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Missbrauch und Abhängigkeit

»Spiegel« kritisiert fehlende BtM-Pflicht für Tramadol

Tramadol befindet sich seit 1977 auf dem Markt und entwickelt sich nach »Spiegel«-Recherchen zunehmend zum Problem. Jetzt erhebt das Magazin schwere Vorwürfe gegen das BfArM und Original-Hersteller Grünenthal, weil das Opioid nicht unter die Betäubungsmittelpflicht fällt.
Daniela Hüttemann
20.03.2025  13:46 Uhr

Tramadol wurde von der Firma Grünenthal entwickelt und kam 1977 als Tramal® auf den Markt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft das synthetische Opioid nach wie vor als niederpotentes Opioid-Analgetikum der Stufe zwei ein. Im Gegensatz zu anderen Ländern fällt Tramadol in Deutschland nicht unter die Betäubungsmittelpflicht. Jetzt wirft das Magazin »Spiegel« den deutschen Behörden ein Kontrollversagen und Grünenthal eine Verharmlosung der Substanz vor.

Neben drei persönlichen Patientenschicksalen schildert der »Spiegel« seine Recherche beim Bundesinstitut für Arzneimittel für Medizinprodukte (BfArM) und der dort angesiedelten Bundesopiumstelle sowie dem Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel.

Tramadol gelte als »schwächeres Opioid«, das seltener abhängig mache, als andere Opioide. »Jeder Hausarzt kann es verschreiben, es fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Was ein fataler Fehler ist«, schreibt der »Spiegel«. Das Abhängigkeitspotenzial werde unterschätzt. Experten würden beobachten, dass vor allem Jugendliche die weniger potenten Opioide als Einstiegsdroge nutzen, »weil sie mit echten oder gefälschten Rezepten in jeder Apotheke zu haben sind«. 

Warnhinweise wurden 2024 verschärft

Die Suchtgefahr gilt als erwiesen. Erst im Februar 2024 hatte der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) nach einem periodischen Sicherheits-Assessment eine Verschärfung der Warnhinweise für Abhängigkeit und Missbrauch empfohlen, die zum Sommer umgesetzt wurden.

In der Fachinformation heißt es seitdem in Abschnitt 4.4: »Bei wiederholter Anwendung von Opioiden wie [Produktname] können sich eine Toleranz, eine physische und psychische Abhängigkeit und eine Opioidgebrauchsstörung entwickeln.« Vor allem eine höhere und längere Anwendungsdauer erhöhen das Risiko ebenso Substanzgebrauchsstörung in der persönlichen oder familiären Vorgeschichte, andere psychische Erkrankungen und Rauchen.

In Abschnitt 4.2 heißt es darüber hinaus: »Vor Beginn der Behandlung mit [Produktname] sollte eine Behandlungsstrategie, einschließlich Behandlungsdauer und Behandlungsziel sowie ein Plan für das Behandlungsende gemeinsam mit dem Patienten und in Übereinstimmung mit den Leitlinien zur Schmerztherapie vereinbart werden. Während der Behandlung sollte ein häufiger Kontakt zwischen Arzt und Patient stattfinden, um die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Behandlung zu beurteilen, die Beendigung der Behandlung in Erwägung zu ziehen und die Dosis bei Bedarf anzupassen.«

Einfluss der Schmerzmittelhersteller

Der »Spiegel« wirft dem BfArM vor, dass dies nicht ausreiche und Tramadol der Betäubungsmittelpflicht unterstellt werden müsste. Das Magazin zitiert sogar den ehemaligen Grünenthal-Manager Jan-Uwe Claas: »Wenn Sie Tramadol heute auf den Markt bringen würden, würde es sehr wahrscheinlich unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.« 

Der »Spiegel« bezieht sich nun vor allem auf die Arbeit des Sachverständigenausschusses für Betäubungsmittel 2010 und 2011. Der heutige Leiter der Bundesopiumstelle, Schmerzmediziner Peter Cremer-Schaeffer, habe Tramadol 2010 mit dem Ziel einer stärkeren Regulierung von Tilidin und Tramadol auf die Tagesordnung gesetzt. Grünenthal habe daraufhin in einem fünfseitigen Schreiben ausgeführt, warum eine strengere Regulierung eine »weltweit fatale Signalwirkung« habe und man »dringend« empfehle, »restriktive Maßnahmen nicht zu ergreifen«, zitiert der »Spiegel«, und auch noch eine 49-seitige, vertrauliche Bewertung zum Missbrauchspotenzial beigefügt.

Anschließend sei eine achtköpfige Arbeitsgruppe gebildet worden, über deren Ergebnisse die zwölf Mitglieder des Sachverständigenausschusses im Dezember 2011 abstimmte – und zwar einstimmig gegen eine stärkere Regulierung. Damals hieß es noch, eine »körperliche Abhängigkeit tritt nur selten auf«. 

Der »Spiegel« wirft Grünenthal nun übermäßige Einflussnahme vor und dem BfArM, sich nicht dagegen durchgesetzt zu haben oder gar im Interesse der Pharmaindustrie zu agieren. Drei der zwölf Ausschussmitglieder seien mit Grünenthal verbandelt gewesen. Das BfArM suggeriere, die Versorgung von Schmerzpatienten würde sich dramatisch verschlechtern, sollte Tramadol als Betäubungsmittel eingestuft werden. Fraglich ist, wieso die BtM-Pflicht ein Problem darstellen sollte.

Was das Apothekenpersonal aus dieser Recherche unabhängig vom rechtlichen Status der Substanzen ziehen kann: Tramadol und Tilidin werden offenbar zunehmend in der Drogen- und Partyszene missbraucht. Entsprechende Verordnungen sollten sorgfältig auf Fälschungen und Missbrauch geprüft werden. Besteht ein solcher Verdacht, ist die Abgabe zu verweigern.

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