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Start der Pollensaison

So geht moderne Allergietherapie

Nur 10 Prozent der Allergiker werden laut Leitlinie korrekt behandelt. Was kann das Apothekenteam tun, um die Versorgung zu verbessern? Professor Dr. Torsten Zuberbier vom Institut für Allergieforschung an der Charité über gute Therapieoptionen, schlecht informierte Patienten und die Beratungschance in der Offizin.
AutorKontaktElke Wolf
Datum 04.03.2024  18:00 Uhr

Die Erfahrung zeigt, dass viele Patienten ihre Antiallergika als Ad-hoc-Therapie verstehen und sie nur dann anwenden, wenn sie sich von ihren Beschwerden besonders belästigt fühlen. Ein Trugschluss. Professor Dr. Torsten Zuberbier spricht sich im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung dafür aus, länger andauernde Symptomphasen durchgängig zu therapieren und rechtzeitig damit zu beginnen. Nur so nutze man das Wirkvermögen eines Antihistaminikums quasi voll aus.

»Ein Antihistaminikum wirkt als inverser Agonist wie eine Steckdosensicherung, verhindert das Andocken des Histamins an der Steckdose, also am Rezeptor. Daraus ergeben sich logische Folgerungen: Wie eine Steckdosensicherung wirkt es nur dann oder effektiver, wenn es  möglichst vor dem Auftreten der Beschwerden eingenommen wird. Sonst vermittelt Histamin schon seine Effekte und das entzündliche Geschehen schaukelt sich in die Höhe«, erklärt der Direktor des Instituts für Allergieforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Leiter der europäischen Stiftung für Allergieforschung ECARF.

Noch einen zweiten Faktor gibt der Allergologe zu bedenken: »Der Histaminrezeptor ist einer der wenigen Rezeptoren im Organismus, die durch Stimulation immer empfindlicher werden. Je mehr Histamin vorhanden ist, desto stärker reagiert er.« Dieser Sachverhalt erkläre auch, warum manche Betroffene zum Ende der eigentlichen Saison hin verstärkt Probleme bekommen. »Insofern ist die Aufklärung durch den Apotheker über die Bedeutung der kontinuierlichen Einnahme über die gesamte Pollenflugsaison hinweg so wichtig. Bei einem ganzjährigen Allergen sollte die Einnahme ganzjährig erfolgen und nicht nur dann, wenn die Beschwerden unerträglich werden. Als inverse Agonisten verschieben Antihistaminika die H1-Rezeptoren quasi in eine inaktive Formation und dimmen damit die Hyperaktivität herunter. Klassische Antagonisten würden die Rezeptoren nur blocken.«

Bereichern die in den vergangenen Jahren erfolgten OTC-Switches etwa von Bilastin, Levocetirizin und Desloratadin die Selbstmedikation? »Ja, durchaus. Die auf dem Markt befindlichen Antihistaminika der zweiten Generation unterscheiden sich geringfügig in ihrer Nebenwirkungsrate. Auf die klassischen Loratadin und mehr noch auf Cetirizin reagieren etwa 10 Prozent der Nutzer mit Ermüdungserscheinungen und Somnolenz, weil sie eine weniger ausgeprägte Blut-Hirn-Schranke haben.«

Zuberbier bezeichnet Bilastin, Desloratadin und Fexofenadin als die »modernsten H1-Antihistaminika«. Sie passieren die Blut-Hirn-Schranke nicht beziehungsweise wird zumindest Bilastin per Transportprotein P-Glykoprotein aus dieser herausgehalten. Der im Hirn ansässige H1-Rezeptor regelt die Wachheit und Aufmerksamkeit. »Insofern hat Bilastin im Vergleich zu allen anderen H1-Anthistaminika keinerlei sedierende Effekte oder beeinflusst kognitive und psychomotorische Fähigkeiten.« Seit etwa einem Jahr steht Bilastin 20 mg als Allegra® Allergietabletten in Deutschland zur Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis und Urtikaria ab zwölf Jahren rezeptfrei zur Verfügung und ist damit der jüngste OTC-Switch. Seit Februar 2024 gibt es auch Bitosen® Schmelztabletten. Achtung: Unter dem gleichen Fertigarzneimittelnamen Allegra sind in Österreich 120 mg Fexofenadin im Handel. In Deutschland ist Fexofenadin jedoch der Wirkstoff vom verschreibungspflichtigen Telfast®.

Als weitere Vorteile sieht Zuberbier Bilastins hohe Bindungskapazität am Rezeptor. Die Wirkung setze nach 30 bis 60 Minuten ein und halte etwa 24 Stunden an, sodass nur eine einmal tägliche Einnahme erforderlich ist. »Bei einer Einnahme über einen längeren Zeitraum ist keine Reduktion der Wirkung zu erwarten.« Zudem zeichne sich Bilastin durch sein fehlendes Interaktionspotenzial mit dem Cytochrom-P450-Komplex aus. »Da es nicht metabolisiert und unverändert teils über den Urin und teils den Faeces ausgeschieden wird, gibt es keine relevanten Interaktionen mit anderen Arzneistoffen.«

Nase im Mittelpunkt

Steht die Nasensymptomatik im Vordergrund, sind nach Behandlungsempfehlungen der internationalen Initiative ARIA (Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma) sowie internationalen Leitlinien die topischen Glucocorticoide erste Wahl. »Besonders wenn nach dem morgendlichen Aufwachen die Nase verstopft ist und keine freie Nasenatmung besteht, sind nasale Steroide indiziert«, rät Zuberbier. Die Nasenobstruktion sei vor allem für Hausstauballergiker typisch.

Als OTC-Präparate sind Beclometason, Fluticason und Mometason verfügbar. Ohne Verordnung dürfen sie nur bei Erwachsenen mit saisonaler allergischer Rhinitis eingesetzt werden, bei denen ein Arzt die Diagnose gestellt hat. Nasale Steroide wirken nicht sofort, ihre Wirkung - vor allem des Beclometasons - baut sich erst nach drei bis fünf Tagen regelmäßiger Anwendung auf. Beim Fluticason dauert es abhängig vom Salz (Furoat oder Propionat) 8 bis 12 Stunden und beim Mometason 12 bis 48 Stunden. Tipp für das Beratungsgespräch: Zur Überbrückung empfiehlt sich in den ersten Tagen das Sprühen eines nasalen Antihistaminikums, damit der Patient einen Effekt hat und nicht glaubt, es wirke nicht.

Arzneistoffgruppe Wirkstoff Besonderheiten
Antihistaminika oral Bilastin (Allegra®, Bitosen® Schmelztabletten) Bilastin ab 12 Jahre
Cetirizin (wie Zyrtec®) Cetirizin und Loratadin abhängig von Darreichungsform teils ab 1 Jahr
Loratadin (wie Lorano®) Cetirizin und Loratadin abhängig von Darreichungsform teils ab 1 Jahr
Levocetirizin (wie Levocetirizin Stada®) Levocetirizin ab 6 Jahre
Desloratadin (wie Lorano® Pro) Desloratadin ab 2 Jahre
Clemastin (wie Tavegil® Clemastin müde machend
Antihistaminika topisch (Nasenspray und Augentropfen) Azelastin (wie Allergodil®, Pollival®, Azela-Vision®, Vividrin®) Azelastin ab 6 Jahre, bitterer Nachgeschmack
Levocabastin (wie Livocab®, Levocamed®) Levocabastin ab einem 1 Jahr, vor Anwendung schütteln, da Suspension
Ketotifen( wie Zaditen® ophtha, Allergo-Vision® sine) Ketotifen ab 3 Jahre
Nasale Steroide Belcometasonpropionat (wie Ratioallerg® Heuschnupfenspray, Rhinivict® nasal) Erwachsene ab 18 Jahre, verzögert einsetzende Wirkung, Sprühstoß Richtung Augenwinkel und nicht Richtung Nasenscheidewand, um Nasenbluten zu vermeiden
Fluticasonpropionat (wie Otri Allergie® Nasenspray Fluticason) Erwachsene ab 18 Jahre, verzögert einsetzende Wirkung, Sprühstoß Richtung Augenwinkel und nicht Richtung Nasenscheidewand, um Nasenbluten zu vermeiden
Mometasonfuroat (wie Momeallerg® Galenpharma, Mometahexal®) Erwachsene ab 18 Jahre, verzögert einsetzende Wirkung, Sprühstoß Richtung Augenwinkel und nicht Richtung Nasenscheidewand, um Nasenbluten zu vermeiden
Mastzellstabilisatoren topisch (Nasenspray und Augentropfen) Cromoglicinsäure-Salze (wie Pollicrom® Nasenspray und Augentropfen, Allergo-Comod® Augentropfen, Vividrin® antiallergische Augentropfen vorbeugende Wirkung, 2 Wochen vor der Saison beginnen, wenige Nebenwirkungen, daher auch für Kleinkinder, Schwangere und Stillende geeignet
Übersicht verschiedener Arzneistoffgruppen, die als OTC-Präparate zur Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis zum Einsatz kommen.

Während die längerfristige Einnahme oder Applikation eines Antihistaminikums laut Zuberbier nicht kritisch zu sehen ist, ist sie es »beim nasalen Steroid insofern, als dass es die Nase austrocknen und Nasenbluten hervorrufen kann«. Er empfiehlt deshalb, den Sprühstoß Richtung Augenwinkel und nicht Richtung Nasenscheidewand zu applizieren und eine befeuchtende Nasensalbe aufzutragen. »Auch ein guter Tipp, der wenig weitergegeben wird, ist die vorherige Nasenspülung etwa mit Salzlösungen. Das spült die Pollen weg und befeuchtet die Schleimhaut.«

Was ist vom vorsorglichen Sprühen des Steroids vor der Pollensaison zu halten? »Der Patient ist gut beraten, wenn er bereits einige Zeit vor dem zu erwartenden Pollenflug beginnt, sein nasales Steroid zu sprühen. Dann kommt er erst gar nicht in die Phase der Inflammation hinein. Auch die kombinierte Gabe von Steroid und Antihistaminikum wird ausdrücklich empfohlen. Durch deren synergistische Wirkung bekommt man auch die Augensymptomatik gut unter Kontrolle«, berichtet der Experte von seinen Erfahrungen.

Alle Antiallergika rezeptierfähig

Zuberbier ist es wichtig zu betonen, dass nicht nur nasale Steroide zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung rezeptiert werden dürfen, sondern auch Antihistaminika – sofern die Beschwerden ausgeprägt sind. »Hier kann der Apotheker wertvolle Hinweise geben.« Das sei deshalb so wichtig, weil Heuschnupfen immer noch zu sehr als Bagatellerkrankung verharmlost werde. Die ARIA-Leitlinie führt aus, wie der Schweregrad zu bestimmen ist. Dieser ist »mäßig bis schwer«, wenn eine der folgenden Aussagen zutrifft:

  • gestörter Schlaf und/oder
  • Schwierigkeiten in der Schule oder am Arbeitsplatz durch Konzentrationsmangel und/oder beeinträchtigte Alltagsaktivitäten und /oder
  • andere störende Symptome.

Als anhaltend oder persistierend gilt eine allergische Rhinokonkunktivitis, wenn mehr als drei Tage pro Woche Symptome auftreten und die Episode mindestens vier Wochen andauert. Dies sei bei allen Betroffenen mit Frühblühern-Sensibilisierungspollen der Fall ebenso wie bei Patienten gegen Gräserpollen- oder mit Hausstaubmilben-Sensibilisierung, bemerken die Allergologen. »Nach gültiger Rechtssprechung dürfen Menschen mit persistierendem Heuschnupfen die Medikamente zulasten der Krankenkasse bekommen. Ebenso wird die Hyposensibilisierung von den Krankenkassen bezahlt.«

Für Zuberbier ist es unerlässlich, dass ein Arzt die Therapie kontinuierlich begleitet. Nur durch regelmäßige Arztbesuche könne geklärt werden, ob Antiallergika noch ausreichend sind, ob ein Etagenwechsel drohe oder ob eine Hyposensibilisierung individuell infrage kommt. »Um die Versorgung der Allergiker zu verbessern, muss eine stufenweise Therapie etabliert werden, in der der Weg vom Allgemeinmediziner bis zum Spezialisten vorgezeichnet ist.«

Dabei sieht der Experte aus Berlin auch den Apotheker in der Pflicht. »Er muss Patienten, die in der Offizin nach Antihistaminika oder Steroiden fragen, darauf hinweisen, dass es sinnvoll ist, sich richtig diagnostizieren zu lassen.« Zuberbier legt auf eine fachmännische Diagnose Wert: »So gilt es, bei einer Gräserpollenallergie nicht nur die Gräser zu überprüfen, sondern etwa auch an Brennnessel und Beifuß zu denken. Bei Birke, Erle und Hasel lohnt es sich, auch Eiche und Kastanie abzuklären.«

Ursächliche Therapie

In der Tat bekommen 30 bis 40 Prozent der Patienten mit Heuschnupfen ein allergisches Asthma und somit einen Etagenwechsel, wenn die Symptome an Augen und Nase nicht ernst genommen wurden. Je länger die allergische Belastung bereits anhält, desto wahrscheinlicher werden sich asthmatische Beschwerden ausbilden. Das Risiko eines Asthmas lässt sich durch eine spezifische Immuntherapie in etwa halbieren, und zwar umso besser, je früher man damit beginnt.

»Wir haben in den vergangenen Jahren entscheidende Verbesserungen in der Hyposensibilisierung erlebt, sowohl bei der subkutanen als auch bei der sublingualen Immuntherapie. So konnten die Schemata in der Aufdosierung verkürzt werden. Die Allergenextrakte sind sicherer und wirksamer geworden. Wir haben heute insgesamt eine große Vielfalt an Möglichkeiten. Jedoch: Sie wird noch bei viel zu wenigen Betroffenen angewendet.«

Für ein Gelingen der Therapie empfiehlt er einen Abgleich des Immunprofils des Therapieallergens und des individuellen Empfängers. »Wenn es genau gematcht an das Sensibilisierungsprofil des Betroffenen ausgerichtet ist, hat die spezifische Immuntherapie gegen Pflanzenpollen heute eine Erfolgsquote von mehr als 80 Prozent.« So sei zum Beispiel eine Hyposensibilisierung gegen Birkenpollen sehr erfolgreich, wenn sie gegen das Protein Bet v1 ausgerichtet ist. Seien die dominanten Epitope jedoch Bet v2 oder Bet v4, seien die Ansprechraten sehr gering. Der passende Extrakt müsse genau die Epitope abdecken, die Probleme machen.

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