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Masern-Impfung

Spahn setzt auf Zwang

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Masern mithilfe einer Impfpflicht ausrotten. Hunderttausenden Kindern und Erwachsenen fehlt die Impfung angeblich. Das Vorhaben ist umstritten.
PZ
dpa
06.05.2019  10:34 Uhr

Spahn will verpflichtende Masern-Impfungen für Kita- und Schulkinder mit Geldstrafen bis 2500 Euro und einem Ausschluss vom Kita-Besuch durchsetzen. Die Impfpflicht soll ab 1. März 2020 gelten, wie aus dem Gesetzentwurf hervorgeht, über den zuerst die »Bild am Sonntag« berichtet hatte. Der Koalitionspartner SPD unterstützt die Pläne – anders als die oppositionellen Grünen.

Um die Zirkulation von Masern zu verhindern, seien Impfraten von mehr als 95 Prozent erforderlich, heißt es im Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. »Diese werden in Deutschland nicht erreicht.« Die angestiegenen Fallzahlen seien auf »fortschreitende Impfmüdigkeit« zurückzuführen. Unter anderem in Bayern, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen sei es in den vergangenen Jahren zu großen Ausbrüchen gekommen. Allein bis Anfang März 2019 habe das Robert Koch-Institut 170 Masernfälle registriert.

Rund 600.000 Nachimpfungen nötig

Mit der geplanten Pflicht zur Masern-Impfung für Kinder und bestimmte Berufsgruppen müssten sich nach einem Medienbericht rund 600.000 Menschen nachträglich impfen lassen. Das hätten Schätzungen des Gesundheitsministeriums ergeben, berichtete die »Bild«-Zeitung am Montag. Demnach befinden sich in Kitas und Schulen derzeit rund 361.000 nicht geimpfte Kinder. In solchen Gemeinschaftseinrichtungen sowie in Krankenhäusern und Arztpraxen seien zudem schätzungsweise 220.000 Angestellte zur Impfung gezwungen.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer unterstützt den Plan des Ministers. Kramp-Karrenbauer sagte am Sonntag am Rande einer Europa-Veranstaltung in Berlin, die Frage, ob man seine Kinder impfen lasse, sei eine sehr persönliche Frage. Aber die Masern seien so gefährlich, dass eine Nicht-Impfung nicht nur eine Gefährdung der eigenen Kinder sei, sondern auch eine Gefährdung aller anderen Kinder. »In dieser Abwägung halte ich eine Impfpflicht für richtig.« Zum Vorhaben Spahns, Kinder, die nicht geimpft werden, vom Kita-Besuch auszuschließen, sagte sie, dies sei der richtige Ansatz. Zurückhaltender äußerte sich die CDU-Chefin zu Plänen Spahns, Bußgelder in Höhe von bis zu 2500 Euro verhängen, wenn Kinder nicht geimpft werden. »Ob die Geldstrafe zu niedrig, zu hoch angesetzt ist, ob sie Wirkung entfalten kann, darüber werden wir sicherlich auch im parlamentarischen Verfahren dann nochmal reden.«

Grüne lehnen Zwang ab

Die Grünen dagegen lehnen eine Masern-Impfpflicht ab. »Spahn sollte auf Überzeugung und niedrigschwellige Angebote setzen, statt auf Zwang«, sagte die zuständige Grünen-Bundestagsabgeordnete Kordula

Schulz-Asche dem Berliner »Tagesspiegel« (Montag). Zwang könne sich negativ auf das Impfverhalten auswirken. »Damit wäre dann niemandem geholfen.« SPD-Fraktionsvize Professor Karl Lauterbach nannte das unverantwortlich. »Da wird mehr Rücksicht auf die zahlreichen Impfverweigerer in der eigenen Wählerschaft genommen als auf die Gesundheit der Allgemeinheit«, sagte er der Zeitung.

Spahn verteidigte sein Vorhaben. Es sei eine Frage des allgemeinen Gesundheitsschutzes, sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in den ARD-»Tagesthemen«. Trotz intensiverer Aufklärung seien die nötigen Impfquoten bisher nicht erreicht worden. Er wies auch den Vorwurf zurück, dass sein Gesetzentwurf Erwachsene ignoriere, die nicht ausreichend geimpfte seien. Spahn setzt nach eigenen Worten darauf, dass die Debatte das Bewusstsein schärfe. »Gleichzeitig regeln wir, dass Erzieherinnen, Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Personal in Krankenhäusern, in öffentlichen Gemeinschaftseinrichtungen, geimpft werden müssen.«

Eine stärkere Verpflichtung verhindere auch, dass Eltern die Impfung vergessen. »Das Ziel ist ja nicht, Bußgelder zu verhängen. Das Ziel ist, dass möglichst alle geimpft sind«, sagte der Gesundheitsminister. Er glaube, dass die allermeisten die Impfungen machen werden und gar nicht so viele Bußgelder verhängt werden. Spahn verwies auch auf die Impfpflicht gegen Pocken, die sich als Erfolg erwiesen habe. »Heute muss niemand mehr an den Pocken erkranken und das wollen wir für die Masern auch«, sagte er.

Ärzte-Chef plädiert für Ausnahmeregelungen

Ärztepräsident Professor Frank Ulrich Montgomery befürwortet Spahns Pläne. Er hält Strafen für Verstöße generell für gerechtfertigt, kann sich aber Ausnahmen vorstellen. Der Chef der Bundesärztekammer gab im Gespräch mit der dpa zu bedenken: »Eine Impfpflicht lässt sich leicht verlangen, aber ist schwer umzusetzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Kinder mit der Polizei zum Impfen schleppt.« Deshalb müsse man versuchen, mit Vernunft auf die Menschen einzuwirken – das bedeute vor allem mit Aufklärung. Er fügte hinzu: »Sie werden darüber hinaus aber auch an einigen Strafen nicht vorbeikommen.« Montgomery sagte weiter: »Man wird auch Kommissionen gründen müssen, die denjenigen Eltern und Kindern, die schwerwiegende Gründe gegen die Impfung haben – denn die gibt es auch – , ermöglichen, von einer Impfung abzusehen. Mir schwebt da so was vor wie früher bei der Wehrpflicht. Die galt auch für alle, aber es gab Kommissionen, die die Verweigerer anerkannten. So etwas brauchen wir auch für Impfungen.«

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