer Hypoxie oder die Behandlung eines Clusterkopfschmerzes. Eine ausreichende Sauerstoffversorgung in Geweben spielt nicht zuletzt bei der Wundheilung eine zentrale Rolle.
Wie bei anderen Arzneimitteln finden sich auch in den Fachinformationen medizinischer Gase unter anderem Kontraindikationen sowie Neben- und Wechselwirkungen. Für Sauerstoff werden unter anderem Wechselwirkungen mit Amiodaron genannt. Außerdem kann Sauerstoff eine alkoholinduzierte Atemdepression verschlimmern. Corticosteroide, eine Hyperthyreose oder ein Mangel an den Vitaminen C und E oder Glutathion können die Toxizität von Sauerstoff verstärken. Nicht zuletzt im Homecare-Bereich, wo Sauerstoff durch den Patienten direkt angewendet wird, müssen Fragen zum Umgang mit Gasen als Gefahrstoff (hier: Brennbarkeit, Gefahr der Selbstentzündung) und Gefahrgut (Druckgasbehälter) besprochen werden.
Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O) als Einzelsubstanz wird zur Anästhesie-Einleitung und in Kombination mit Sauerstoff zur Behandlung von kurzzeitigen Schmerzzuständen von leichter bis mittlerer Intensität angewendet. Besonders geschätzt wird sein rasches An- und Abfluten, wodurch sich die Wirkung gut steuern lässt. Es kann bei Patienten ab einem Alter von einem Monat eingesetzt werden. Sowohl das Mono- als auch das Kombipräparat sind verschreibungspflichtig.
In der Anästhesie sind medizinische Gase unverzichtbar, da sich Narkosen mit ihnen gut steuern lassen. / Foto: Adobe Stock/romaset
Bei Lachgas besteht die Möglichkeit von Abhängigkeit und Missbrauch. Zudem verursacht es eine Inaktivierung von Vitamin B12 mit einer Beeinträchtigung des Folat-Stoffwechsels und der DNA-Synthese. Eine häufige oder längerdauernde Verabreichung kann daher zu Veränderungen im Knochenmark und entsprechenden Neuropathien führen. Bleibende Schäden sind möglich.
Dies wurde auch bei der missbräuchlichen Verwendung beobachtet. Als Partydroge missbraucht werden in der Regel jedoch nicht Arzneimittel mit diesem Wirkstoff, sondern vor allem Treibgaskapseln in Sahnebereitern. Unter anderem in Großbritannien ist der Besitz von Lachgas seit Kurzem verboten, Wiederholungstätern drohen bis zu zwei Jahre Haft. Dort ist Lachgas die am dritthäufigsten konsumierte Droge. Auch in Deutschland nimmt der Missbrauch drastisch zu.
Sein hoher Preis ist der wohl größte Nachteil des Edelgases Xenon, seine anderen Eigenschaften machen es zu einem idealen Narkosegas. Es ist inert und lässt sich noch besser steuern als Lachgas. Für die Patienten bedeutet dies: Kaum ist die Narkose beendet, sind sie wieder »voll da«. Geschlossene Systeme erlauben ein Recycling des verwendeten Edelgases.
Auch hier wurde ein Missbrauch bekannt: Xenon steht – neben Argon – seit Juni 2014 auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Hintergrund ist ein möglicher positiver Effekt auf die Bildung von Erythropoietin (EPO).
Ebenfalls verschreibungspflichtig ist Stickstoffmonoxid (NO). Es wird zur Behandlung von Neugeborenen eingesetzt, die ab der 34. Schwangerschaftswoche, also als Frühchen, mit einer respiratorischen Insuffizienz und Anzeichen einer pulmonalen Hypertonie auf die Welt kommen, sowie bei Patienten aller Altersgruppen mit einer Herzoperation, um selektiv den pulmonal-arteriellen Blutdruck zu senken. Wichtig ist, dass eine Anwendung schrittweise beendet wird, um einen zu raschen Wiederanstieg des Pulmonalarteriendrucks zu verhindern.
Der menschliche Organismus bildet das kleine Molekül außerdem selbst. So sorgt unter anderem eine Freisetzung in den Endothelien der Blutgefäße für eine Relaxation der Gefäße und damit für eine Senkung des Blutdrucks. Im Jahr 1998 gab es für seine Entdeckung den Nobelpreis.
Helium (He) kennt man vor allem als Gas zum Befüllen von Ballons, Kohlenmonoxid (CO) unter anderem als giftiges Gas aus den Auspuffrohren von Kraftfahrzeugen. Die Kombination aus beiden gibt es jedoch auch als Diagnostikum zur Untersuchung der Lungenfunktion. Helium als inertes Gas verteilt sich im gesamten Lungenvolumen, wird aber vom Körper nicht aufgenommen. Die Verdünnung kann daher zur Bestimmung der Lungenkapazität herangezogen werden. Kohlenmonoxid gelangt über die Alveolen ins Kapillarblut. Bei Krankheiten, Entzündungen und/oder Fibrose ist dieser Prozess jedoch verringert, was zur Diagnostik herangezogen werden kann.
Ebenfalls in der Diagnostik zum Einsatz kommt Kohlendioxid (CO2). Es wird in der Laparoskopie (Darmspiegelung) verwendet, um den Darm zu dehnen, was die Erkennbarkeit etwa von Darmkrebsvorstufen verbessert. Patienten verspüren nach der Untersuchung für eine gewisse Zeit ein Blähungsgefühl. Ein Teil des Gases wird über den Darm resorbiert, das meiste verlässt ihn über den Darmausgang.
Daneben kommt es als Trockeneis unter anderem in der Kryotherapie zum Einsatz, zum Beispiel beim Vereisen von Warzen. Hergestellt wird es, indem man CO2 zunächst unter Druck verflüssigt und anschließend entspannt.
Flüssiger Stickstoff wird häufig zur Lagerung von Zellen verwendet, um deren Langlebigkeit und Funktionalität zu gewährleisten. / Foto: Adobe Stock/sola_sola
Stickstoff (N2) wird vor allem in flüssiger Form verwendet. Er dient vor allem zur Kryokonservierung unter anderem von Eizellen, Sperma oder biologischen Proben. Mehr Wunsch als Wirklichkeit ist es, wenn Menschen sich nach ihrem Ableben in flüssigem Stickstoff einfrieren lassen, um irgendwann einmal wieder zum Leben erweckt zu werden. Diese sogenannte Kryonik bewegt sich momentan noch klar im Bereich von Science-Fiction.