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Weihnachtsbrief vom ABDA-Präsidenten

»Politik ist keine Wissenschaft«

Zwei Jahre warten die Apotheker nun vergeblich auf ein Rx-Versandverbot. In seinem Weihnachtsbrief stellt ABDA-Präsident Friedemann Schmidt ernüchtert fest: »Weite Teile der Gesellschaft betrachten ein Rx-Versandverbot als unzeitgemäß.« Minister Spahns Alternativvorschläge müssten nun intensiv geprüft und diskutiert werden. Bei allem Frust hofft Schmidt auf eine geschlossene Entscheidung der Apotheker im Januar.
Daniela Hüttemann
20.12.2018  10:58 Uhr

»Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende zu, und wir sehen das Ziel einheitlicher Abgabepreise nicht verwirklicht«, schreibt der ABDA-Präsident heute an die Apotheker. »Dass dies Unsicherheit, Sorge und auch Frustration auslöst, ist nicht verwunderlich.« Er habe immer wieder Nachrichten von Kollegen erhalten, »die nicht nur ihrem Kummer Luft gemacht haben, sondern oft in guter apothekerlicher Weise Ratschläge gaben, wie Politik und Öffentlichkeit zu überzeugen und der Rx-Versand sofort zu beenden wären«.

Sie reichten von qualitätssichernden Maßnahmen bei der Arzneimittelzustellung über die Modifizierung der Liste herkunftssicherer Versandländer und den Verweis auf die Buchpreisbindung bis hin zu Argumentationen, die die unbestrittene Unverzichtbarkeit der Präsenzapotheke in der Akutversorgung und im Nacht- und Notdienst betreffen. »Tatsächlich haben wir all diese wesentlichen Argumente in den letzten beiden Jahren kontinuierlich in Politik und Medien transportiert, auf offener Bühne wie auch hinter den Kulissen«, so Schmidt.

Es liege nicht am mangelnden Einsatz auf Bundes-, Landes- und auch regionaler Ebene durch die Apothekerorganisationen sowie die einzelnen Kollegen vor Ort selbst, beteuert der ABDA-Präsident. Und auch nicht an den wissenschaftlichen oder juristischen Argumenten: »Als Naturwissenschaftler vertrauen wir auf die Kraft schlüssiger Daten und Fakten. Man vergisst dabei aber gelegentlich, dass Politik keine Wissenschaft ist, sondern ein Wettstreit von Meinungen, der oft nach anderen Prinzipien funktioniert: Machtfragen und Zeitgeist, ideologische Grundüberzeugungen und die Opportunität bestimmter Lösungen im Hinblick auf das Wählerverhalten bestimmen die Bildung von Mehrheiten.«

Als Beispiel nennt er den Umgang mit den drei juristischen Gutachten der ABDA zur verfassungs- und europarechtlichen Machbarkeit eines Rx-Versandverbots. »Doch auch schlüssige Gutachten ziehen längst nicht zwingend entsprechende Gesetzgebungsaktivitäten nach sich«, bilanziert Schmidt. »Das mag man im Falle »unserer« Gutachten bedauern, beispielsweise mit Blick auf die regelmäßigen Veröffentlichungen der Monopolkommission ist diese Tatsache allerdings eher beruhigend.«

Das Gutachten-Beispiel zeige vor allem eines: Es handle sich im Kern nicht um eine juristische Auseinandersetzung über die rechtlich mögliche, sondern eine politische Auseinandersetzung über die mehrheitlich gewünschte Sicherung und Ausgestaltung der zukünftigen Arzneimittelversorgung in Deutschland.  »Für uns war und ist ein Verbot des Versandes verschreibungspflichtiger Arzneimittel das Mittel der Wahl zur Absicherung einheitlicher Abgabepreise«, betont der ABDA-Präsident. Aber: »Weite Teile der Gesellschaft betrachten ein Rx-Versandverbot als unzeitgemäß.« Im Bundestag treffe es auf die Skepsis von Grünen, FDP und SPD und auch wesentlichen Teilen der CDU und Entscheidungsträgern der CSU.

Dies liege aber nicht daran, dass Politik und Öffentlichkeit den Wert und die Vorteile der Apotheke vor Ort nicht erkannt und verstanden hätten. »Im Gegenteil: In den politischen Gesprächen und der medialen Rückkopplung erfahren wir mehr Respekt und fachliche Wertschätzung denn je«, so Schmidt. Und auch in der Bevölkerung würden Apothekerinnen und Apotheker heute weit mehr als früher in ihrem heilberuflichen Profil wahrgenommen und genießen mit die höchsten Vertrauenswerte aller Berufsgruppen. »Man traut uns viel zu – sogar, dass wir im Preiswettbewerb mit dem Versandhandel bestehen könnten«, meint Schmidt.

Anscheinend tue das auch das Bundesgesundheitsministerium, so erklärt sich der ABDA-Präsident jedenfalls die Vorschläge von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Sie enthalten aus seiner Sicht positive Ansätze und Chancen wie die Stützung des Nacht- und Notdienstfonds, die bessere Vergütung der Versorgung mit Betäubungsmitteln und zusätzliche Mittel für die zukünftige verpflichtende Honorierung von pharmazeutischen Dienstleistungen, mit denen dringender Versorgungsbedarf der Bevölkerung im Bereich Arzneimitteltherapiesicherheit und Prävention durch die niederschwelligen Angebote der Apotheken gedeckt werden kann.

»Die Eckpunkte gehen von der Zielvorstellung aus, dass die Versorgung durch die Präsenzapotheke der Regelfall bleiben soll«, so Schmidt. »Aber sie enthalten auch wesentliche problematische Punkte und Risiken, ganz besonders die geplante Akzeptanz für regulierte Boni an Versicherte beim Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem europäischen Ausland, die als partielle Abkehr des Gesetzgebers vom Prinzip einheitlicher Abgabepreise verstanden werden muss. Dieser Punkt steht im eklatanten Widerspruch zu unserem zentralen Ziel.«

Der Unmut und Protest, der die Berufsöffentlichkeit in den letzten Tagen dazu erreicht hat, sei deshalb nur allzu verständlich. Dazu komme die Frage, ob und wie die geplanten Regeln zur Einschränkung des Versandhandels im Rx-Bereich rechtssicher gemacht und anschließend in der Praxis wirksam durchgesetzt werden können.

»Angesichts dieser schwierigen Gemengelage müssen die Eckpunkte von uns intensiv geprüft und bewertet sowie anschließend von der Politik gegebenenfalls konkretisiert und erweitert werden, wenn sie für uns zustimmungsfähig werden sollen«, fordert der ABDA-Präsident. »Wer seine Optionen nicht kennt, kann keine vernünftige Entscheidung treffen. Und die Entscheidung in dieser wichtigen Sache muss vernünftig sein und auf einem breiten demokratischen Fundament stehen.«

Schmidt wünscht sich daher eine rege Diskussion mit möglichst breiter Beteiligung in den Landesorganisationen der Apothekerschaft. Bei der ABDA-Mitgliederversammlung am 17. Januar 2019 soll dann eine gemeinsame Position gefunden werden. »Die Stärke unseres Berufsstandes lag immer in seiner Geschlossenheit, und ich bin zuversichtlich, dass wir diese Geschlossenheit auch in dieser wichtigen Phase erreichen«, so Schmidt. »Wir brauchen sie, denn wir stehen nicht am Ende eines Prozesses, sondern am Anfang einer Entwicklung, bei der es darum geht, die Zukunft des Berufsstands aktiv zu gestalten.«

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