Risiko für Herz, Hirn und Stoffwechsel |
Brigitte M. Gensthaler |
05.03.2025 18:00 Uhr |
Wenn es mit der Schwangerschaft nicht klappt, kann ein PCOS vorliegen. Die Hormonstörung erhöht zudem das kardiovaskuläre und metabolische Risiko der Frau. / © Getty Images/M_a_y_a
Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist durch einen Überschuss an männlichen Hormonen charakterisiert. Dieser Hyperandrogenismus führt zu einem männlichen Behaarungsmuster (Hirsutismus), Haarausfall (androgenetische Alopezie) und Akne vulgaris. Viele Frauen leiden aufgrund der Dysbalance der Geschlechtshormone an Zyklusstörungen, Sub- oder Infertilität. Das PCOS geht mit einer Insulinresistenz bis hin zum Diabetes mellitus einher. Etwa 10 bis 15 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter sind betroffen.
»Das polyzystische Ovarialsyndrom ist ein komplexes Krankheitsbild, das auch postmenopausal bestehen bleibt«, informierte Dr. Cornelia Jaursch-Hancke, Leitende Ärztin an der DKD Helios Klinik Wiesbaden, Anfang Februar bei der Tagung »Diabetologie grenzenlos« in München. Etablierte Diagnosekriterien seien oligo- oder anovulatorische Zyklusstörung, klinische oder biochemische Zeichen einer Hyperandrogenämie und vaginalsonografisch nachgewiesene polyzystische Ovarien (PCO). Für die Diagnosestellung müssen zwei der drei Kriterien zutreffen.
Gemäß der 2023 publizierten internationalen Leitlinie (DOI: 10.1093/humrep/dead156) könne anstelle der Sonografie das Anti-Müller-Hormon (AMH) gemessen werden, sagte Jaursch-Hancke. Das Glykoprotein AMH korreliert mit der Anzahl der potenziell reifungsfähigen Follikel und zeigt damit die Funktionsreserve des Ovars an. Als Einzelwert sei es nicht aussagekräftig, da der AMH-Wert von Alter, Gewicht, Menstruationszyklus und oraler Kontrazeption beeinflusst werde und es keine spezifischen Cut-off-Werte gebe. Auch in der geplanten deutschen S2k-Leitlinie, die in diesem Jahr erscheinen soll, sei AMH nur ein Surrogatparameter.
Ebenfalls neu in der internationalen Leitlinie ist, dass die Ärzte andere Erkrankungen, die dem PCOS ähneln können, ausschließen müssen, erklärte die Endokrinologin. Dazu zählen zum Beispiel ein Prolaktinom, Hyper- und Hypothyreose, Cushing-Syndrom und ein Late-onset-Adrenogenitales Syndrom (AGS). Das AGS ist eine angeborene Störung der Hormonbildung der Nebennierenrinde und kann bei Frauen zu Zyklusstörungen, PCO und Hirsutismus führen.
Frauen mit PCOS leiden gehäuft an Dyslipidämie, Hypertonie, Glucosetoleranzstörungen und Typ-2-Diabetes. Etwa die Hälfte der Patientinnen ist adipös, was das kardiometabolische Risiko verstärkt. Die Autoren der internationalen Leitlinie beschreiben das PCOS daher als kardiovaskulären und metabolischen Risikofaktor. Dies werde in der deutschen Leitlinie ebenso gesehen, berichtete die Endokrinologin.
Was oft übersehen wird: Auch schlanke Frauen ohne Hyperandrogenismus können ein PCOS haben. Mit der Definition von vier Phänotypen werde die deutsche Leitlinie dies berücksichtigen.
Schon bei Erstdiagnose eines PCOS sollen der Blutdruck gemessen, ein Lipidprofil erstellt und der Blutzuckerstoffwechsel überprüft werden (oraler Glucosetoleranztest, Nüchternglucose und/oder HbA1C). Die Werte müssen regelmäßig kontrolliert und die Frauen behandelt werden. Vor der Menopause ist ihr Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt gering, aber danach haben Frauen mit PCOS ein höheres Risiko für Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz sowie eine höhere kardiovaskuläre Sterblichkeit.
Frauen mit PCOS und Kinderwunsch brauchen oft zwei bis drei Jahre länger, bis sie schwanger werden. »Wir müssen den Frauen erklären: Nehmen Sie sich mehr Zeit, wenn sie schwanger werden wollen«, sagte Professor Dr. Susanne Reger-Tan von der Klinik für Diabetologie in Bad Oeynhausen.
Bei medikamentöser Unterstützung steige die Schwangerschaftsrate auf 80 Prozent. Allerdings hätten die Frauen ein deutlich erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wie Hochdruck, Präeklampsie und Gestationsdiabetes. Auch die Rate an Früh- und Fehlgeburten ist erhöht. Die Expertin forderte: »Wir müssen Frauen mit PCOS besser betreuen in der Schwangerschaft.«
Zur Basistherapie gehören Gewichtsreduktion und mehr Bewegung. Dabei ist keine Diät einer anderen hinsichtlich der Gewichtsreduktion überlegen und jede körperliche Aktivität wirkt günstig, unabhängig von der Art des Trainings. »Der Gewichtsverlust verbessert den Zyklus und die Insulinresistenz – egal, wie er erreicht wird«, sagte die Ärztin. »Die multimodale Basistherapie nützt den Frauen, denn sie nehmen damit circa 4 Prozent ihres Ausgangsgewichts ab.« Eine mehrwöchige Phase der Gewichtsabnahme vor der Ovulationsstimulation erhöhe die Ovulationsrate und damit die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit.
Derzeit gebe es keine zugelassene Pharmakotherapie des PCOS, sagte Reger-Tan. Alle Medikamente würden off Label oder in Studien eingesetzt. Besteht kein Kinderwunsch, werden kombinierte orale Kontrazeptiva eingesetzt, die den Zyklus regulieren und dem Hirsutismus entgegenwirken. Dafür reichten Pillen mit 20 bis 30 µg Ethinylestradiol (EE) aus. Ein klinischer Nutzen höherer Dosen sei nicht belegt. Bei der Verordnung müsse man unbedingt das Risiko der tiefen Beinvenenthrombose beachten; diesbezüglich sei die Kombination von 20 µg EE und Levonorgestrel am sichersten.
Zudem ist Geduld gefragt, denn der Effekt auf den Hirsutismus kann spät einsetzen. Der Rat der Ärztin lautete: mindestens sechs Monate therapieren, bevor man eskaliert oder Spironolacton (als Antiandrogen) hinzufügt.
Etabliert bei PCOS ist auch das Biguanid Metformin, das Gewicht und Insulinsensitivität günstig beeinflusst. Die Blutspiegel von Insulin und damit dessen androgene Wirkung an den Thekazellen des Ovars nehmen ab. Metformin scheint außerdem einen direkten inhibierenden Effekt auf die Androgenproduktion im Ovar zu haben. Die Ovulations- und Schwangerschaftsraten steigen.
»Zur Zyklusregulierung ist Metformin in der Adoleszenz Mittel der Wahl, bei erwachsenen Frauen eine Alternative zu Kontrazeptiva«, informierte Reger-Tan. Zur Ovulationsauslösung bietet es eine Alternative zum Aromatasehemmer Letrozol.
Wenn eine Frau unter Metformin schwanger wird, sei unklar, ob und wie lange sie das Präparat weiter einnehmen soll. Möglicherweise sinke das Risiko für Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie und Makrosomie, aber das sei eine individuelle partizipative Entscheidung.
Für den Einsatz von GLP-1-Rezeptoragonisten gebe es mangels guter Daten keine klaren Empfehlungen. Allerdings könnten sie den Androgen-Exzess reduzieren. Inkretinmimetika sind während der Schwangerschaft nicht zugelassen und müssen laut Reger-Tan bei aktivem Kinderwunsch abgesetzt werden. Ebenfalls sehr wenige Daten gebe es für SGLT-2-Inhibitoren bei PCOS.
Als Hirsutismus bezeichnet man das übermäßige Wachstum von dicken oder dunklen Haaren bei Frauen in Positionen, die eher typisch für männlichen Haarwuchs sind. Androgen-empfindliche Hautareale sind zum Beispiel Oberlippe, Kinn, Brust oder Unterbauch.
Ein zarter Damenbart kann weggezupft werden. Bei stärkerem Haarwuchs reicht das oft nicht mehr. / © Getty Images/Prostock-Studio
»Ein Hirsutismus betrifft 5 bis 15 Prozent der Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter, ist aber unterdiagnostiziert«, sagte Dr. Eugenia Makrantonaki vom Derma Zentrum Wildeshausen. Mögliche Ursachen der Hyperandrogenämie seien endogene Tumoren von Hypothalamus oder Hypophyse, Erkrankungen wie androgenitales Syndrom, PCOS und Morbus Cushing sowie Medikamente wie Anabolika (Doping), Androgene und Antikonvulsiva. Auch in der Schwangerschaft könne es zum Hirsutismus kommen.
»Eine antiandrogene Therapie ist sinnvoll, aber Kontraindikationen und Nebenwirkungen sind unbedingt zu beachten«, sagte die Dermatologin. Neben kombinierten oralen Kontrazeptiva kommen die Antiandrogene Spironolacton und Cyproteronacetat, nicht steroidale Antiandrogene wie Flutamid und Bicalutamid sowie der 5α-Reduktase-Inhibitor Finasterid in Betracht. Antiandrogene dürfen bei Frauen im gebärfähigen Alter nur bei gleichzeitiger Verhütung eingesetzt werden. Als Kontraindikationen für Kontrazeptiva und Antiandrogene nannte sie Alter über 35 Jahre, Rauchen, Diabetes, koronare Herzkrankheit, Schlaganfall und Brustkrebs.