So geht zeitgemäße Cortison-Rezeptur |
Daniela Hüttemann |
11.11.2022 16:30 Uhr |
Tabellen für die Rezeptur helfen unter anderem zu überprüfen, ob ein bestimmtes Corticoid auch für die Pädiatrie geeignet ist. / Foto: ABDA
Glucocorticoide finden sich immer unter den Top 10 der am häufigsten verarbeiteten Rezeptursubstanzen – »ohne sie kommen wir in der Dermatologie nicht aus – für viele Patienten sind sie (richtig eingesetzt) ein wahrer Segen«, so Martina Dreeke-Ehrlich vergangenen Samstag beim Tag der Rezeptur der Apothekerkammer Niedersachsen. Und obwohl einige Corticoid-haltige Fertigarzneimittel als Salben und Cremes auf dem Markt sind, gibt es immer noch viele therapeutische Lücken, die die Apotheken täglich mit ihren Rezepturen füllen. Was gibt es dabei für die verschreibenden Ärzte und herstellenden Apotheken zu beachten?
»Eine erfolgreiche Therapie mit topischen Glucocorticoiden wird erreicht, wenn 1. die Indikation stimmt, 2. die Wirkstärke passt und 3. der Applikationsort korrekt ist. Außerdem muss die Therapie patientenindividuell in der richtigen Dauer erfolgen – dann werden unerwünschte Effekte weitestgehend vermieden«, fasste die Referentin die moderne Corticoid-Therapie in der Dermatologie zusammen.
Immer noch zu häufig anzutreffen seien allerdings nicht mehr zeitgemäße Rezepturen, zum Beispiel mit zu hoch potenten Corticoiden wie Clobetasolpropionat oder gar »eine Creme gegen alles« mit einem Antibiotikum wie Gentamicinsulfat, einem starken Glucocorticoid und einem antifungalen Mittel wie Clotrimazol. »Natürlich wirkt das fast immer, doch man haut eben mit dem Hammer drauf – das ist nicht zeitgemäß und in der Regel auch nicht nötig«, kritisierte Dreeke-Ehrlich. Hier sollten sich Apotheker und PTA als Fachleute für die Rezeptur durchaus um Aufklärung in der Ärzteschaft bemühen und Alternativen vorschlagen.
Während die Dermatologen in der Regel gut geübt im Rezeptieren sind, seien es vor allem andere Fachrichtungen und auch Allgemeinmediziner, die hier pharmazeutische Unterstützung brauchen könnten. Hilfreich sei es, die Ärzte auf den für sie kostenlosen Zugang zum DAC/NRF mit den entsprechenden Rezepturvorschriften aufmerksam zu machen.
Zurück zu den oben genannten Grundsätzen: Für die Indikation ist natürlich der Arzt zuständig. Häufig eingesetzt werden topische Glucocorticoide bei atopischen Ekzemen (»Neurodermitis«), Psoriasis (Schuppenflechte), Prurigo (Hauterkrankungen mit starkem Juckreiz), ferner auch bei Dermatosen und Kollagenosen, denn Glucocorticoide wirken antientzündlich und reduzieren den Juckreiz. Zudem sind sie vasokonstruktiv, was sich positiv auf Gewebeschwellungen bei Entzündungen auswirkt.
Andere Effekte haben ihre Vor- und Nachteile: Bei allergischem Trigger ist die immunsuppressive Wirkung erwünscht; sie verzögert jedoch auch die Wundheilung. Bei verhornenden Krankheiten wie der Schuppenflechte wird die antiproliferative Wirkung genutzt. Letztere ist jedoch bei längerer Anwendung auch für die Atrophie der Haut verantwortlich.
Weitere potenzielle Nebenwirkungen sind eine Steroidakne, Teleangiektasien (sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleinster Blutgefäße), streifenförmige, atrophische Hautveränderungen, die an Zellulite erinnern (Striae distensae) sowie eine vermehrte Haarbildung (Hypertrichose) und Infektionen. Achtung: Topische Glucocorticoide können auch Kontaktallergien auslösen, die sich naturgemäß nicht mit noch mehr Corticoiden behandeln lässt.
»Nebenwirkungen treten aber in der Regel erst zwei Wochen nach Beginn der Therapie auf, daher ist die Anwendung normalerweise auf zehn Tage begrenzt«, erklärte Dreeke-Ehrlich. »In der Regel ist die einmal tägliche Anwendung völlig ausreichend, nur bei sehr starker Entzündung cremt man zweimal täglich.«
Gut untersucht bei wiederkehrenden Hautproblemen sei mittlerweile auch die Intervalltherapie mit topischen Glucocorticoiden nur zwei- bis dreimal wöchentlich. »Das erfordert eine gute Aufklärung des Patienten«, so Dreeke-Ehrlich. Am besten wird an bestimmten Wochentagen gecremt; an den anderen ist die Basispflege ausreichend.
Dem Patient sollte hier die Angst vor der vermeintlichen »Cortison«-Daueranwendung genommen werden. Studien über mehrere Monate mit Fluticasonpropionat und Methylprednisolonaceponat hätten gezeigt, dass sich der Corticoid-Verbrauch insgesamt reduzieren lassen, weil Exazerbationen verhindert werden – ohne das Nebenwirkungsrisiko zu erhöhen. »Erklären Sie dem Patienten, dass auch bei besserem Hautbild oft noch eine unterschwellige Entzündung besteht, die durch die Intervalltherapie in Schach gehalten wird«, so Dreeke-Ehrlich.
Die gefürchtete Atrophie bei Daueranwendung kommt besonders häufig bei jüngerer Haut (Kinder) und besonders alter Haut vor. Daher sollte gerade hier mit eher niedrig potenten Substanzen gearbeitet werden. Das reiche in der Regel aus, weil sich ohnehin ein Depot in der Haut bilde.
Bei Babys und Kleinkindern gilt: Topische Glucocorticoide haben in der Regel nichts im Windelbereich zu suchen. Hier ist die Haut ohnehin sehr empfindlich. Durch den Okklusionseffekt der Windel könne es sogar zu systemischen Nebenwirkungen kommen. »Selbst wenn die Haut hier extrem entzündet ist, gehört hier kein Glucocorticoid drauf, zumal die Eltern eventuell sonst immer wieder auch in Eigenregie dazu greifen«, warnte Dreeke-Ehrlich. Falls der Arzt es verordnet habe, solle man die Eltern auf die kurzfristige Anwendung hinweisen.
Wie viel soll von der Creme verwendet werden? Hier wird in sogenannten Finger Tip Units (FTU) gemessen. Formell entspricht eine FTU einem Cremestreifen auf dem Endglied des Zeigefingers, gewissermaßen von der Fingerspitze bis zum ersten Gelenk. »Das sind etwa 0,5 Gramm Creme, was auch ungefähr einem Pumphub der üblichen Kruken entspricht«, verdeutlichte Dreeke-Ehrlich.
Wie viele FTU für welches Körperteil in welchem Alter nötig sind, zeigt eine Grafik des Deutschen Apothekenportals, die ausgedruckt und den Patienten mitgegeben werden kann. Grundsätzlich gilt: dünn auftragen, vor allem auf dünnen Hautstellen wie im Gesicht und auf dem Kopf, den Achseln, Ellenbeugen sowie den Leistenfalten und rund um den Intimbereich, da hier die Penetrationsrate hoch ist. »In diesen Bereichen sollte man mit Glucocorticoiden mit eher niedrigem Therapieindex nehmen, für solche mit schwacher Penetration wie Hände und Knie eher solche mit höherem TIX.
Was heißt nun hoch oder niedrig potent? Glucocorticoide werden in vier Klassen von schwach (1) bis sehr stark (4) eingeteilt – je nach Derivat und auch Konzentration variiert die Einteilung. Hydrocortisonacetat und das Hydrocortison in seiner Grundform gehören beispielsweise in die Klasse 1, Hydrocortisonaceponat und Hydrocortisonbutyrat dagegen in Klasse 2. Betamethasonvalerat wird je nach Konzentration in Klasse 2 oder 3 eingestuft. Das Clobetasolpropionat aus der oben genannten »Creme gegen alles« gehört zur stärksten Klasse. Dreeke-Ehrlich sprach vom »Ende der Messlatte«.
Es sei immer noch häufig auch in Rezepturen für alte Menschen zu finden, so Dreeke-Ehrlich – auch das sei nicht angemessen. Hier gebe es auch ein entsprechendes Statement des NRF, auf das man im Gespräch mit Ärzten auch verweisen könne. Indiziert ist Clobetasolpropionat beispielsweise noch bei schwerem Wundliegen (Dekubitus).
Beim atopischen Ekzem wird ein Stufenschema angewendet. Auf Stufe 2, was leichten Ekzemen entspricht, kommen die niedriger potenten Glucocorticoide zum Einsatz, auf Stufe 3 dann auch zeitweilig höher potente Substanzen (außer bei jüngeren Kindern).
Neben der Potenz gibt es noch den therapeutischen Index (TIX), der die Ausgewogenheit zwischen erwünschten und unerwünschten Wirkungen beschreibt. Je höher der TIX, desto besser das Verhältnis. Hydrocortisonacetat und Prednisolonacetat haben einen TIX von 1,0 und gelten daher nicht mehr als »State of the Art«. Hydrocortisonbutyrat, Prednicarbat und Methylprednisolonaceponat sind dagegen Beispiele für einen TIX von 2,0.
Ob ein Glucocorticoid topisch überhaupt wirksam ist, hängt von seiner Struktur ab. »Wir sollten wissen, welche Derivate wirksam und welche unwirksam sind und darauf ein Auge bei der Rezeptur haben«, mahnte die Referentin. Triamcinolon wirke zwar noch auf der Schleimhaut, nicht aber auf normaler Haut. Daher ist Triamcinolonacetonid hier ein Favorit (konzentrationsabhängig Klasse 1 oder 2). Hier dürfe der Arzt nicht mit Abkürzungen verordnen, sondern müsse das gewünschte Corticoid immer voll ausschreiben, um Missverständnissen vorzubeugen.
Die topisch angewendeten Glucocorticoid-Derivate sind übrigens keine Salz, sondern Ester. Einige davon wie solche mit Propionat, Valerat und Fuorat sind dabei pH-empfindlich. »Hier können kleine Veränderungen in der Rezeptur zur Unwirksamkeit führen«, erinnerte die Rezepturexpertin. Prednisolon in seiner Grundform sei als Alkohol beispielsweise viel empfindlicher in wässrigen Zubereitungen als das Prednisolonacetat, daher gebe es keine NRF-Rezepturvorschrift mehr mit Prednisolon, da es nach einiger Zeit auskristallisiert. »Die Ester sind grundsätzlich stabiler in der Verarbeitung«, erklärte Dreeke-Ehrlich.
»Kaum auf dem Schirm« hätten sowohl Ärzte als auch Apotheken das Prednicarbat, das zur Wirkstärkeklasse 2 gehört und mit einem TIX von 2,0 ein gutes Nutzen-Risiko-Profil aufweist. Es sei sehr gut antientzündlich und lasse sich schon bei Säuglingen (nach strenger Indikationsstellung und in geringer Konzentration) anwenden. Zudem lasse es sich weniger konzentriert einsetzen, falls ein Ausschleichen der Therapie erwünscht ist.
Alle topischen Glucocorticoide mit einem TIX unter 2,0 sind gemäß DAC/NRF nicht mehr in der Pädiatrie empfohlen. »Generell sollte moderne Rezeptur mit Substanzen mit einem TIX 2,0 erfolgen«, riet Dreeke-Ehrlich.
Statt der »Creme für alle Fälle« hatte die Referentin noch einen Tipp für eine »Creme für viele Fälle«: Die NRF-Rezepturvorschrift 11.145, »Hydrophile Prednicarbat-Creme 0,08 % / 0,15 % / 0,25 % mit Octenidindihydrochlorid 0,1 %«. Sie enthält kein Antibiotikum, dafür das antiseptische Octenidinhydrochlorid, das in Form einer Stammlösung verarbeitet wird. Grundlage ist die ambiphile Basiscreme DAC, die eine gute Basispflege biete. Mit der Maschine könne die Creme sehr dünnflüssig werden, daher empfahl Dreeke-Ehrlich die Herstellung per Hand.
»Es gibt aber keine Zaubercreme, die immer und jedem hilft« – genau deshalb gebe es die Individualrezeptur, am besten Hand in Hand konzipiert zwischen Verordner und der Apotheke mit ihrem Rezeptur-Know-how.
Noch mehr zum Thema lesen Sie in unserem Titelbeitrag »Topische Glucocorticoide: Feuerwehr für die Haut«, PZ 18/2022.