Risiken tragen die Präsenzapotheken |
Menschen im Alter von 50 bis 70 Jahren kaufen gerne bei Online-Apotheken. Viel Potenzial sehen Experten noch bei OTC-Bestellungen von Frauen im Alter zwischen 30 und 44 Jahren. / Foto: Fotolia/RFBSIP
Etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland findet Arzneimittel zu teuer. Das ist eines der Ergebnisse einer Online-Befragung des Hamburger Marktforschungsinstituts Ears and Eyes unter 1000 Bundesbürgern im Alter von 18 bis 69 Jahren. Ein wesentlicher Treiber für Verbraucher, Medikamente im Internet zu bestellen, seien daher Rabatte, sagte Ella Jurowskaja bei der Präsentation der Studie beim Kongress des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA).
Noch wichtiger als Preisnachlässe sind den Befragten demnach die Lieferung nach Hause und das unkomplizierte Einkaufen im Netz. Gegen das Online-Bestellen spricht für viele jedoch oftmals die Dringlichkeit der Arzneimittel-Einnahme (59 Prozent) und der Wunsch nach Beratung (25 Prozent). Jeder Dritte findet zudem das Einreichen von Rezepten bei Versandapotheken zu kompliziert. Aus Sicht der Versender könnte das E-Rezept dieses Problem lösen: Laut Jurowskaja würden etwa 57 Prozent der Menschen die Möglichkeit begrüßen, elektronische Verordnungen direkt an eine Versandapotheke schicken zu können. Dabei legen die Befragten mehrheitlich Wert darauf, selbst zu entscheiden, wo und wie sie ihr E-Rezept einlösen (69 Prozent).
Der Blick ins Ausland offenbart, welche Faktoren tatsächlich den Ausschlag geben, ob Verbraucher im Rx-Segment lieber den Versandhandel oder die Präsenzapotheke nutzen. Frank Weißenfeldt vom Daten-Dienstleister IQVIA nannte unter anderem die durchschnittliche Entfernung bis zur nächsten Offizin als einen wichtigen Parameter. So konnten sich die Versender in den Niederlanden und in Dänemark bis dato nur einen geringen Anteil am Rx-Markt von etwa 1 Prozent sichern. »In diesen Ländern ist die nächste Vor-Ort-Apotheke sehr nahe.« In der Schweiz dagegen liege der Versender-Anteil inzwischen bei 12 Prozent.
Ein weiteres Kriterium zeigte Weißenfeldt am Beispiel Schweden auf. Während die Menschen in der zweitgrößten Stadt Göteborg eher selten Medikamente online bestellten, sei die Situation in der Hauptstadt Stockholm eine völlig andere. Der Grund dafür seien die unterschiedlichen Zeitspannen bis zur Lieferung: Während die Bewohner in Göteborg etwa 24 Stunden auf ihr Arzneimittel warten müssten, klingelte in Stockholm bereits nach zwei Stunden der Bote an der Tür. In den Ballungsgebieten bestimmt also offenbar die Lieferzeit maßgeblich die Bereitschaft der Einwohner, Medikamente im Netz zu ordern.
Die Dynamik im Non-Rx-Segment beleuchtete Dominique Ziegelmayer, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Datamed IQ. Er hält es für einen Fehler, dass viele Hersteller den Versandhandel wegen seines Marktanteils von lediglich 15 Prozent im nicht verschreibungspflichtigen Bereich noch immer als sekundären Vertriebsweg wahrnehmen. Vor allem bei Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika sei mit jeweils rund 20 Prozent ein rasantes Wachstum der Versender-Anteile zu verzeichnen. Der OTC-Sektor legt demnach nahezu lineal um jährlich etwa 10 bis 13 Prozent zu. »Wenn es so weitergeht und man Sättigungseffekte ausklammert, wird der Versandhandel im Jahr 2025 einen Marktanteil von 25 Prozent erreicht haben«, sagte Ziegelmayer.
Er riet den Versendern mit Blick auf Marketingstrategien jedoch, ganz genau hinzuschauen, welche Zielgruppen sich von ihrem Angebot besonders angesprochen fühlen. Aus den Abverkaufsdaten großer Versandapotheken ließe sich ableiten, dass insbesondere Menschen beider Geschlechter im Alter von 50 bis 70 Jahren zu den Käufern gehörten. Auf diese Gruppe haben sich Ziegelmayer zufolge die Versender bereits gut eingestellt. Wenig Beachtung fänden dagegen bisher Frauen zwischen 30 und 44 Jahren. Vor dem Hintergrund, dass sich hinter rund 70 Prozent aller Non-Rx-Bestellungen ein weiblicher Kunde verbirgt, liege hier noch viel Potenzial brach.
Die Einführung des E-Rezepts könnte sich als Brandbeschleuniger für den schrumpfenden Bestand der Offizinen in Deutschland erweisen. Laut Fabian Kaske, Geschäftsführer der Marketingagentur Dr. Kaske, habe der Löwenanteil der Neukunden niederländischer Versender im Jahr 2018 nicht den Online-Anbieter gewechselt, sondern sei vom Kundenstamm der Präsenzapotheken abgeworben worden. Das ergab eine Umfrage unter mehr als 5000 Verbrauchern.
Sollten Verordnungen bald elektronisch einlösbar sein, ist Kaske zufolge sogar ein Rx-Marktanteil von bis zu 50 Prozent für den Versandhandel möglich. »Die Risiken trägt vor allem der stationäre Bereich«, sagte er in Bezug auf die Einführung des E-Rezepts. Alle 30 Stunden schließe in Deutschland eine Apotheke. »Wir gehen davon aus, dass sich diese Entwicklung mit dem E-Rezept noch beschleunigen wird.«
Ob sich elektronische Verschreibungen gegen das Papierrezept durchsetzen, hängt laut Walter Oberhänsli, CEO der niederländischen Zur-Rose-Gruppe, insbesondere vom Portemonnaie ab: Mit der Vergütung steige auch die Bereitschaft der Ärzte, das E-Rezept zu nutzen. Sollte die Umstellung flächendeckend gelingen, sieht er große Chancen für den Versandhandel, davon zu profitieren. »Es gibt kein Produkt, das sich so gut für den Versand eignet wie Arzneimittel.« Denn diese seien klein, leicht und im verschreibungspflichtigen Segment habe der Kunde ohnehin keine Auswahl zu treffen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.