So geht moderne Allergietherapie |
Der Klimawandel hat unmittelbar Auswirkungen auf die Beschwerden von Allergikern. Wärmere Temperaturen und mildere Winter begünstigen die frühe Baumblüte. Umweltschadstoffe lassen Pflanzen mehr Pollen produzieren und machen sie zudem allergisierender. / Foto: Getty Images/Yuri_Arcurs
Die Erfahrung zeigt, dass viele Patienten ihre Antiallergika als Ad-hoc-Therapie verstehen und sie nur dann anwenden, wenn sie sich von ihren Beschwerden besonders belästigt fühlen. Ein Trugschluss. Professor Dr. Torsten Zuberbier spricht sich im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung dafür aus, länger andauernde Symptomphasen durchgängig zu therapieren und rechtzeitig damit zu beginnen. Nur so nutze man das Wirkvermögen eines Antihistaminikums quasi voll aus.
»Ein Antihistaminikum wirkt als inverser Agonist wie eine Steckdosensicherung, verhindert das Andocken des Histamins an der Steckdose, also am Rezeptor. Daraus ergeben sich logische Folgerungen: Wie eine Steckdosensicherung wirkt es nur dann oder effektiver, wenn es möglichst vor dem Auftreten der Beschwerden eingenommen wird. Sonst vermittelt Histamin schon seine Effekte und das entzündliche Geschehen schaukelt sich in die Höhe«, erklärt der Direktor des Instituts für Allergieforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Leiter der europäischen Stiftung für Allergieforschung ECARF.
Noch einen zweiten Faktor gibt der Allergologe zu bedenken: »Der Histaminrezeptor ist einer der wenigen Rezeptoren im Organismus, die durch Stimulation immer empfindlicher werden. Je mehr Histamin vorhanden ist, desto stärker reagiert er.« Dieser Sachverhalt erkläre auch, warum manche Betroffene zum Ende der eigentlichen Saison hin verstärkt Probleme bekommen. »Insofern ist die Aufklärung durch den Apotheker über die Bedeutung der kontinuierlichen Einnahme über die gesamte Pollenflugsaison hinweg so wichtig. Bei einem ganzjährigen Allergen sollte die Einnahme ganzjährig erfolgen und nicht nur dann, wenn die Beschwerden unerträglich werden. Als inverse Agonisten verschieben Antihistaminika die H1-Rezeptoren quasi in eine inaktive Formation und dimmen damit die Hyperaktivität herunter. Klassische Antagonisten würden die Rezeptoren nur blocken.«
Bereichern die in den vergangenen Jahren erfolgten OTC-Switches etwa von Bilastin, Levocetirizin und Desloratadin die Selbstmedikation? »Ja, durchaus. Die auf dem Markt befindlichen Antihistaminika der zweiten Generation unterscheiden sich geringfügig in ihrer Nebenwirkungsrate. Auf die klassischen Loratadin und mehr noch auf Cetirizin reagieren etwa 10 Prozent der Nutzer mit Ermüdungserscheinungen und Somnolenz, weil sie eine weniger ausgeprägte Blut-Hirn-Schranke haben.«
So ist es richtig: nasale Steroide überkreuz ins Nasenloch einsprühen. / Foto: Adobe Stock/Ihar Ulashchyk
Zuberbier bezeichnet Bilastin, Desloratadin und Fexofenadin als die »modernsten H1-Antihistaminika«. Sie passieren die Blut-Hirn-Schranke nicht beziehungsweise wird zumindest Bilastin per Transportprotein P-Glykoprotein aus dieser herausgehalten. Der im Hirn ansässige H1-Rezeptor regelt die Wachheit und Aufmerksamkeit. »Insofern hat Bilastin im Vergleich zu allen anderen H1-Anthistaminika keinerlei sedierende Effekte oder beeinflusst kognitive und psychomotorische Fähigkeiten.« Seit etwa einem Jahr steht Bilastin 20 mg als Allegra® Allergietabletten in Deutschland zur Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis und Urtikaria ab zwölf Jahren rezeptfrei zur Verfügung und ist damit der jüngste OTC-Switch. Seit Februar 2024 gibt es auch Bitosen® Schmelztabletten. Achtung: Unter dem gleichen Fertigarzneimittelnamen Allegra sind in Österreich 120 mg Fexofenadin im Handel. In Deutschland ist Fexofenadin jedoch der Wirkstoff vom verschreibungspflichtigen Telfast®.
Als weitere Vorteile sieht Zuberbier Bilastins hohe Bindungskapazität am Rezeptor. Die Wirkung setze nach 30 bis 60 Minuten ein und halte etwa 24 Stunden an, sodass nur eine einmal tägliche Einnahme erforderlich ist. »Bei einer Einnahme über einen längeren Zeitraum ist keine Reduktion der Wirkung zu erwarten.« Zudem zeichne sich Bilastin durch sein fehlendes Interaktionspotenzial mit dem Cytochrom-P450-Komplex aus. »Da es nicht metabolisiert und unverändert teils über den Urin und teils den Faeces ausgeschieden wird, gibt es keine relevanten Interaktionen mit anderen Arzneistoffen.«