So viele Chancen und Risiken wie noch nie |
Daniela Hüttemann |
04.12.2019 13:36 Uhr |
AKWL-Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening appelliert an die Apotheker, die sich bietenden Chancen zu ergreifen. / Foto: AKWL
»Wir ringen weiterhin um die Gleichpreisigkeit von Arzneimitteln für deutsche Vor-Ort-Apotheken wie für ausländische Versender und stehen zugleich kurz vor der Etablierung neuer honorierter pharmazeutischer Dienstleistungen«, fasste Overwiening heute bei der Delegiertenversammlung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) in Münster die aktuelle berufspolitische Lage zusammen. Ebenso seien Lieferengpässe und die genaue Ausgestaltung des E-Rezepts wichtige Baustellen. Bei Letzterem fehle im aktuellen Gesetzentwurf noch ein umfassendes Makelverbot, dass nicht nur für die ausstellenden Ärzte, sondern auch alle denkbaren Dritten gilt.
»So viele Chancen und Risiken zugleich gab es vermutlich nie zuvor für die wohnortnahe Apotheke«, so Overwiening. »Bleiben wir daher wachsam und engagiert, und lassen Sie uns die Chancen für die Fortentwicklung unseres freien Heilberufs ergreifen.« Jeder Einzelne habe die Chance, sich einzubringen. Jeder Apotheker sollte Kontakte zu lokalen Politikern aufnehmen, sie in die eigene Apotheke einladen und auf die Leistungen und Schwierigkeiten im Apothekenalltag verweisen. »Vielleicht führen Sie das entscheidene Gespräch«, so die Kammerpräsidentin.
Sie selbst hatte im vergangenen Sommer den nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zu Gast. Sein Ministerium war Antreiber des Bundesratsvorstoßes, im aktellen Gesetzesprozess doch noch ein Rx-Versandverbot durchzusetzen.
Overwiening steht aber auch in regelmäßigem Austausch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Dieser warte derzeit darauf, bei der EU-Kommission mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) vorstellig zu werden. Es enthält für die Apotheken drei zentrale Bausteine: Ein Boni-Verbot für rezeptpflichtige Arzneimittel durch Verankerung im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V), die Einführung definierter honorierter pharmazeutischer Dienstleistungen und ein Makelverbot für E-Rezepte. Die drei Punkte wolle Spahn mit der EU-Kommission im Paket verhandeln, um besser argumentieren zu können. Unklar sei derzeit, ob ein Treffen noch im Dezember oder erst im Januar stattfinden wird. Erst danach könne das parlamentarische Verfahren in Deutschland starten. »Ich möchte noch einmal betonen, dass das EuGH-Urteil zu Boni auf Rezept ein absoluter Irrtum ist«, so Overwienig.
Mit dem jetzigen Gesetzentwurf, vorausgesetzt das Makelverbot wird ausgeweitet, könnten sich die Apotheken vor Ort gegen den Versandhandel immunisieren, ist die Kammerpräsidentin zuversichtlich. Dazu gehöre auch eine »staatliche Rezept-App«, die den diskriminierungs- und werbungsfreien Transport des E-Rezepts vom Patienten in die Apotheke seiner Wahl, ohne jegliche Einflussnahme ermöglicht. Letztlich wird im kommenden Jahr die Gematik darüber entscheiden, welche Anwendung(en) hier den Zuschlag bekommen. Die DAV-WebApp liegt dabei gut im Rennen – die Chancen verbessern sich, je mehr Apotheker sich jetzt schon dafür registrieren, um sie als einheitliche Lösung des Berufsstands anzubieten.
»Wir treiben digitale Projekte wie das E-Rezept und den elektronischen Heilberufsausweis voran und erleben zugleich bedingt durch die Lieferengpässe eine Mängelverwaltung sondergleichen sowie den stärksten Apothekenrückgang seit fast einem halben Jahrhundert«, betonte Overwiening. Allein in Westfalen-Lippe schlossen im vergangenen Jahr 51 Apotheken, dieses Jahr folgen bis zum 31. Dezember weitere 49 Schließungen. Damit fällt die Apothekenzahl im Kammergebiet auf 1.870 – der niedrigste Stand seit 1979. »Für die 100 Apotheken allein in Westfalen-Lippe, die in den letzten zwei Jahren aufgeben mussten, kommt das Apothekenstärkungsgesetz bereits zu spät«, konstatierte Overwiening. Sie forderte die Politik endlich zum Handeln auf. »Uns allen stellt sich die Frage, wann die Große Koalition endlich zu Arbeitsergebnissen kommt. Politik muss jetzt umsetzen, nicht weiter aussitzen.«
Die Apotheken sollten sich derweil auf ihre Stärken besinnen: »Wir sind besonders nah am Patienten, und wir gehören bereits zu den Gesundheitsberufen mit der besten IT-Ausstattung«, so Overwiening. »Daher sind wir für die anstehenden Veränderungsprozesse bestens gerüstet – sofern diese in einem gesundheitspolitisch verlässlichen Rahmen erfolgen können.«
Auch in puncto E-Rezept wollen und können die Vor-Ort-Apotheken eine Vorreiterrolle übernehmen. Die Delegierten waren sich einig, dass man Versandhändlern wie Doc Morris mit seiner großen Werbekampagne zum E-Rezept in der Öffentlichkeit nicht das Feld überlassen dürfe. Overwiening sprach von einer »peinlichen Luftnummer«. »Was ist denn daran digital und was ist daran pharmazeutisch, wenn ich ein Arzneimittel in den Niederlanden in ein Päckchen stecke und es dann zwei oder drei Tage später der Paketbote mir oder dem Nachbarn vor die Haustür legt?« Zu dem in den Medien groß angekündigten Modellvorhaben zum E-Rezept zwischen Doc Morris und der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft in Köln kommentiert sie: »Wir sind gespannt, ob dieses Projekt die Einführung des E-Rezepts weiter voranbringt oder sich nicht eher als PR-Aktion entpuppt. Dass nach aktuellen Angaben der Hausärzte in Westfalen-Lippe mit insgesamt fünf Arztpraxen und zwei Patienten je Praxis getestet werden soll, lässt eher den letzeren Schluss zu.«
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.