»So führen wir kleine Patienten an die Apotheke heran« |
Carolin Lang |
31.08.2021 07:00 Uhr |
In der »Kidz Offizin« der Ruhr Apotheke in Herne sind die HV-Tische extra für Kinder gestaltet. / Foto: Privat
PZ: Wie kamen Sie zu Ihrer Offizin für Kinder?
Sibbel: Die Idee entstand im Jahr 2015, als eine große Kinderarztpraxis über der Apotheke eröffnete. Es stellte sich zwangsläufig die Frage: Wo kriegen wir die Kinder unter? Da unsere normale Offizin räumlich ausgelastet war, haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und eine Zweitoffizin als reine Kinderapotheke eingerichtet. Der Umbau war relativ aufwendig, hat sich aber mehr als gelohnt.
PZ: Was macht die »Kidz-Offizin« aus?
Sibbel: Die gesamte Offizin ist kindgerecht eingerichtet und farblich bunt gestaltet. Familien brauchen viel Platz, denn sie kommen teilweise mit mehreren Kindern und Kinderwagen. Es darf also nirgends zu eng sein. Über spezielle Handverkaufstische mit Treppenstufen und Geländer können die kleinen Patienten uns auf Augenhöhe begegnen und wir blicken nicht zu ihnen hinunter. Besonders beliebt ist außerdem unser Karussell.
PZ: Wie ist die Kinder Offizin organisiert?
Sibbel: Sie hat einen eigenen Eingang und liegt etwa 30 Meter von der Hauptapotheke entfernt, direkt unter der Kinderarztpraxis. Beide befinden sich im selben Gebäudekomplex und sind über einen Tunnel im Keller miteinander verbunden. Über einen Automaten können beide Betriebe auf das gesamte Warenlager zugreifen. Die Zweitoffizin ist nur parallel zur Kinderarztpraxis geöffnet. Wir besetzen sie dann durchgehend je nach Betrieb mit bis zu drei PTA und Apothekerinnen. Die Mitarbeiterinnen sind entsprechend geschult und stecken häufig als Mütter selbst tief in den Themen. So zum Beispiel Frau Dagel, die von Beginn an mit Herzblut dabei war.
PZ: Inwieweit integrieren Sie die Kinder in die Beratung?
PTA Nicole Dargel begleitet das Projekt »Kidz-Offizin« seit Beginn an. / Foto: Privat
Dargel: Wir sprechen die Kinder, wenn möglich, direkt mit Namen an und binden sie von Anfang an als vollwertige Kunden in das Gespräch ein. Beispielsweise indem wir sie fragen, wie es ihnen geht oder ob sie krank sind. Die Details der pharmazeutischen Beratung besprechen wir dann ausführlich mit den Eltern.
Sibbel: Aber auch den Kindern erklären wir, welche Medikamente sie bekommen: Das sind deine Augentropfen, die macht dir später deine Mama rein. Wir nehmen die kleinen Patienten ernst und führen sie so an die Apotheke heran. Für unseren Berufsstand ist es mittelfristig gut, wenn schon die Kinder merken, in einer Apotheke hole ich nicht nur Medikamente ab, sondern ich kann auch mit dem Apotheker sprechen.
PZ: Vor welche Herausforderungen stellt Sie die Kinderoffizin?
Sibbel: Der pharmazeutische Beratungsbedarf ist unserer Erfahrung nach deutlich höher als in der normalen Offizin. Viele Medikamente wie Antibiotikasäfte, Wurm- oder Läusemittel bedürfen einer umfangreichen Erklärung. Wir kontrollieren im Nachgang alle Dosierungen, kennzeichnen alle Packungen mit dem Namen des Kindes und der Dosierung – gerade bei sprachlichen Barrieren dürfen Familien auf keinen Fall durcheinanderkommen.
PZ: Wie kommt die Kinderoffizin bei Eltern und Kindern an?
Dargel: Die Eltern schätzen es, dass wir auf die Kinder eingehen und dass alles kindgerecht gestaltet ist. Sie empfinden es als angenehm, dass sie mit ihren kranken Kindern nicht lange warten müssen und dass wir die verordneten oder benötigten Präparate in der Regel vorrätig haben. So muss keiner zwei Mal kommen. Die Kleinen kommen auch sehr gerne zu uns. Häufig wird schon auf dem Weg zum Kinderarzt ein erster Stopp bei uns eingelegt. Sie sind stolz, wenn sie die Treppe zum HV-Tisch hochgehen und uns gegenüberstehen, ihr Rezept abgeben und die Apotheke später mit einer eigenen kleinen Tüte verlassen dürfen.
PZ: Welche Vorteile hat das Konzept für Apotheke und Mitarbeiter?
Apothekeninhaber Robert Sibbel hat nicht bereut, eine kindgerechte Apotheke eröffnet zu haben. / Foto: Privat
Sibbel: Es bereitet einigen Mitarbeitern viel Freude, intensiv mit Kindern zu arbeiten. Gleichzeitig entlastet die Kinderapotheke unsere normale Offizin. Mit Kindern kann es laut und chaotisch werden, sodass durch die Trennung mehr Ruhe in der Hauptoffizin herrscht. Das kommt nicht nur einigen Mitarbeitern, sondern auch den Kunden entgegen. Natürlich steckt auch eine wirtschaftliche Überlegung dahinter: Die Kinder wollen häufig in keine andere Apotheke mehr gehen, was uns viel Kundschaft beschert. Das Konzept und die Investition hat sich in jedem Fall gelohnt.
PZ: Für welche Apotheken eignet sich ein solches Konzept?
Sibbel: Es lohnt sich nur für wenige Apotheken, bei denen ein Großteil der Kundschaft aus Kindern besteht und entsprechend viele Kinderrezepte eingelöst werden. Ein einzelner HV-Tisch für Kinder oder eine Spielecke könnte eine abgespeckte Alternative sein.