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Hochbetagte

Statintherapie als Einzelfallentscheidung

Statine sind zweifellos nützlich zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen. Doch diese entwickeln sich über Jahre. Wenn jemand schon sehr alt ist, kann der Nutzen einer Statintherapie daher geringer sein – oder ganz fehlen.
Annette Rößler
29.12.2022  11:00 Uhr

Die Senkung des LDL-Cholesterolspiegels mithilfe eines Statins kann das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis senken. Wie groß dieser potenzielle Nutzen ist und ob er die potenziellen Nachteile (Notwendigkeit der Tabletteneinnahme, mögliche Neben- und Wechselwirkungen, Kosten) überwiegt, hängt davon ab, wie hoch das persönliche Herz-Kreislauf-Risiko des Betreffenden ist. Dieses soll laut europäischer Leitlinie mit dem SCORE2-Rechner beziehungsweise bei Menschen über 70 Jahren mit dem SCORE2-OP-Rechner ermittelt werden.

Ein wichtiger Faktor ist dabei das Alter des Patienten, denn bei Hochbetagten ist weniger gut belegt als bei Jüngeren, wie sich erstens ein erhöhter Cholesterolspiegel auf das Herz-Kreislauf-Risiko auswirkt, ob Statine zweitens dieses Risiko senken können und wie gut drittens die Verträglichkeit der Wirkstoffe in dieser Altersgruppe ist. Vor diesem Hintergrund hat ein Autorenteam um Apothekerin Dr. Élodie Marcellaud von der Université de Limoges in Frankreich die Evidenz für Statine als Primärprävention bei Menschen ab 80 Jahren in einer systematischen Übersichtsarbeit zusammengetragen und ausgewertet.

Wie die Gruppe im »American Journal of Cardiology« schreibt, fand sie insgesamt 29 passende, qualitativ hochwertige Studien. In 16 Studien mit insgesamt 121.250 Teilnehmern der Altersgruppe Ü-80 waren die Werte für das Gesamt- und LDL-Cholesterol nicht mit einer erhöhten Rate an schweren kardiovaskulären Ereignissen assoziiert. Sechs Studien mit insgesamt 14.493 Teilnehmern fanden einen solchen Zusammenhang, aber drei Studien mit insgesamt 96.516 Teilnehmern sogar das Gegenteil, also einen Risikoanstieg bei niedrigem Cholesterol.

Zur Effektivität von Statinen bei Hochbetagten wurden acht Studien mit insgesamt 436.005 Teilnehmern identifiziert, von denen die meisten keine signifikante Risikoreduktion belegen konnten. Gegen einen breiten Einsatz von Statinen in dieser Altersgruppe spricht auch das Teilergebnis zur Verträglichkeit: In neun Studien mit insgesamt 217.088 Teilnehmern waren die häufigsten Nebenwirkungen muskuläre, hepatische und gastrointestinale Beschwerden. Diese traten häufiger auf als bei jüngeren Menschen.

Die Evidenz für den Einsatz von Statinen zur kardiovaskulären Primärprävention sei bei Über-80-Jährigen nicht überzeugend und der Nutzen fraglich, fassen die Autoren zusammen. Die Verordnung der Wirkstoffe für Hochbetagte solle in dieser Indikation eine Einzelfallentscheidung sein, bei der der Arzt den Allgemeinzustand, die Komorbiditäten, das persönliche Risiko und die noch verbleibende Lebenserwartung des Betreffenden berücksichtigen solle. Spezifische Studien in dieser Altersgruppe seien dringend erforderlich.

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