Subjektive kognitive Einbußen sind erste Warnzeichen |
Brigitte M. Gensthaler |
22.04.2021 10:30 Uhr |
Vergessen, den Wasserhahn zuzudrehen? Eine Merkhilfe kann dazu beitragen, die Vergesslichkeit zu kompensieren. In manifesten Demenzstadien reichen solche Erinnerungshilfen meist nicht mehr – weil der Patient den Hinweis nicht versteht oder nicht mehr umsetzen kann. / Foto: Adobe Stock/Osterland
Demenz ist ein psychiatrisches Syndrom, das bei degenerativen und nicht-degenerativen Erkrankungen des Gehirns auftritt. Definitionsgemäß spricht man erst von Demenz, wenn kognitive Einbußen die alltagspraktischen Fähigkeiten einschränken.
»Es gibt eine präklinische und eine klinische Alzheimer-Demenz. Wir können heute auch die präklinische Erkrankung diagnostizieren«, berichtete Professor Dr. Oliver Peters von der Charité – Universitätsmedizin Berlin bei einer online-Pressekonferenz von Schwabe. Die Diagnostik präklinischer Alzheimer-Stadien sei eine Domäne der universitären Forschung und keine Kassenleistung. Sie erweitere das therapeutische Fenster und erlaube damit die sekundäre, eventuell sogar primäre Prävention. Der Psychiater ist sicher: »Die Zukunft der Behandlung von Demenz und besonders der Alzheimer-Demenz liegt in der Früherkennung durch neurobiologische Diagnostik.«
In Gedächtnissprechstunden werden unter anderem psychometrische Tests eingesetzt. Diese können unauffällig sein, auch wenn der Patient selbst bereits Defizite bemerkt. Die Diagnostik werde vertieft durch die Analyse von Biomarkern wie tau-Protein im Liquor und bildgebende Verfahren wie die Amyloid-PET-Bildgebung oder Magnetresonanztomografie.
In sehr frühen Stadien einer Alzheimer-Erkrankung bemerken viele Betroffene subjektive Beeinträchtigungen ihrer Gedächtnisleistungen (SCD: subjective cognitive decline). Diese Störungen seien nicht objektiv messbar, erklärte Professor Dr. Thomas Duning, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurologische Frührehabilitation, Klinikum Bremen-Ost. Dennoch spüre der Patient, »dass etwas nicht stimmt«. Ab der nächsten Stufe, dem »mild cognitive impairment« (MCI), sei die Hirnleistungsstörung objektiv feststellbar; der Patient ist im Alltag aber nicht beeinträchtigt.
Zur Kompensation geringer Defizite diene die intellektuelle Kompensationsreserve, die sich jeder Mensch im Lauf des Lebens aufbaut, berichtete der Neurologe. So erklärt man sich, warum Menschen kognitive Einbußen individuell unterschiedlich lange ausgleichen können. Was hat die Pandemie mit der kognitiven Reserve zu tun? Durch Isolierung, fehlende Ansprache und Sozialkontakte könnten vorhandene Reserven schneller abnehmen und die Progredienz von kognitiven Einbußen voranschreiten, sagte Duning. »Bislang ist aber keine Covid-Demenz bekannt.«
Man müsse sich auch nicht bei jeder Vergesslichkeit Sorgen machen, beruhigte der Neurologe. »Wenn jemand aber von Abrufhilfen wie Erinnerungs- und Merkhilfen nicht mehr profitiert, ist es auffällig. Das kann auf eine pathologische Vergesslichkeit hinweisen.«