Viele Senioren sind der modernen Technik gegenüber sehr aufgeschlossen. Dies lässt sich zur Optimierung der Arzneitherapie nutzen. / Foto: Adobe Stock/Ingo Bartussek
Die moderne Telepharmazie wird in der öffentlichen Apotheke einzelne Prozesse der Patientenbetreuung gravierend verändern. Ein Segment, das trotz entscheidender technischer Fortentwicklungen in deutschen Apotheken noch zu wenig beachtet wird, sind digital vernetzte Arzneiformen, im Englischen Connected Drug Delivery Devices (CDDD) genannt. Dies sind drahtlos mit der Apotheke verbundene, elektronisch gesteuerte Verabreichungs- und Anwendungssysteme, die den ambulanten Patienten bei der Arzneimittelapplikation kontinuierlich unterstützen und monitorieren. Digital vernetzte Arzneiformen überwachen nicht nur die Adhärenz, sondern auch die korrekte Anwendungstechnik bei verschiedenen Darreichungsformen.
Digital vernetzte Arzneiformen stellen immer eine Kombination aus Arzneistoffformulierung/Packmittel und digitalem Modul dar. Die beiden Komponenten können fest zu einer Einheit verbunden sein oder als zwei miteinander koppelbare Module vorliegen. Im zweiten Fall kann die marktübliche Arzneiform auch allein, also ohne digitale Komponente und damit ohne die softwarebasierten Vorteile eingesetzt werden. Dies kann etwa bei entleerter Batterie oder nass und unbrauchbar gewordenem elektronischem Modul sehr hilfreich sein.
Drei Beispiele aus der Erprobungsphase in der Apotheke des Autors (St. Ulrich-Apotheke, Peißenberg) sollen die breite Einsatzpalette der digital vernetzten Arzneiformen verdeutlichen:
Das Spektrum an therapeutischen Systemen mit digitalen Komponenten oder Merkmalen hat sich in den letzten Jahren stark erweitert (1). Die Grafik 1 zeigt einen schematischen Überblick über die Gerätepalette (2). Bei den im Artikel besprochenen Devices handelt es sich um Vertreter der untersten Geräteklasse im Schema. Bei einigen Produkten ist eine Einbindung der Präsenzapotheke mit Vorteilen für den Patienten verbunden (3).
Noch deutlich schneller expandiert der Bereich der patientengenutzten elektronischen Diagnostika, der für Apotheken ebenfalls ein weites Betätigungsfeld bietet.
Grafik 1: Klassifizierung von patientengenutzten digitalen therapeutischen Systemen; modifiziert nach Cremer, K., 2020 (2). *) BfArM: Digitale Gesundheitsanwendung, DiGa / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die Europäische Kommission subsummiert die vernetzten Arzneiformen unter dem Begriff »digitale Hilfsmittel für eine aufgeklärte Mitwirkung der Bürger und eine patientenorientierte Pflege«. Sie billigt ihnen eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Gesundheits- und Pflegedienste zu (4). Alle in Deutschland vertriebenen digital vernetzten Arzneiformen sind als Medizinprodukte, zum Beispiel Klasse 2a, zertifiziert.
Digital vernetzte Arzneiformen werden häufig von angelsächsischen und skandinavischen Firmen entwickelt und propagiert. In den wenigen deutschsprachigen Publikationen werden sie mit verschiedenen, manchmal unpräzisen Termini belegt, zum Beispiel eDevices, smart Devices oder Telemonitoringsysteme. Die wörtliche Übersetzung der international gebräuchlichen Bezeichnung »Digital Connected Drug Delivery Devices« erscheint präziser. Daher soll hier der Terminus »digital vernetzte Arzneiformen« (DVAF) benutzt werden.
Verschiedene DVAF wurden ursprünglich für den Einsatz in kontrollierten klinischen Studien konzipiert. Aufgrund positiver Erfahrungen, zunehmend einfacherer Bedienung und sinkender Gerätepreise finden sie sukzessive Eingang in den ambulanten Patientenalltag. Als beteiligte Heilberufler wurden zunächst Ärzte eingesetzt.
Zur Betreuung von Patienten im Medikationsmanagement mit DVAF außerhalb von Studien und außerhalb des Krankenhauses sind auch Offizinapotheker prädestiniert. Dabei ist eine Kooperation zwischen Ärzten und Apothekern angesichts der vorliegenden digitalen Befunde problemlos und effektiv realisierbar (5–7).
Digital vernetzte Arzneiformen können sehr unterschiedlich aufgebaut sein. Übereinstimmend weisen sie folgende Hard- und Softwarekomponenten auf: Im Device eingebaute batteriebetriebene Minisensoren (MEMS-Sensoren), wie sie auch in Smartphones oder Kfz-Kontrollmodulen enthalten sind, registrieren physikalische Parameter. Dies können etwa geradlinige Beschleunigung oder Drehbewegung sowie thermische, magnetische, optische, akustische oder mechanische Signale sein.
Die Sensorsignale werden drahtlos auf eine App im Smartphone des Patienten oder auf ein Speicher- und Sendemodul, ein sogenanntes Gateway, in der Patientenwohnung übertragen. Bei manchen Systemen kann dieses »therapeutische Tagebuch« durch weitere manuelle oder digitale Eingaben des Patienten ergänzt werden. Die Synchronisation von DVAF und Smartphone oder Sendemodul erfolgt systemabhängig entweder sofort bei Anwendung des Arzneimittels oder verzögert, etwa nach Rückkehr des Patienten in seine Wohnung.
Smartphone oder Sendemodul übermitteln die verschlüsselten Daten auf ein Speichersystem, etwa eine Cloud-basierte Plattform des DVAF-Herstellers. Nur nach ausdrücklicher Freigabe durch den Patienten erhalten bestimmte Personenkreise ein Zugriffsrecht auf diesen Speicher. Die Daten werden ihnen als PDF-Bericht oder über ein Web-basiertes Dashboard zur Verfügung gestellt. Je nach Systemkonfiguration werden Meldungen kontinuierlich oder nur bei Eintreten kritischer Ereignisse oder Überschreiten definierter Grenzwerte übertragen. Natürlich kann der Patient auch Texte und Grafiken vollständig oder teilweise ausdrucken und als Hardcopy weiterreichen.
Bei der drahtlosen Vernetzung der modernen Arzneiformen werden verschiedene Übertragungstechnologien eingesetzt (Tabelle 1). So etwa häufig Bluetooth® LE, aber auch IrDA (Infrared Data Association) und NFC (Near Field Communication) für die Datenübermittlung vom Sensor zum Smartphone/Sendemodul. Zu beachten sind die relativ kurzen Reichweiten von IrDA und NFC. Zur automatischen Weiterleitung vom Smartphone/Sendemodul zur Cloud-basierten Plattform wird ausschließlich Mobilfunk (IP-Netz) genutzt. Ist in der genutzten Version keine Übertragung des Therapietagebuchs vom Smartphone vorgesehen, kann der Patient natürlich einen entsprechenden Screenshot an die kontrollierende Stelle senden.
| Übertragungstechnologie | Beispiele für Einsatz der Technologie in DVAF | Beispiele für Einsatz der Technologie in anderen Bereichen | Reichweitenbereich | |
|---|---|---|---|---|
| NFC (Near Field Communication) | NovoPen® 6* | Kreditkarten, Fahr- und Eintrittskarten | 1 bis 5 (20) cm | |
| IrDA (Infrared Data Association) | Easypod®, RebiSmart® | Fernbedienungen im Consumerbereich, Datenlogger | bis etwa 1 m | |
| Bluetooth® LE | Beta connect™, Enerzair® Breezhaler® (Sensor), Esysta® BT Pen, Pendiq® 2.0 | Smart Home-Geräte, Wearables (zum Beispiel Fitness Tracker) | 10 bis 50 (100) m (indoor) | |
| WLAN (Wireless LAN) | Internet-Anbindung von PC | 50 bis 100 m (indoor) | ||
| GSM (Global System for Mobile Communication, 2G Mobilfunk) und UTMS (Universal Mobile Telecommunications System, 3G) | Beta connect™, Easypod® connect, Enerzair® Breezhaler® (Sensor), RebiSmart® | Telefonie und Datenübertragung | bis etwa 30 km (im Freien) | |
| LTE-M (Long Term Evolution for Machines, 4G), NB-IoT (Narrow Band for the Internet of Things) | moderne DVAF (im Entwicklungsstadium) | Fuhrparkmanagement, Verfolgung von Transport-Containern | bis etwa 30 km (im Freien) |
Zwei neue, auf 4G basierende Mobilfunkstandards ermöglichen künftig eine direkte Verbindung der DVAF mit der finalen Plattform. Das als Gateway genutzte Smartphone oder Sendemodul kann also wegfallen. Diese modernen Übertragungstechnologien sind das LTE-M (Long Term Evolution for Machines) und NB-IoT (Narrow Band for the Internet of Things). Beide wurden für die mobile Konnektivität entwickelt und unterstützen das »Internet der Dinge« (Internet of Things, IoT).
Den persönlichen Kontakt des Apothekenpersonals mit dem Patienten kann die Technik nicht ersetzen. Vielmehr sind regelmäßige, auch ausführliche Gespräche wichtig. / Foto: Adobe Stock/InsideCreativeHouse
Eine interessante Konzeptvariante wird für Arzneiformen entwickelt, deren Anwendung mit einem charakteristischen Geräusch verbunden ist. Das sind etwa Pulverinhalatoren mit Klickgeräuschen beim Öffnen und Schließen sowie einem spezifischen Pfeifgeräusch beim Ansaugen des Pulvers. Die »akustische Signatur« des Anwendungsvorgangs wird direkt vom Mikrofon des Patientenhandys erfasst, von der entsprechenden App analysiert und an die zugehörige Patientendatei im Server übertragen. Auf dem Smartphone-Display kann der Patient sofort seine Anwendungstechnik kontrollieren. Hier entfällt ein zusätzliches Sendemodul, jedoch muss der Patient beim Kontrollvorgang stets aktiv mitwirken.
Erklärte Ziele des Einsatzes von DVAF in der telepharmazeutischen Betreuung ambulanter Patienten sind die Verbesserung
Der Face-to-face-Kontakt der Apotheke mit dem Patienten und/oder seinem Betreuer soll durch die Technik keinesfalls reduziert oder gar ersetzt werden. Vielmehr wird der persönliche Fakten- und Erfahrungsaustausch mithilfe der zusätzlich gewonnenen Daten individualisiert und damit qualitativ verbessert. Im Idealfall steigt die Effektivität der Pharmakotherapie, während die Kosten sinken.
Die verbesserte Kommunikation nützt selbstverständlich auch allen in das Netz eingebundenen Personen, etwa dem Haus-, Fach- und Klinikarzt, weiteren Therapeuten oder den betreuenden Angehörigen. Die modernen Arzneiformen sind somit auch ein Schritt in Richtung eines vernetzten Gesundheitsportals und der elektronischen Patientenakte (8).
Aus eigener Erfahrung ist bekannt, dass viele Patienten sich um den Datenschutz sorgen. Umso wichtiger ist es, dass Anforderungen an Datensicherheit und -hoheit unbedingt erfüllt werden. Der Patient muss zu jeder Zeit die völlige Souveränität über seine Daten haben. Der Personenkreis mit einer Datenzugangsberechtigung ist klar und eng zu definieren. Daneben muss bei der Festlegung der Schnittstelle der Umgang der beteiligten Firmen mit den Daten berücksichtigt werden. Die Daten sind ohne Personenbezug, also pseudonymisiert zu übertragen.
Eventuell müssen auch haftungsrechtliche Aspekte bei Versagen der Technik oder des Datenschutzes geklärt werden. Offensichtlich sind die Risiken telemedizinischer Behandlungen noch nicht abschließend geklärt (8).
Eine weitere Herausforderung waren für die am Testlauf beteiligten Patienten und wiederholt auch für die betreuenden Mitarbeiter der St. Ulrichs-Apotheke technische Probleme bei der Handhabung der Sende- und Empfangsmodule, insbesondere auch bei deren Konfigurieren. Diese (vorübergehenden) Schwierigkeiten zeigten, wie notwendig eine kontinuierlich persönlich ansprechbare Institution für den Patienten ist. Telefonische Beratungen erwiesen sich oft als unzureichend.
Künftige DVAF-Entwicklungen mit modernen 4G-Übertragungstechnologien vom Sensor direkt zum Apotheken-PC dürften hier gewisse Vereinfachungen bringen, vor allem für Patienten mit geringer Affinität zu elektronischen Geräten. Andererseits sind gerade ältere Patienten oft sehr zufrieden mit den digital vernetzten Arzneiformen, wenn sie anfängliche technische Schwierigkeiten erst einmal überwunden haben.
Einzelfallbeschreibungen und teilweise kontrollierte Studien belegen deutlich eine bessere Adhärenz mit den DVAF im Vergleich zu entsprechenden Standardarzneiformen. Dies gilt für parenterale (9–13), perorale (14–18), inhalative (9, 16, 19, 20) und konjunktivale (21) Darreichungsformen. Die Adhärenzraten lagen in verschiedenen Untersuchungen im Mittel über 90 Prozent während einer mehr als einjährigen Kontrollzeit (9, 11). Dieser Prozentsatz ist mit herkömmlichen Optimierungsmethoden nicht dauerhaft erreichbar. Ferner ist das automatische Adhärenz-Monitoring natürlich objektiver und exakter als etwa die Auswertung von Tagebucheinträgen oder Arzneimittelrestmengen.
Eine direkte Korrelation zwischen Adhärenzrate und therapeutischem Effekt wurde bei Corticosteroiden (inhalativ), Interferon beta (zur MS-Therapie) und Somatropin nachgewiesen. Asthma-bedingte Hospitalisierungen und notfallmäßiger Einsatz von kurz wirksamen Beta-2-Sympathomimetika waren bei Nutzung von »smart Inhalern« gegenüber Standard-Inhalatoren signifikant verringert. Durch Einbinden lokaler GPS-gestützter Umweltdaten in das System der DVAF konnten akute Schadstoff- und Pollenbelastungen berücksichtigt werden, was das Therapieergebnis weiter verbesserte.
Rüstet man zusätzlich zum täglich eingesetzten Inhalationsdevice auch den Notfall-Inhalator, zum Beispiel ein Salbutamol-Dosieraerosol, als digital vernetzte Arzneiform aus, erhält man weitere wichtige Daten für ein objektives Patienten-Monitoring (9, 22, 23).
Zwei in Deutschland verfügbare Systeme zur Betainterferon-Therapie für Multiple-Sklerose-Patienten / Foto: Kircher
Die softwaregestützte Insulintherapie verbesserte den HbA1c-Wert und die TIR (Time in Range: Zeit im Blutzucker-Normalbereich) und senkte die Komplikationsrate des Diabetes stärker als die Insulinzufuhr mit konventionellen Pens. Zusätzlich ergab sich eine Evidenz für reduzierte Therapiekosten bei Asthma-/COPD- und Diabetes-Patienten (19, 24, 25).
Ergänzend ist festzuhalten, dass bei verschiedenen geprüften Devices nur Ärzte und spezialisiertes medizinisches Personal Zugriff auf die übermittelten Daten hatten. Bei drei der in Deutschland im Handel befindlichen parenteralen Devices (Betaconnect®, easypod®, RebiSmart®) entspricht dies den Konzepten der pharmazeutischen Unternehmer (9, 11, 12). Bei anderen Devices werden neben den Patienten und Ärzten auch andere Betreuungsteams oder ausschließlich Apotheker als zugriffsberechtigt genannt.
Ein weiterer ganz entscheidender Nutzen der DVAF besteht in der kontinuierlichen Kontrolle des korrekten Umgangs mit den Geräten. So werden beispielsweise die Aufbewahrungstemperatur, das regelmäßige Schütteln und die Betätigung von Tasten am Inhalator in richtiger Reihenfolge zu anderen Handhabungsschritten an die betreuende Apotheke übertragen.
Künftig lassen sich auch komplex zu bestimmende Parameter wie die korrekte Einatemstromstärke beim Inhalieren, das Quetschen des Augentropffläschchens im richtigen Ausmaß oder sein sachgerechtes Positionieren am Auge verfolgen. Dies erfolgt unter anderem durch eine digitale Analyse von akustischen und mechanischen Signalen sowie von Sechs-Achsen-Bewegungen (Gyroskop-Signalen) (26–29).
In einigen der genannten Adhärenzstudien wurde nicht allein die zeitgerechte Anwendung der richtigen Arzneimitteldosis gewertet, sondern zusätzlich die korrekte oder falsche Anwendungstechnik berücksichtigt. Erwartungsgemäß ergaben sich hier große Differenzen. So betrug bei konventioneller Messung an 184 COPD-Patienten die Adhärenzquote 59 Prozent, bei differenzierter Untersuchung mittels vernetzter Inhalatoren aber nur 23 Prozent. Nur 7 Prozent hatten eine differenzierte Adhärenzquote von über 80 Prozent (20).
Die genannten klinischen Befunde zeigen die derzeit wesentlichen Einsatzgebiete der digital vernetzten Arzneiformen in Projekten und in der ambulanten Alltagsbetreuung:
Die Tabellen 2 und 3 zeigen die wichtigsten der in Deutschland für den ambulanten Patientenalltag aktuell verfügbaren Systeme. Exemplarisch werden Charakteristika einer parenteralen und einer inhalativen DVAF hier vorgestellt.
| Device, Produktinformationen | Applikationsroute | Fertigarzneimittel | Wirkstoffe, Indikationen | Übertragene Anwendungsparameter | Übertragungskette |
|---|---|---|---|---|---|
| Betaconnect™ (www.ms-gateway.de) | parenteral | Betaferon® Pulver und Lösungsmittel | Interferon beta 1b, Multiple Sklerose | Injektionszeitpunkt, Injektionsstelle, Einstichtiefe, Injektionsgeschwindigkeit | Betaconnect™ an Smartphone (myBETAapp™) an Cloud (Betaconnect™ Navigator) mit Zugriff durch MS-Schwester, Arzt |
| Breezhaler® + Propeller Health Sensor (www.zusammen-gesund.de) | inhalativ | Enerzair® Breezhaler® Pulver zur Inhalation | Indacaterolacetat, Glycopyrroniumbromid, Mometasonfuroat, Asthma, COPD | Zeitpunkt einer Inhalation (inkl. Kapselperforation), Anzahl der Einatemzüge | Breezhaler® + Sensor an Smartphone (Propeller-App) an E-Mail/Ausdruck an Arzt, Apotheke, Betreuer, an Propeller Health Server (Irland) |
| Careousel® Advance GSM*, automatischer Medikamentenspender (www.pharmacell.se) | peroral | für verschiedene feste Peroralia | u.a. Arzneimittelentnahme zum vorgegebenen Zeitpunkt erfolgt/nicht erfolgt, Gerätestörungen | Careousel® sendet SMS und E-Mail an drei Empfänger |
| Device, Produktinformationen | Fertigarzneimittel | Wirkstoffe, Indikationen | Übertragene Anwendungsparameter | Übertragungskette |
|---|---|---|---|---|
| easypod® (www.merckgroup.com) | Saizen® (verschiedene Stärken) Injektionslösung | Somatropin, hypophysärer Minderwuchs | Datum des Ampullenwechsels, Injektionszeitpunkt, Einstichtiefe, Injektionsgeschwindigkeit, injizierte Dosis | easypod® an Sendestation beim Patienten an Cloud (easypod® connect) mit Zugriff durch Arzt |
| Esysta® Pen (www.emperra.com) | für verschiedene 3-ml-/100-IE-Insulinpatronen | Insuline, Diabetes mellitus Typ 1/-2 | Zeitpunkt der Injektion, injizierte Dosis, daneben auch Blutzuckerwerte von Esysta® Lab und anderen Geräten | Esysta® Pen an Basisstation beim Patienten an gesicherten Server (Esysta® Portal) mit Zugriff durch Arzt, Betreuungsperson an Smartphone (Esysta® App).Esysta® BT Pen an Smartphone (Esysta® App) an gesicherten Server (Esysta® Portal) mit Zugriff |
| Pendiq 2.0 Digitaler Insulinpen (www.pendiq.com) | für verschiedene 3-ml-/100-IE-Insulinpatronen | Insuline, Diabetes mellitus Typ 1/-2 | Zeitpunkt der Injektion, injizierte Dosis, Nadelblockade, Insulinrestgehalt der Patrone, geringer Ladezustand des Akkus | Pendiq 2 an Smartphone (Dialife). Weiterleitung an Arzt/Apotheker als Screenshot, per Kabel oder als Hardcopy |
| RebiSmart® (www.merckgroup.com) | Rebif® (verschiedene Stärken) Injektionslösung | Interferon beta-1a, Multiple Sklerose | Datum der Injektion | RebiSmart® an Sendestation beim Patienten an Cloud (adviva) mit Zugriff durch Patient, Arzt |
Zwei digital vernetzte Insulinpens / Foto: Kircher
Der vernetzte Esysta® Insulinpen ist für U-100-Insuline in 3-ml-Patronen der Firmen Berlin-Chemie, Lilly, Novo Nordisk und Sanofi-Aventis zugelassen. Er sendet Daten über die injizierten Insulindosen und zugehörigen Injektionszeitpunkte automatisch per Funk an eine Basisstation in der Wohnung des Patienten. Auch die Blutzuckerwerte eines passenden Messgeräts (Esysta® Lab oder anderer kompatibler Geräte) werden an diese Basis drahtlos übertragen.
Die zigarettenschachtelgroße Empfangs- und Sendebasis benötigt einen Stromnetzanschluss, aber keine Bedienung oder Wartung. Sie sendet das aus Pen- und Messgerätdaten präzise erstellte Diabetes-Tagebuch verschlüsselt an einen gesicherten Server des Pen-Herstellers. Dieser wird in Berlin betrieben. Auf die dort gespeicherten Daten (Esysta® Portal) können der Patient, sein Arzt und/oder die Apotheke zugreifen. Der Patient kann die Aufzeichnungen zusätzlich auf seine entsprechende Smartphone-App laden.
Daneben ist der Esysta® Pen in einer zweiten Version verfügbar, die das Smartphone des Patienten als Gateway zwischen Pen und Cloud nutzt. Die verarbeiteten Daten sind in beiden Systemvarianten identisch (10).
Das Präparat Enerzair® Breezhaler® plus Sensormodul basiert auf dem marktüblichen Pulverinhalator Breezhaler® und einem auf den Inhalator aufsteckbaren Modul mit einem mechanischen und einem akustischen Sensor. Damit lassen sich die Tastenbetätigung für die Kapselperforation und die Drehgeräusche der Kapsel sowie deren richtige Reihenfolge erfassen. Die Signale der Sensoren werden mittels Bluetooth®-Verbindung zum Smartphone des Patienten übertragen.
Für Asthma-Patienten: Enerzair® Breezhaler® in der Ausführung mit Sensormodul / Foto: Kircher
Die zugehörige App auf dem Handy (Propeller Health App) ergänzt die übermittelten Zeitpunkte einer korrekten Inhalation mit therapierelevanten Umwelt- und Klimadaten. Bei diesen von externen Institutionen (AccuWeather, BreezoMeter) abgerufenen Werten für die lokale klimatische Situation sowie die Pollen- und Schadstoffbelastung wird die jeweilige GPS-Position des Patientenhandys berücksichtigt. Damit kann die App eine individuelle Tagesprognose der Atemwegsbeschwerden errechnen. Weiterhin umfasst dieses »elektronische Tagebuch« die Nutzungsfrequenz des Notfall-Inhalators (Beispiel: Salbutamol-Dosieraerosol) und andere manuelle Eingaben des Patienten zu seinen aktuellen Belastungen und Symptomen.
Ein günstiger Nebeneffekt der Smartphone-gestützten Positionsbestimmung des Inhalators besteht darin, dass ein verlegtes Gerät rasch geortet werden kann. Auch ein vom Sensor abgegebener »Lokalisierungston« erleichtert sein Wiederfinden (33).
Falls der Patient nicht widerspricht, werden die von der App gesammelten Daten anonymisiert einem Cloud-basierten Speicher zugeleitet. Der entsprechende Server der Vertriebsfirma des Sensormoduls (Propeller Health) wird innerhalb der EU gehostet. An die fällige Inhalation zum eingegebenen Zeitpunkt erinnert das Sensormodul durch eine Tonfolge. Monatlich übermittelt die App per E-Mail dem Patienten seinen Asthmabericht mit den App-Daten, den er an seinen Arzt, seine Apotheke oder eine Vertrauensperson weiterleiten kann.
In naher Zukunft ist eine stärkere Verbreitung derartiger Devices abzusehen, vor allem in der Therapie von Diabetes, Asthma, COPD und Mukoviszidose. Auch für weitere chronische Beschwerden wie kardiovaskuläre, ophthalmologische oder dermatologische Erkrankungen liegen entsprechende Konzepte mehrerer Firmen vor. Vor allem alleinlebende oder kognitiv eingeschränkte Personen können davon deutlich profitieren.
Ebenso werden Patienten, die bestimmte Arzneimittel nur vorübergehend, aber streng nach festem Zeitplan applizieren müssen, damit effektiv unterstützt. Dies gilt etwa bei Behandlungszyklen mit peroralen Onkologika.
Zudem stehen ein mit individuellen Blisterbeuteln befüllbarer, vernetzter Dispenser und ein Pen für mehrere Insuline eines Herstellers kurz vor der Markteinführung in Deutschland.
Selbst gefertigtes digitales System / Foto: Kircher
Im Einzelfall sind auch in der Apotheke konzipierte DVAF für spezielle patientenindividuelle Problemstellungen möglich (Grafik 2). So ist eine große Palette von unterschiedlichen Sensoren und Übertragungsmodulen im Elektronikhandel preisgünstig erhältlich. Diese können von geübten Personen oder spezialisierten Firmen zu einem Monitoring-System kombiniert werden.
Mitunter können in anderen Bereichen der Technik oder des Logistikwesens eingesetzte Sensorsysteme durch Umkonfigurieren an das jeweilige pharmazeutische Problem angepasst werden. So etwa Transporttracker zur Kontrolle der Aufbewahrungstemperatur, des Umschüttelns, der Geräteposition bei der Anwendung oder der Abnahme einer Schraubverschlusskappe. Gegebenenfalls sind juristische Aspekte beim Einsatz dieser »rezepturmäßig hergestellten« Systeme zu berücksichtigen.
Grafik 2: Monitoring eines Anwenders bei Aufbewahrung und Verabreichung eines zubereiteten Amoxicillin-Clavulansäure-Trockensaftes (dreimal tägliche Einnahme über sieben Tage). Ein digitales Modul mit Sensoren für Temperatur, Beschleunigung und Flaschenneigung wurde in der Apotheke an der Originalflasche fixiert (Foto oben) und überträgt kontinuierlich Daten an den PC der Apotheke mittels GSM und LTE-M. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Grundsätzliche technologische Weiterentwicklungen werden den therapeutischen Wirkungsgrad der digital vernetzten Arzneiformen weiter steigern. Denkbar ist etwa deren Ergänzung mit weiteren digitalen Modulen, die kontinuierlich diagnostische Parameter des Patienten erfassen und dem Arzneistoffsteuersystem oder dem Arzt/Apotheker melden.
Der Patient erhält die digitalen Erinnerungssignale zur Anwendung dann nicht nur entsprechend seinem festen Medikationsplan, sondern auch bei akuten Veränderungen des Krankheitsbilds. Die gemessenen und übertragenen Diagnoseparameter können beispielsweise Körpertemperatur, motorische und spirometrische Befunde oder kardiovaskuläre Daten sein, wie sie prinzipiell heute schon Smartwatches und Fitnesstracker liefern. Für die Bluthochdrucktherapie belegen klinische Studien eine signifikant bessere Einstellung bei Einsatz derartiger apothekenverbundener Systeme (6, 7, 34).
Ein hochinteressantes Aufgabengebiet für Gesundheitsberufe eröffnet sich. Hierbei sind eine kontinuierliche Wartung und Aktualisierung der digital vernetzten Arzneiformen in Rücksprache mit dem Arzt und in persönlichem Kontakt mit dem Patienten erforderlich. Präsenzapotheken sind hierfür prädestiniert und sollten ihre Bereitschaft zur Mitwirkung deutlich artikulieren. Und zwar gegenüber pharmazeutischen Unternehmern, Krankenkassen, der Ärzteschaft und den Patienten. Die Wartung digital vernetzter Arzneiformen und die Anleitung des Patienten zu deren Gebrauch sind originäre pharmazeutische Dienstleistungen.
Wolfgang Kircher studierte Pharmazie in München und wurde im Fach Pharmazeutische Technologie in Regensburg promoviert. Er absolvierte die Weiterbildung zum Fachapotheker für Allgemeinpharmazie, Geriatrische Pharmazie und Arzneimittelinformation. Dr. Kircher betreibt die St. Ulrich-Apotheke in Peißenberg/Oberbayern zusammen mit seinem Sohn. Bis 2016 war er Mitglied der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK), bis 2019 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands. Er ist Experte für pharmazeutisch-technologische Aspekte bei der Pharmazeutischen Betreuung und hat als Autor und Koautor mehrere Bücher dazu verfasst.