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Chronifizierung vorbeugen

So wird ein Schleudertrauma nicht zum Dauerthema

Ein Schleudertrauma kann man sich bereits bei leichten Auffahrunfällen zuziehen. Zwar sind die Beschwerden in den meisten Fällen moderat und vorübergehend. Es besteht jedoch die Gefahr der Chronifizierung. Mit der richtigen und rechtzeitigen Behandlung kann man den Betroffenen viel Schmerz ersparen.
Christiane Berg
30.11.2020  09:00 Uhr

Meist bei Autounfällen und hier insbesondere bei einem Heckaufprall kommt es immer wieder zu Beschleunigungs-, sprich: Schleudertraumata der Halswirbelsäule (HWS-BT), die sich unter anderem in Bewegungseinschränkungen, Paresen, Schwindel, Hörstörungen und Tinnitus sowie Kopf-, Nacken- und Kieferschmerzen äußern. »Zwölf von 100 Betroffenen sind auch sechs Monate nach dem Auffahrunfall nicht symptomfrei«, so Professor Dr. Martin Tegenthoff von den BG-Kliniken Bergmannsheil in Bochum in einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)anlässlich der Veröffentlichung der neu überarbeitete S1-Leitlinie »Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule«.

Was genau die Schmerzen und Begleitsymptome auslöst, sei nicht abschließend geklärt. »In der Bildgebung wie Computer- oder Kernspintomografie sind in der Regel keine Verletzungen sichtbar, weshalb eine durch die mechanische Gewebeschädigung verursachte entzündlich-reparative Gewebereaktion angenommen wird«, erklärt der Neurologe, der federführender Autor dieser Leitlinie ist. Des Weiteren werde vermutet, dass nicht nur das traumatische Erleben des Unfalls einschließlich akuter Belastungsreaktionen, sondern auch bereits vorher bestehende psychische Komorbiditäten wie Angst und Depressionen das Risiko anhaltender Beschwerden erhöhen.

Der Tatbestand, dass es bei einem Teil der Patienten nach einem HWS-BT ohne Nachweis klinisch relevanter Verletzungen zur Chronifizierung der Beschwerden kommt, sei nur durch bio-psychosoziale Gesamtzusammenhänge zu erklären, bei denen sowohl die initiale Schmerzstärke als auch dysfunktionale Schmerzbewältigungsstrategien durch seelische Konflikte und sozialen Stress in der Vorgeschichte eine Rolle spielen.

Medikamente rechtzeitig und befristet einsetzen

Tegenthoff betont, dass diese Zusammenhänge im Rahmen der ärztlichen Anamnese berücksichtigt werden müssen. »Mit Blick auf den Therapieerfolg spielen nicht nur das Verhalten, die Erwartungen und die Einstellungen des Patienten, sondern auch die des Therapeuten eine wesentliche Rolle«, betont der Neurologe.

Bei dem Versuch, der Chronifizierung von HWS-BT-Beschwerden entgegenzuwirken, haben sich leitliniengemäß multimodale Behandlungsansätze bestehend aus verhaltens-, psycho- und physiotherapeutischen sowie spezifischen medikamentösen Therapieoptionen bewährt. So könne frühzeitig, das heißt »ohne Umwege über alternativmedizinische Konzepte«, die ausreichende, aber befristete Analgesie zum Beispiel mit Paracetamol, Acetylsalicylsäure, Diclofenac oder Naproxen angezeigt sein. Auch die schmerzmodulierende Medikation mit Antidepressiva und hier trizyklischen Antidepressiva (TZA) oder Serotonin-Reuptake-Hemmern (SSRI) könne sich als unumgänglich erweisen.

Darüber hinaus habe sich die zusätzliche, gleichermaßen befristete Gabe von Muskelrelaxanzien wie Tolperison bewährt. Als sinnvoll könne sich auch die intramuskuläre Applikation von Lidocain im Bereich der Nackenmuskulatur oder die intravenöse Gabe von Methylprednisolon erweisen. Die Dosierungen seien individuell anzupassen.

Die empfohlenen Therapiemaßnahmen sollten, so heißt es in der Leitlinie, zeitgerecht und konsequent ergriffen werden. Ebenfalls entscheidend für den positiven Krankheitsverlauf sei die detaillierte Aufklärung über das Krankheitsgeschehen und den Befund. Zudem nähme der Hinweis auf die fast immer günstige Prognose großen Einfluss auf die Erholung und Regeneration.

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