SPD-Experte fordert Gesetz gegen Formfehler-Retaxationen |
Ev Tebroke |
04.04.2022 09:00 Uhr |
SPD-Apothekenexperte Dirk Heidenblut hält Nullretaxationen insbesondere auch im Bereich der Zytostatika-Herstellung für ein »großes Ärgernis«. / Foto: Imago Images/Christian Spicker
»Wir wollen die Vor-Ort-Apotheken stärken«, betonte Dirk Heidenblut, Berichterstatter für Apothekenthemen der SPD-Bundestagsfraktion, am vergangenen Freitag in Berlin. Bei der Jahrestagung des Verbands der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) verwies er dafür erneut auf den Koalitionsvertrag. Dieser setze ein »sehr deutliches Signal für die Vor-Ort-Apotheken«, so der SPD-Politiker, der per Video aus seinem Wahlkreis in Essen zugeschaltet war. Um die Offizinen in der Fläche zukunftssicher zu machen, sollen sie mehr Dienstleistungen anbieten können und entsprechend vergütet bekommen, etwa im Rahmen der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und der Prävention. Auch angesichts des bestehenden Fachkräftemangels sieht Heidenblut Handlungsbedarf seitens des Bundes. Und grundsätzlich bei der Vergütung: »Wir müssen auch die Honorierung insgesamt stärken«, sagte er.
Dass die Koalition die Vor-Ort-Apotheken zukunftsfest finanziell absichern möchte, hatte Heidenblut kürzlich auch im Gespräch mit ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening betont. Auch im Interview mit der PZ hatte der SPD-Apothekenexperte gefordert, den Apotheken mehr Versorgungsverantwortung zu geben. Parallel war zu dem Zeitpunkt ein Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) aufgetaucht, der mit massiven Honorarkürzungen im Apothekenmarkt aufwartete. Wie sich herausstellte, war der Entwurf dieses sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes aber noch gar nicht spruchreif, da nicht mit den Ressorts angestimmt. Dennoch ist die Apothekerschaft seither alarmiert und fürchtet Einschnitte und eine Schwächung des stationären Apothekenwesens.
Heidenblut betonte gegenüber den Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apothekern den positiven Gestaltungswillen der Koalition für die Vor-Ort-Apotheken. Ganz konkret liegt ihm persönlich dabei auch das Thema Nullretax am Herzen. Diese Praxis der Kassen, Apotheken für belieferte Rezepte wegen kleinster Formfehler komplett die Erstattung zu verweigern, sei nicht gerechtfertigt. Besonders für die Zytostatika herstellenden Apotheken sieht Heidenblut dies als ein »großes Ärgernis«. Denn die patientenindividuell angefertigten Chemotherapeutika sind in der Herstellung kostenintensiv, Null-Retaxationen für die betroffenen Offizinen daher wirtschaftlich sehr belastend. Es könne nicht sein, dass nur, weil auf dem Rezept ein Häkchen falsch gesetzt oder etwa ein Cent-Betrag für eine Spritze fälschlicherweise mit abgerechnet wird, die gesamte Verordnung nicht erstattet werde, kritisiert Heidenblut. »Das Thema müssen wir konkret angehen. Der Gesetzgeber muss da einen Riegel vorschieben.« Es dürfe aufgrund von Null-Retaxationen kein finanzieller Druck auf die Apotheken entstehen, so der Politiker.
Einsetzen möchte Heidenblut sich nach eigenen Angaben auch für mehr Flexibilität in der Offizin bei der Abgabe von Rabattarzneimitteln. Im Zuge der Corona-Pandemie gelten derzeit diesbezüglich Erleichterungen, damit Apotheken bei nicht Lieferfähigkeit eines Rabattarzneimittels auf passgenaue Alternativen ausweichen können und dem Patienten somit ein erneuter Gang in die Apotheke erspart bleibt. Der Wunsch von VZA-Präsident Klaus Peterseim, viele dieser Pandemie-Sonderregeln auch in die Regelversorgung hinüberretten zu können, stieß bei Heidenblut auf offene Ohren. Die Auswertung der Arzneimittelkosten hat demnach gezeigt, dass den Kassen dadurch keinerlei Mehrkosten entstanden sind. »Diese Flexibilität bei der Arzneimittelabgabe wird seitens der Apotheken sehr verantwortungsvoll gehandhabt«, so Heidenblut. Und für den Patienten bedeute sie »einen echten Mehrwert«. Auch im Bereich der Substitution plädiert er für ein dauerhaftes Aufrechterhalten dieser Flexibilität.
Zum Thema konkrete Vergütung der Zytostatika-Herstellung, das Peterseim anfangs ebenfalls in den Fokus der Tagung gestellt hatte, äußerte sich Heidenblut allerdings nicht. Schon seit Jahren fordert der VZA eine deutliche Anhebung der Arbeitspreise bei der Herstellung von onkologischen Rezepturen auf einheitlich 130 Euro pro applikationsfertiger Einheit. Derzeit können die Apotheker für die Herstellung zytostatikahaltiger parenteraler Lösungen 81 Euro beziehungsweise für Lösungen mit monoklonalen Antikörpern 71 Euro pro Einheit berechnen.
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) will die Forderung nach einer Anpassung der Arbeitspreise nun erneut mit in die Verhandlungen mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nehmen, wie DAV-Vize Hans-Peter Hubmann in Berlin ankündigte. Dies erfolgt nicht zuletzt vor dem Hintergrund »drastischer Preisabschläge«, die der GKV-Spitzenverband Hubmann zufolge in der letzten Verhandlungsrunde am 16. März 2022 auf ausgewählte monoklonale Antikörper gefordert hat. Doch der stellvertretende DAV-Vorsitzende betonte zugleich die Schwierigkeit dieser Verhandlungen.
Die Arbeitspreise sind in der sogenannten Hilfstaxe geregelt. Dieser Vertrag über die Preisbildung von Stoffen und Zubereitungen aus Stoffen ist seit Jahren immer wieder Streitpunkt zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem DAV, der auch die Interessen des VZA in den Verhandlungen vertritt. Über die Preisbildung für parenterale Lösungen, die in der Anlage 3 geregelt ist, entschied zuletzt die Schiedsstelle. Der Schiedsspruch vom 19. Januar 2018 enthielt für die Apotheker jedoch unhaltbare Regelungen, sodass der DAV dagegen klagte und Teile der Anlage 3 kündigte. Vor allem die rückwirkende Festsetzung der Preisregelungen stand in der Kritik. Auch sah der DAV die festgelegten Preisabschläge als viel zu hoch an. Letztlich einigten sich die Vertragspartner in einem Vergleich darauf, auf die Rückwirkung zu verzichten.
Nun sollen die Arbeitspreise also erneut aufs Tapet gebracht werden. Dabei will der DAV die aus seiner Sicht erforderliche Preisanpassung auch mit der Tariferhöhung für Apothekenangestellte sowie den gestiegenen Energie- und Materialkosten begründen. Bei Nicht-Einigung müsse dann eben erneut die Schiedsstelle entscheiden, so Hubmann.
Für erfolgreiche Vertragsverhandlungen sei auf Dauer vor allem eine gute Datengrundlage und Transparenz erforderlich, betonte der DAV-Vize. Die GKV-Seite habe stets den größeren Datensatz. Gleichzeitig hat der DAV kein Auskunftsrecht, darf diese Daten also nicht einsehen. Der Verband setzt bei den Verhandlungen daher auf ein Gutachten, dass der VZA bei der REFA in Auftrag gegeben hat und das für den Bereich der ambulanten Zytostatika-Herstellung in den Offizinen verlässliche Zahlen für die Verhandlungen bereitstellen soll.