Pregabalin retard nur einmal täglich |
Annette Rößler |
16.04.2024 14:00 Uhr |
»Einschießend wie ein Blitz«: So beschreiben viele Patienten mit neuropathischen Schmerzen die Qualität des Schmerzes. / Foto: Adobe Stock/mimadeo
»Neue Medikamente gegen Schmerzen hatten wir lange nicht, deshalb freue ich mich sehr über diese Neueinführung«, sagte Professor Dr. Ralf Baron vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel bei der Pressekonferenz zum Launch von Pregabalin Aristo® retard in Berlin. Der Wirkstoff ist zwar nicht neu, aber die nur einmal tägliche Anwendung stellt eine Vereinfachung der Therapie dar, weshalb der Schmerzmediziner sich von dem neuen Präparat positive Effekte auf die Adhärenz der Patienten verspricht. Auch gebe es Hinweise darauf, dass die Anwendung der Retardtablette mit weniger Nebenwirkungen verbunden sei als die von nicht retardierten Darreichungsformen, weil Spitzen im Plasmaspiegel vermieden würden und sich dieser insgesamt länger im therapeutischen Bereich befände.
In der neuen Retardtablette ist Pregabalin in eine Matrix aus basischem Butylmethacrylat-Copolymer eingebettet, aus der der Wirkstoff pH-abhängig verzögert freigesetzt wird. Zusätzlich enthaltene Hypromellose als Quellstoff bewirkt, dass die Tablette im Magen verbleibt und aufschwimmt. Aus der im Magen liegenden Tablette wird kontinuierlich Pregabalin abgegeben, das dann im Dünndarm und proximalen Dickdarm resorbiert wird.
Damit das Ganze funktioniert, muss vor dem Schlucken der Tablette eine Mahlzeit verzehrt werden; bei Nüchterneinnahme reduziert sich die AUC um 30 bis 50 Prozent. Die Anwendungsempfehlung, auf die in der Apotheke explizit hingewiesen werden sollte, lautet: einmal täglich direkt nach dem Abendessen. Muss es das Abendessen sein? »Auch eine Anwendung nach dem Frühstück wäre möglich; die abendliche Einnahme ist aber mit Blick auf das pharmakokinetische Profil sinnvoll«, sagte Baron auf diese Frage. Denn eine bekannte Nebenwirkung von Pregabalin ist Müdigkeit und bei einer Einnahme der Retardtablette beispielsweise um 19 Uhr ist der Wirkspiegel etwa zur Schlafenszeit bereits so hoch, dass der Patient davon müde werden kann.
Bei der Umstellung von einem Pregabalin-Präparat mit sofortiger Wirkstofffreisetzung auf die Retardtablette soll der Patient am Stichtag morgens noch einmal die nicht retardierte Darreichungsform einnehmen und dann abends nach dem Abendessen die erste Retardtablette schlucken. Eine Tabelle in der Fachinformation listet auf, welche Dosis von Pregabalin Aristo retard einer zuvor angewendeten Gesamt-Tagesdosis von nicht retardiertem Pregabalin entspricht. Verfügbare Stärken der Retardtabletten sind 82,5 mg, 165 mg und 330 mg.
Im Gegensatz zu nicht retardierten Darreichungsformen von Pregabalin, die in den drei Indikationen Epilepsie, generalisierte Angststörung und neuropathische Schmerzen zugelassen sind, darf Pregabalin Aristo retard nur bei neuropathischen Schmerzen angewendet werden. Laut Baron, der auf die Erforschung und Behandlung dieser Schmerzform spezialisiert ist, sind neuropathische Schmerzen nach wie vor stark unterdiagnostiziert und -behandelt.
»Dass sich neuropathischer Schmerz von nozizeptivem Schmerz grundsätzlich unterscheidet und er deshalb auch anders behandelt werden muss, ist noch zu vielen Patienten, aber auch Medizinern nicht bewusst«, sagte der Experte. Zwar werde heute etwa bei Patienten, die eine Gürtelrose hatten, schon häufig gezielt nach Post-Zoster-Schmerzen gefragt. Doch in anderen Bereichen, etwa bei Patienten mit langjährigem Diabetes mellitus oder nach einer Chemotherapie, sehe das noch anders aus, obwohl beides häufige – und zunehmende – potenzielle Ursachen von neuropathischen Schmerzen sind.
Statt nicht steroidaler Antirheumatika (NSAR), die nur bei nozizeptivem Schmerz gut wirksam sind, bräuchten Patienten mit neuropathischem Schmerz aber andere Wirkstoffe, etwa Gabapentinoide wie Pregabalin oder auch Gabapentin oder Antidepressiva wie SSRI oder Trizyklika. Der Grund dafür sei, dass bei neuropathischen Schmerzen das Schmerzsystem selbst verändert sei. Dadurch hätten diese Schmerzen auch eine besondere Qualität: »Patienten mit neuropathischen Schmerzen schildern diese typischerweise als brennend, einschießend oder auch kribbelnd«, berichtete Baron.