SARS-CoV-2 prägt das Immunsystem |
Theo Dingermann |
06.01.2023 14:00 Uhr |
Auch bei leichtem Verlauf kann eine durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion das Immunsystem prägen. Diese Prägung unterscheidet sich bei Männern und Frauen. / Foto: Adobe Stock/Mangostar
Es ist bekannt, dass sowohl chronische als auch ausgeheilte Virusinfektionen langfristige immunologische Auswirkungen haben können. Beispielsweise kommt es nach der Genesung von einer akuten Maserninfektion zu einer deutlich verringerten humoralen Immunität und einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen mit anderen Erregern, ein Zustand, der unter Umständen über Monate bis Jahre andauern kann.
Auch Covid-19 kann noch Monate nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion anhaltende klinische Symptome verursachen, wie die vielen Fälle eines postakuten Covid-19-Syndroms (Long Covid) zeigen. Das gilt sowohl für schwere aber auch für leichtere Krankheitsverläufe. Welche molekularen Mechanismen hier im Einzelnen ablaufen, ist im Detail noch unzureichend verstanden. Dieser Frage sind nun Dr. Rachel Sparks und Kollegen von der Multiscale Systems Biology Section am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in Bethesda, USA, nachgegangen. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im Fachjournal »Nature«.
Sie verglichen auf Basis systemimmunologischer Ansätze die Reaktionen auf eine Influenzaimpfung bei 33 gesunden Personen nach der Genesung von einer leicht verlaufenen SARS-CoV-2-Infektion (im Mittel 151 Tage nach der Diagnose) und bei 40 alters- und geschlechtsgleichen Kontrollen, die sich bis dahin noch nicht mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Sowohl die mild verlaufene SARS-CoV-2-Infektion als auch die Grippeimpfung stellten im Kontext der Studie Störungen des Immunsystems dar, die die Forschenden untersuchten. Dabei stellten sie überraschenderweise fest, dass Frauen anders reagierten als Männer.
Männer, die von einem milden Covid-19-Verlauf genesen waren, zeigten auf die Influenzaimpfung eine robustere Immunantwort als genesene Frauen. Offensichtlich war der Ausgangsimmunstatus bei genesenen Männern so verändert, dass die initiale Reaktion des angeborenen Immunsystems auf den Influenzaimpfstoff heftiger ausfiel, sodass in der Folge auch mehr Antikörper produziert wurden.
»Das war ein völlig überraschendes Ergebnis«, kommentiert Seniorautor Prof. John S. Tsang in einer Pressemitteilung. »Frauen reagieren in der Regel mit eine stärkeren allgemeinen Immunantwort auf Krankheitserreger und Impfstoffe, weshalb sie auch anfälliger für Autoimmunerkrankungen sind.« Folglich, so die Schlussfolgerung der Forschenden, könne ein leichter Covid-19-Verlauf gewissermaßen das Immunsystem »umdrehen«.
Diese Ergebnisse könnten auch eine Beobachtung erklären, die zu Beginn der Pandemie gemacht worden war. Damals starben Männer nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 viel häufiger an einer überschießenden Immunreaktion als Frauen. Selbst milde Covid-19-Verläufe, so legen es die neuen Erkenntnisse nahe, könnten bei Männern stärkere Entzündungsreaktionen auslösen als bei Frauen, was zu stärker ausgeprägten funktionellen Veränderungen des Immunsystems führt – selbst lange nach der Genesung.
Wahrscheinlich ist die robustere Reaktion bei genesenen Männern auf einen veränderten Grundimmunstatus zurückzuführen. Eine Rolle könnten dabei sogenannte virtuelle T-Gedächtniszellen (TVM) spielen. TVM sind T-Lymphozyten, die einen Gedächtnisphänotyp besitzen, obwohl sie noch keinem fremden Antigen ausgesetzt waren. Sie können schnell auf Entzündungsmoleküle reagieren, die der Körper als Reaktion auf Impfungen und Infektionen bildet.
Dies konnten die Forschenden durch Messung von IL-15 zeigen. Bei genesenen Männern reagierten die TVM stark auf IL-15. Das ist auch bei gegen Covid-19 geimpften Männern einen Tag nach einer Grippeimpfung der Fall. Bei diesen Männern ist die Expression von IL-15 in Monozyten deutlich erhöht.
So lassen die Ergebnisse der Studie vermuten, dass frühere infektiöse Expositionen das Immunsystem in einen veränderten Zustand versetzen können, der sich dann auf einen weiteren, ganz anderen immunologischen Reiz auswirken kann. Erstautorin Sparks fasst zusammen: »Unsere Ergebnisse deuten an, dass jede Infektion oder jeder immunologische Reiz den Immunstatus verändern und neue Sollwerte festlegen können. Der Immunstatus eines Individuums wird also wahrscheinlich durch eine Vielzahl früherer Expositionen und Störungen geprägt.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.