Rote-Hand-Briefe für zwei MS-Medikamente |
Daniela Hüttemann |
10.11.2020 15:00 Uhr |
Unter einer MS-Therapie müssen je nach Präparat regelmäßig Leberwerte und Lymphozytenzahlen kontrolliert werden. / Foto: Fotolia/Alexander Raths
Unter der Einnahme von Fingolimod (Gilenya®) kann es zu arzneimittelinduzierten Leberschäden (Drug induced Liver Injury, DILI) kommen. Davor warnt heute Hersteller Novartis in Abstimmung mit den Behörden in einem Rote-Hand-Brief. Einem aktuellen Sicherheitsbericht auf EU-Ebene zufolge gab es drei Berichte zu Lebertransplantationen aufgrund von Leberschäden bei Patienten unter Fingolimod-Therapie. Zudem wurden Fälle klinisch signifikanter Leberschäden gemeldet. Bereits aus den Zulassungsstudien des seit 2011 verfügbaren MS-Therapeutikums ist bekannt, dass die Lebertransaminasen unter der Behandlung ansteigen können.
Die bereits in der Fachinformation enthaltenen Warnhinweise bezüglich der Leberfunktion werden nun aktualisiert und ergänzt. Demnach sollen Leberfunktionstests einschließlich Serumbilirubin-Bestimmung vor Therapiebeginn sowie in den Monaten 1, 3, 6,7, und 12 der Therapie und danach regelmäßig bis zwei Monate nach Ende der Fingolimod-Beandlung stattfinden.
Liegen keine klinischen Symptome einer Hepatotoxizität vor, aber die Transaminasen steigen auf mehr als das dreifache, aber weniger als das Fünffache der Obergrenze des Normalwerts (ULN) bei gleichbleibendem Serumbilirubin soll die Überwachung noch engmaschiger erfolgen und zusätzlich die alkalische Phophatase (ALP) gemonitort werden. Steigen die Transaminase-Werte allein noch höher oder auf mehr als das Dreifache plus Serumbilirubin-Anstieg, sollte die Fingolimod-Therapie abgebrochen werden. Falls sich die Serumspiegel normalisieren, kann das Präparat nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Bewertung wieder angesetzt werden. Treten bereits klinische Symptome einer Leberfunktionsstörung auf, sollten Leberenzyme und Bilirubin umgehend überprüft werden. Bestätigten die Werte eine relevante Schädigung der Leber, sollte Fingolimod abgesetzt werden.
Im Fall von Dimethylfumarat (Tecfidera®), das ebenfalls bei MS zum Einsatz kommt, kam es nun nicht nur, wie bereits bekannt, unter mittlerer bis schwerer Lymphopenie zu einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML). Diese Hirnentzündung kann neuen Fallmeldungen zufolge auch schon bei leichter Lymphopenie auftreten (Lymphozytenwert ≥ 0,8 x 109/l und unter dem unteren Normwert), meldet Hersteller Biogen in einem anderen Rote-Hand-Brief vom Montag.
Darin weist das Unternehmen daraufhin, dass Dimethylfumarat bei Patienten mit vermuteter oder bestätigter PML kontraindiziert ist. Falls die Lymphozytenzahl unterhalb der Norm liegt, sollte vor Einleitung einer Therapie mit Dimethylfumarat eine umfassende Abklärung möglicher Ursachen durchgeführt werden. Wenn eine PML auftritt, muss dieses MS-Medikament dauerhaft abgesetzt werden. Bei allen MS-Patienten unter Dimethylfumarat-Einnahme sollten vor Behandlungsbeginn und dann alle drei Monate die absoluten Lymphozyten-Zahlen bestimmt werden.
»Die PML ist eine durch das John-Cunningham-Virus (JCV) hervorgerufene schwerwiegende opportunistische Infektion, die tödlich verlaufen oder zu schwerer Behinderung führen kann«, heißt es im Rote-Hand-Brief zur Erklärung. Unter den mehr als 475.000 mit Dimethylfumarat behandelten MS-Patienten seien bislang elf bestätigte PML-Fälle aufgetreten. Die Gemeinsamkeit bei allen Fällen sei eine reduzierte absolute Lymphozytenzahl gewesen, die einen biologisch plausiblen Risikofaktor für eine PML darstelle. »Drei dieser Fälle traten im Rahmen einer leichten Lymphopenie auf, während sich die übrigen acht Fälle während einer mäßigen bis schweren Lymphopenie entwickelten«, teilte Biogen mit.