Stiftung Warentest bewertet Impfungen jetzt positiv |
Daniela Hüttemann |
31.07.2020 12:12 Uhr |
Einen solchen Hautausschlag bekommen Ärzte glücklicherweise immer seltener zu Gesicht, denn mittlerweile sind rund 85 Prozent der Erstklässler gegen Windpocken geimpft. Zeitgerecht, also bis zum zweiten Geburtstag, schließen allerdings nur 66 Prozent der Eltern die Grundimmunisierung ihrer Kinder ab. / Foto: iStock/CactuSoup
Ein Virus, zwei Erkrankungen: Infiziert sich ein Kind oder Erwachsener mit dem Varizella-zoster-Virus (VZV), löst der Erreger zunächst die Windpocken aus. Dann kann sich das Virus aus der Familie der Herpesviren (HHV3) über Jahrzehnte in die Ganglien zurückziehen, um bei Stress, Krankheit oder im Alter sich als Gürtelrose (Herpes zoster) wieder bemerkbar zu machen.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehtl seit 2004 allen Kindern im zweiten Lebensjahr die Impfung gegen VZV (seit 2009 mit zwei Dosen), die in der Regel in Kombination mit der Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR) parallel beziehungsweise als Kombiimpfstoff erfolgt. 2012 bewertete die Stiftung Warentest die Windpocken-Impfung nicht für alle Kinder als sinnvoll. Ihre Experten fürchteten, dass es durch die Impfung von Kleinkindern zu einer Verschiebung der Erkrankung hin zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommen könnte. Das Robert-Koch-Institut konterte damals in einer Stellungnahme, dass dies zwar denkbar sei, aber aufgrund der Herdenimmunität nicht zu erwarten, solange die Impfquoten hoch genug sind und verwies auf Studien aus den USA und eigene Daten.
Die Stiftung Warentest spricht nun in der neuesten Ausgabe ihres Magazins »Test« von mehr und positiveren Erkenntnissen zur Windpocken-Impfung. Für die Erwachsenen berücksichtigten sie, dass mit Shingrix® ein zweiter (und besserer) Herpes-zoster-Impfstoff seit 2018 verfügbar ist. Warentests Expertenteam, darunter der Bremer Professor Dr. Gerd Glaeske, stufte nun die Windpocken-Impfung sowohl für alle Kinder als auch für Erwachsene, die die Windpocken nicht durchgemacht haben und zu einer Risikogruppe gehören, als sinnvoll ein. Die Zahl der jährlichen Windpocken-Fälle sei seit Einführung der Impfempfehlung von rund 750.000 Fällen im Jahr 2004 auf etwa 22.600 Fälle pro Jahr gesunken, die Impfquote liege bei mehr als 80 Prozent.
Genauer gesagt sind es laut neuester Analyse des Robert-Koch-Instituts, die gestern im »Epidemiologischen Bulletin« veröffentlicht wurden, 84,8 Prozent der 2018 eingeschulten Kinder, die bis zum Schuleintritt beide Dosen der Grundimmunisierung erhalten hatten. Im empfohlenen Impfalter (erhoben für den Geburtsjahrgang 2016) sind es jedoch aktuell nur 66 Prozent, die bis zum zweiten Geburtstag die Grundimmunisierung abgeschlossen haben (mit starken regionalen Schwankungen).
Zudem zeichnet sich laut Stiftung Warentest ab, dass die Windpocken-Impfung auch vor einer späteren Gürtelrose schützt. Für verlässliche Aussagen fehlen hier allerdings noch Langzeitdaten, da wie oben beschrieben zwischen der Erstinfektion, die vor Einführung der Impfung im Grunde flächendeckend im Kindesalter erfolgte, und der Reaktivierung im höheren Lebensalter mehrere Jahrzehnte liegen. Die jetztigen Senioren haben mit ziemlicher Sicherheit so gut wie alle eine Windpocken-Infektion durchgemacht. Bei ihnen soll die Herpes-zoster-Impfung den Schutz vor den in ihnen schlummernden Viren reaktivieren.
Daher halten die medizinischen Berater der Stiftung Warentest eine Impfung von Personen ab 60 Jahren mit Shingrix für sinnvoll. Hier weicht Warentest von der STIKO ab, die den adjuvantierten Subunit-Totimpfstoff seit August 2019 zwar generell auch erst ab 60 empfiehlt, Personen mit Vorerkrankungen wie Immunschwäche aber bereits ab 50 Jahren. Ein Grund: Es sei noch nicht ganz klar, wie lang der Impfschutz anhalte. Die Impfung mit dem Lebend-Impfstoff Zostavax® gegen Gürtelrose hält Warentest dagegen für »wenig sinnvoll«, da diese Vakzine »sehr wahrscheinlich weniger wirksam als der Totimpfstoff« sei.
Zugelassen ist Shingrix im Übrigen derzeit für alle Personen ab 50 Jahren ohne weitere Bedingungen. Ganz neu ist, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA vergangene Woche auch eine Zulassungsempfehlung für alle Personen ab 18 Jahren ausgesprochen hat, die ein erhöhtes Risiko für Herpes zoster haben.
Praktisches Problem derzeit ist die Verfügbarkeit dieser Vakzine, die auch Stiftung Warentest anspricht. Shingrix ist derzeit laut Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts in der 1er- und der 10er-Abpackung nur eingeschränkt verfügbar. Zudem weist die Stiftung auf kürzlich publizierte Fallberichte hin, laut denen es in einzelnen Fällen in zeitlichem Zusammenhang mit der Shingrix-Impfung zu zoster-artigen Läsionen kam. Diese mögliche Nebenwirkung soll nun in einer Studie abgeklärt werden.
Stiftung Warentest sieht vor allem die Kombination beider Impfungen bei den entsprechenden Bevölkerungsteilen als sinnvoll an. So war damals ein Kritikpunkt an der Windpocken-Impfung, dass durch weniger erkrankte Kinder Erwachsene mit durchgemachter Windpocken-Infektion weniger Kontakt zum Erreger haben und dadurch ein Booster-Effekt wegfalle, der die Erwachsenen vor einer Reaktivierung und in der Folge vor einer Gürtelrose schützt.
Warentest bezieht sich nun auf zwei Studien aus 2019 und 2020, nach denen der Booster-Effekt eine kleinere Rolle spiele als bislang angenommen. Außerdem gebe es mit Shingrix nun eine neuen Impfstoff. Daher nun eine klare Empfehlung von Warentest, wenn auch nicht vollumfänglich deckungsgleich mit der der STIKO.